Sportprofessor Ingo Froböse erklärt, was an Internet-Fitness-Gurus problematisch ist und kennt eine günstige Alternative für Faszienrollen.
Ingo Froböse im Interview„Niemand muss Geld für teure Faszienrollen ausgeben“
Viele Menschen haben sich während der Pandemie ein Laufband, Stepper oder Crosstrainer angeschafft. Was halten Sie von diesen Geräten?
Ingo Froböse: 70 Millionen Trainingsgeräte liegen laut einer neuen Statistik in Deutschland im Keller. Das muss man sich mal vorstellen! Und bei einem Laufband möchte ich nicht Nachbar sein, das macht total viel Krach. Das Hauptproblem ist, dass diese Trainingsgeräte zwar verkauft werden, dann aber nicht erklärt wird, wie man die eigentlich benutzt. Im Online-Handel schon gar nicht. Leider ergibt sich der eigentliche Effekt aber nur durch die Nutzung, nicht allein durch den Kauf des Produkts. (lacht) Viele stellen erst nach dem Kauf fest, dass das für sie gar nicht das richtige Gerät ist. Viele erwarten auch in kurzer Zeit Effekte, die sich nicht einstellen, unter anderem wegen der falschen Nutzung.
Neben dem Kauf ist also auch Betreuung wichtig?
Definitiv. Ich sollte den Händler anrufen und nachfragen können. Die meisten wissen gar nicht, was sie mit ihrem Fahrrad-Ergometer wie oft und wie intensiv machen sollen. Und wer sein Gerät im Discounter kauft, investiert sowieso an der falschen Stelle. Da ist kein optimales Produkt zu erwarten. Das hat oft eine unruhige Laufgeschwindigkeit, die Messung der Herz- und Pulsfrequenz ist holprig und ungenau.
Veranstaltung
Wie wir gesünder und bewusster leben und warum der richtige Umgang mit unseren Muskeln lebensnotwendig ist, darüber spricht Sarah Brasack, stv. Chefredakteurin des „Kölner Stadt-Anzeiger“ mit Prof. Ingo Froböse.
Termin: Montag, 24. April 2023
Einlass: 18 Uhr | Beginn: 19 Uhr | Dauer: ca. 2 Stunden
Ort: Im studio dumont, Breite Straße 72, 50667 Köln
Tickets: Für Abonnenten zum Vorteilspreis von 13,- Euro
Eine Kollegin geht im Homeoffice während Konferenzen auf dem Laufband langsam spazieren. Finde ich fantastisch.
So etwas finde ich auch toll. Es gibt sogar Arbeitsgeräte, wo ein Laufband oder ein kleiner Fahrrad-Ergometer dann unter dem Tisch angebracht ist. Wenn man das zu seinem Alltag werden lassen kann in beruflichen Situationen, wo man vor allem zuhören oder reden muss, ist das wunderbar. Denn während körperlicher Aktivität kommt 30 Prozent mehr Sauerstoff ins Gehirn. Das bedeutet mehr Lernqualität und eine bessere Grundlage für Kreativität.
Welchen Sport finden Sie besonders geeignet für die eigenen vier Wände?
Tanzen! Das macht total Freude, stärkt das Herz-Kreislauf-System und aktiviert viele Stoffwechsel-Prozesse. Oder Muskeltraining. Das geht wunderbar nur mit dem eigenen Körpergewicht. Dehnen und Koordinations-Training ist auch prima. Letzteres ist gerade für ältere Menschen wichtig, die Gleichgewichtsprobleme haben.
Wie viel Zeit ist sinnvoll, wenn ich Muskeltraining im Wohnzimmer machen will?
Für alle großen Muskelgruppen brauche ich maximal 20 Minuten. Wer die nicht hat, sollte mal über seine Daddelei am Handy nachdenken. Das ist ein großer Zeitfresser. 20 Minuten in sich zu investieren, lohnt sich enorm. Denn je älter man wird, umso wichtiger werden die Muskeln, weil sie die Selbständigkeit erhalten. Tasche tragen, Freunde besuchen und Reisen machen: Für all das brauche ich meine Muskeln.
Wenn ich nicht viel Zeit habe: Ist das Aufwärmen oder am Ende runterkommen wichtiger nach einer Wohnzimmer-Sporteinheit?
Ich würde immer Cool Down sagen. Ich kann mich gut mit der Belastung aufwärmen, aber statt eines abrupten Aufhörens ist eine Entspannungs-Einheit am Ende wichtig. Das kann auch eine gedankliche Reise zum Strand sein.
Wie wichtig ist Dehnen oder Stretchen, etwa nach Muskeltraining?
Ich bin da sehr ambivalent. Wenn ich richtiges Muskeltraining gemacht habe und dehne direkt danach die Muskulatur, verstärke ich meinen Muskelkater, weil das Gewebe durch das Training ohnehin schon zerrissen ist. Nach Ausdauertraining kann ich ruhig intensiver dehnen, nach dem Muskeltraining lieber nur leichtes Dehnen mit dem Ziel der Lockerung. Dann erstmal regenerieren und Dehnen als eigene Trainings-Einheit einbauen. Zum Beispiel in Form von Yoga.
Yoga ist in der Pandemie in Wohnzimmern enorm populär geworden. Wie stehen Sie zu Yoga?
Das ist die perfekte Verbindung zwischen Körper und Geist. Es versorgt den ganzen Körper und ist sehr gut für Achtsamkeit. Wichtig ist allerdings, dass man es nicht pervertiert. Ich brauche kein Hot-Yoga, Bier-Yoga oder Ziegen-Yoga. Und leider gibt es auch beim Yoga viele Menschen, die nicht gut ausgebildet sind, die sich nach einem Wochenend-Kurs Yoga-Instructor nennen. Eine richtige Yoga-Lehrer-Ausbildung dauert mehrere Jahre. Beim Deutschen Yogalehrer-Verband kann man schauen, wer die richtige Yoga-Praxis anbietet.
Bei Männern ist Yoga nach wie vor eher unpopulär.
Bei Männern darf nicht Yoga draufstehen, so etwas wie indisches Körperbildungstraining wäre vermutlich besser. Das ist eine Frage der Begrifflichkeit. Wir müssen bei den Männern noch viel Aufklärungsarbeit leisten, denn Yoga ist auch für sie toll.
In der Corona-Krise sind etliche Internet-Workout-Gurus zu Stars geworden. Woher weiß ich, wem ich trauen kann?
Mich schaudert es immer wieder, wie viele Fitness-Instruktoren es im Internet gibt, die den Titel nicht verdient haben. Das sind Influencer, die auf Grundlage ihres autodidaktischen Erfahrungsschatzes versuchen, ihre Angebote zu machen. Die sind dann oft falsch dosiert, falsch ausgeführt und mit falschen Empfehlungen versehen. Das sollte man sehr kritisch hinterfragen.
Können Sie Namen nennen, denen man vertrauen kann?
Das finde ich schwierig. Lieber verweise ich darauf, dass man die Qualität der Ausbildung herausfinden sollte, bevor man sich einem Sportprogramm anschließt. Cindy Crawford und Claudia Schiffer haben früher übrigens auch Videos gemacht, die nicht gut waren. Jeder Jeck ist nämlich anders, wie wir in Köln wissen. Entsprechend muss man auch differenzierte Trainings-Empfehlungen bekommen. Bei dem einen funktioniert die Übung so, beim anderen so. Ein gutes Programm ergibt sich aus der Ausbildung des Instructors und aus dessen Fähigkeit, Unterschiede darzustellen, verschiedene Zielgruppen anzusprechen. Wie verändere ich die Übung, wenn ich bestimmte Probleme habe? Wie dosiere ich was, wenn ich ein bestimmtes Ziel habe?
Also ist es besser, Übungen zunächst unter Anleitung zu lernen, bevor man sie im Wohnzimmer nachmacht?
Das wäre genau die richtige Strategie. Ich brauche eine Grundkompetenz, jemanden, der mich beobachtet bei den ersten Übungen oder einen Spiegel, der mich bei meiner eigenen Bewegung kontrolliert. Ein Trainingseffekt ergibt sich immer aus dem Setzen des richtigen Reizes. Wenn er nicht richtig gesetzt wird, kaufe ich mir manchmal sogar Probleme ein wie eine Sehnenreizung oder eine Bänder-Überforderung.
Hula-Hoop ist zum Trendsport geworden. Was bringt das?
Eine gezielte Muskel-Aktivierung. Die Muskeln werden dabei nicht groß und dick und stark, sondern besser koordiniert. Das ist perfekt für alle, die ihre Körpermitte ausbauen wollen, was wiederum wichtig ist für die Stabilität des Körpers. Hula-Hoop macht Freude und ist eine Sportart, die ich mein Leben lang ausführen und die ich auch wunderbar mit Tatort gucken kombinieren kann.
Ein weiterer Trend sind Faszienrollen. Braucht man die?
Ich habe noch nie so viel Geld für Schaumstoff ausgegeben. Bis zu 40 Euro kosten die Dinger, obwohl die Herstellungskosten bei maximal zehn Cent liegen. Diese Rollen braucht man nicht, präventiv schon mal gar nicht. Denn vorbeugend ist jede aktive Bewegung besser als ein passives Rollen, weil Bewegung sowieso alle Faszien stimuliert. Rollen müssen wir nur, wenn wir ein Defizit haben. Darum sind Faszienrollen für mich keine Fitnessgeräte, sondern Therapiegeräte, wenn ich zum Beispiel ein Problem im unteren Rücken oder am hinteren Oberschenkel habe. Da muss ich aber kein Geld für teure Faszienrollen ausgeben. Ein Tennisball tut es auch.
Was sind Faszien überhaupt?
Bindegewebe. Und das pappt häufiger aneinander, insbesondere, wenn ich inaktiv bin, weil ich zu viel sitze. Faszien umgeben unsere Muskeln und geben dem Körper Struktur, Orientierung und Belastbarkeit. Verklebungen lassen sich durch Druck lösen. Wenn ich mit einer Faszienrolle am Oberschenkel arbeite, ist es wichtig, dass ich die Rolle zur Körpermitte hin mit Druck rolle, den Rückweg aber ohne Druck mache, damit ich das Blut nicht in die Peripherie drücke. Das machen schon die meisten falsch. Die haben sich wieder nur ein Produkt ohne Informationen dazu gekauft.
Warum hat man bis vor ein paar Jahren gar nichts über Faszien gehört?
Weil man das Bindegewebe immer als tote Masse verstanden hat, als Füllmaterial. Erst vor einigen Jahren hat man verstanden, wie bedeutsam sie für die Wasserbindung sind und als Informationsmedium zwischen Oberkörper und Unterkörper.
Prof. Dr. Ingo Froböse: „Muskeln - die Gesundmacher. So bleiben wir fit, schlank und mental in Balance“, Ullstein Paperback, 320 Seiten, 19,99 Euro, ab 30. März 2023