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Start-UpMit der Therapiekugel Ichó sollen Demente länger fit bleiben

Lesezeit 5 Minuten

Man kann sie streicheln und kneten, sie kann Musik und Geschichten vorspielen: Ichó.

Köln – Ihnen ist ein großer Wurf gelungen, so simpel wie genial. Drei junge Männer aus dem Ruhrgebiet, die zu den zehn innovativsten Start-up-Unternehmen europaweit gekürt wurden, haben „Ichó“ aus der Taufe gehoben, die Therapiekugel für alte und demente Menschen.

Das Zauberding war auf der „Medica“, der Weltmesse der Medizinbranche in Düsseldorf, zu erleben. Steffen Preuß (29), Eleftherios Efthimiadis (32), und Mario Kascholk (28) haben den Erfolg ihren dementen Großeltern zu verdanken. Die drei Enkel haben sich den Kopf zerbrochen, wie man ihnen helfen kann.

Geschäftsführer Steffen Preuß: „Meine Oma war eine patente Frau. Ich habe sie bewundert. Mit der Demenz stand diese vormals so starke Frau vor mir und jede Form der Kommunikation war unmöglich.“ Genauso erging es seinen Kommilitonen Efthimiadis und Kascholk. Alle drei studierten an der Hochschule Düsseldorf Produkt- und Kommunikationsdesign, Elektrotechnik und Medieninformatik. „Mit Pflege hatten wir nichts am Hut.“ Sie tüftelten anfänglich so nebenbei aus, was Oma und Opa helfen könnte.

Ichó reagiert auf Bewegungen

Ab 2015 wurde aus der fixen Idee ein konkretes Projekt, das enormen Arbeitseinsatz kostete, eine 60- bis 70-Stunden-Woche zur Regel machte, zuzüglich der Gespräche mit Therapeuten, Medizinern, Pflegefachkräften, Neurologen, Wohlfahrtsverbänden und vor allem mit alten, dementen Menschen. „Ichó“ wurde aus der Taufe gehoben. Viel Schweiß, Ausdauer und strapazierte Nerven waren der Preis.

Die Therapiekugel ist ein Allrounder. Wie einen kleinen Ball hält man sie in den Händen. Wenn man sie schüttelt, dreht, wirft, streichelt, dann leuchtet sie, blinkt, reagiert und bietet Anwendungen, für die sie entsprechend den individuellen Bedürfnissen programmiert wurde. Eine Kugel deshalb, „weil ich gesehen habe, dass meine demente Oma das Spiel mit dem Ball noch lange bewältigen konnte. Warum also, so überlegten wir uns, nicht ein Ball mit digitaler Technologie, der in der Therapie eingesetzt werden kann“, so Preuß.

Demente wollen kein Kinderspielzeug

Die Kugel unterstützt das, was dementen und kognitiv eingeschränkten Personen zunehmend schwer fällt: Zugang zu finden zu ihrem Gegenüber und zu den noch vorhandenen Fähigkeiten – und zwar auf spielerische Art. Regelmäßige Spiele, so die Erkenntnis aus den Sitzungen mit Experten und erkrankten Menschen, fördern nicht nur die kognitiven und motorischen Fähigkeiten der Nutzer, sondern lassen Fähigkeiten nicht so schnell versiegen.

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Alte und auch demente Menschen lehnen jedoch intuitiv ab, wenn sie mit Varianten von Spielzeug beschäftigt werden, das vornehmlich für Kinder bestimmt ist. Nicht nur Steffen Preuß’ Großmutter reagierte empört auf simple Klötzchenspiele und ähnliches mit den Worten: „Nee, das mach ich auf keinen Fall.“ Sie und die anderen Senioren ordneten solche Ansinnen als würdelos ein.

Diese Erkenntnis, die permanente Rückkopplung und Abwägung mit den Fachkräften aus Pflege, Therapie, Sozialwissenschaften und Neurologie ließen das Trio ein System entwickeln, das mobil ist, mit dem der Nutzer interaktiv agieren kann, das mit Licht, Klang, Musik und Vibration stimuliert und animiert. Gesteuert wird der Ball über eine Fernbedienung, die Pfleger oder Familienangehörige bedienen können. Für alle Lebensbereiche, so die Zielvorgabe der jungen Erfinder und Unternehmer, muss die Kugel anwendbar sein: vollstationäre, teilstationäre, ambulante Pflege und die Betreuung zu Hause im privaten Rahmen.

Kugel kann Krankheitsverlauf aufzeichnen

Mehr noch: Basierend auf Erkenntnissen der Wissenschaftler und Mediziner entwickelte das Start-up Anwendungen, die je nach Bedarf individuell zugeschnitten und stetig erweitert und verändert werden können. Geben Nutzer, bevollmächtigte Betreuer, Pfleger oder Familienmitglieder die Freigabe, kann die Therapiekugel „Ichó“ anonymisiert Daten sammeln über Krankheitsverläufe.

Zum Beispiel, ob bei den alten Menschen das Zittern der Hände stärker, der Handdruck schwächer, die Koordination fahriger, die Reaktion langsamer wird. Informationen also, die Ärzten und Pflegern ermöglichen, unterstützend und fördernd den Krankheitsverlauf zu begleiten.

Mit der Kugel in der Hand blühten nicht nur die Großeltern der drei jungen Männer auf – sondern ebenfalls jene Senioren, die sie testweise nutzten. Mit der „Ichó“-App lassen sich Ratespiele, Tiergeräusche oder das Spiel von Musikinstrumenten abrufen. Wer will, der kann sich Märchen erzählen, „Mama“ von Heintje in Endlos-Schleife vorsingen oder sich zu kleinen Bewegungs-Übungen auffordern lassen. Das eine wie das andere weckt bei den Senioren Erinnerungen und animiert sie, zu agieren und zu kommunizieren. Sobald der Therapieball mit den Händen nicht mehr bewegt wird, verblasst das Lichtband um den Kugelbauch und das Programm verstummt.

Nächste Zielgruppe: Kinder mit Autismus und Behinderungen

Die drei Unternehmer haben seit Beginn Wohlfahrtsverbände, potente Förderer und Vertriebspartner an ihrer Seite. Anfang dieses Jahres kommt die Kugel für private Nutzer und Pflegeeinrichtungen auf dem Markt. Produziert wird in Deutschland. Auf die Materialien haben Preuß und seine Partner besonderen Wert gelegt. Sie sind umweltverträglich, recycelfähig, aus verantwortungsvoller Produktion und für Anwender gesundheitlich bedenkenlos. „Weil wir, nicht nur bei unseren Großeltern, gesehen haben, dass die alten Menschen die Kugel auch an den Mund führen.“

Mit „Ichó“ ist der Erfindergeist der jungen Männer aus dem Ruhrgebiet aber noch längst nicht gestillt. Sie arbeiten an der Weiterentwicklung des Therapieballs für andere Zielgruppen: autistische und behinderte Kinder sowie Heranwachsende. Ihnen soll genauso wie den Alten und Dementen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben auf diese Weise erleichtert werden.

Preuß, Efthimiadis und Kascholk sind der Meinung, kranke und in ihrer Lebensführung eingeschränkte Menschen könnten so besser integriert werden. Zur Realisierung der neuen Therapiekugel bedarf es des Know-hows aus Wissenschaft, Forschung und Medizin, das die Jung-Unternehmer digital umsetzen und alltagstauglich machen wollen.