Sexualität ist eine Kompetenz. Die Sexualberaterin Gitta Arntzen erklärt, wie jede Frau und jeder Mann sie erlernen oder wiederfinden kann.
In Sachen LiebeIch habe seit meiner Jugend Probleme beim Sex – was kann ich tun?
Seit meiner Jugend habe ich das Problem, Sexualität nicht genießen zu können. Ich muss sagen, dass ich viel Lieblosigkeit erfahren habe. Beim Sex hatte ich oft Schmerzen und musste anschließend häufig zum Frauenarzt – oder wegen einer Harnröhrenentzündung – zum Urologen. Mir war das dann immer peinlich, und ich hatte mehrere Jahre keinen Sex, wollte und auch keinen mehr. Mein jetziger Mann kennt meine Geschichte, ist sehr verständnisvoll und bedrängt mich nicht. Wir haben ungefähr einmal pro Woche Sex. Zum ersten Mal habe ich keine Beschwerden, allerdings auch kein Verlangen, weil ich nichts empfinde. Ein pflanzliches Mittel, das meine Frauenärztin mir empfahl, half bislang nicht, so sehr ich auch darauf gehofft hatte. Was raten Sie mir? (Renate)
Menschen, die in ihrer Kindheit nicht liebevoll behandelt worden sind, entwickeln oft die Vorstellung, sie hätten es nicht verdient, mit ihnen stimme etwas nicht. Im Laufe ihres Lebens tun sie dann vieles, um geliebt zu werden. Aufgrund Ihrer Erfahrungen kann es sein, dass Sie sich beim Sex nicht vertrauensvoll hingeben konnten, sondern negativen Gedanken nachhingen wie: „Ich spüre wieder nichts. Er ist von mir enttäuscht. Ich bin keine richtige Frau. Er wird mich verlassen…“
So baut der Körper Spannung auf, und mit den negativen Gedanken werden Berührungen nicht wirklich sinnlich wahrgenommen. Das wiederum verhindert lustvolle Erregung. Die Vagina wird nicht so feucht, dehnt sich nicht ausreichend. Wird der Penis, um dem Partner gefällig zu sein, trotzdem aufgenommen, reizt das die Harnröhre, die durch die obere Vaginalwand verläuft. Es kommt in ihrer Schleimhaut zu winzigen Rissen, die sehr schnell von Bakterien besiedelt werden.
Der Körper spürt immer und an jeder Stelle etwas
Es freut mich, dass Sie inzwischen einen verständnisvollen Ehemann an Ihrer Seite haben und keine Beschwerden mehr erfahren. Das bedeutet für mich auch, dass sie körperlich nicht mehr so unter Spannung stehen und Ihre Vagina im positiven Sinne reagiert.
Wenn Sie sagen, Sie spürten und empfänden nichts, dann erlauben Sie mir Ihnen zu versichern: Das ist bestimmt nicht der Fall! Unser Körper spürt immer und an jeder Stelle etwas. Ich vermute, dass Sie genital nicht die Erregung spüren, die Sie erwarten, obwohl Ihr Körper bereit ist. Es geht daher darum, wohltuende, sinnliche Berührungen zu erleben und auch wahrzunehmen, sie zu genießen.
Sexualität: eine Kompetenz, die jede Frau und jeder Mann erlernen kann
Konzentrieren Sie sich auf die Berührungen Ihres Partners und nähern Sie sich nicht direkt genital. Wünschen Sie sich zunächst zärtliche Berührungen Ihres ganzen Körpers. Fühlen Sie hin, ob er sie so gestaltet, wie es sich für Sie gut anfühlt und geben Sie ihm Rückmeldung. Atmen Sie immer wieder einmal tief ein und aus. Dabei sind Seufzer ganz natürlich und müssen nicht unterdrückt werden.
Bewegen Sie, wenn Sie den Impuls spüren, das Becken oder nehmen Sie eine andere Position ein. Erlauben Sie sich sexuelle Fantasien. Sie sind eigenständige, kreative Träume, die etwas über uns persönlich aussagen. Sie gehören nur uns selbst, nehmen unserem Partner, unserer Partnerin nichts weg und haben das Potenzial, unsere Erregung deutlich zu steigern.
Bevor Sie Ihrem Partner mitteilen können, was Sie mögen, ist es hilfreich, dass Sie es bei sich selbst ausprobiert haben. Schauen Sie in den Spiegel, und erforschen Sie die verschiedenen Bereiche. Ich versichere Ihnen, Sexualität ist eine Kompetenz, die jede Frau und jeder Mann erlernen kann. Haben Sie Mut! Geben Sie nicht auf! Und vor allem: Lassen Sie sich Zeit! In der Sexualität spielt Langsamkeit eine große Rolle.
Unser Team von Expertinnen und Experten beantwortet Ihre Fragen in der Zeitung: die Psychotherapeuten Carolina Gerstenberg und Daniel Wagner, die Diplom-Psychologinnen Elisabeth Raffauf und Katharina Grünewald, Sexualberaterin Gitta Arntzen sowie der Urologe Volker Wittkamp. Schreiben Sie uns, was Sie in der Liebe bewegt! Ihre Zuschriften werden anonymisiert weitergegeben. Schicken Sie Ihre Frage an: in-sachen-liebe@dumont.de.