AboAbonnieren

Interview zu Long-Covid nach Impfung„Um diese Leute müssen wir uns doch kümmern!“

Lesezeit 5 Minuten
Aufgezogene Spritzen mit Impfstoff gegen Covid-19 liegen in einem temporären mobilen Impfzentrum in einer Schale.

In der Post-Vac-Ambulanz der Uniklinik Marburg helfen Ärzte Patienten, die nach einer Impfung Long-Covid-Symptome zeigen.

Die Warteliste zur Spezialsprechstunde für Post-Covid-Betroffene an der Marburger Uniklinik reicht bis in das kommende Jahr. Professor Bernhard Schieffer warnt davor, Impfschäden zu verheimlichen.

Herr Professor Schieffer, Sie behandeln täglich Menschen, die glauben, an Corona-Impfschäden zu leiden. Ist die Annahme dieser Menschen richtig?

Unsere klinischen und laborchemischen Analyse legen den Schluss nahe, dass die Impfung bei manchen Menschen die gleichen Symptome ausgelöst hat, wie nach einer Sars-CoV2-Infektion. Dies bestätigen auch die Post-Marketing-Reports der verschiedenen Impfstoffhersteller seit langem.

Wie groß ist die Anzahl derer, die betroffen sind?

In Deutschland gehen wir von 0,03 Prozent aus. In Großbritannien, wo die Nebenwirkungen sehr viel akribischer erfasst wurden, von etwa 0,05 Prozent. Das klingt natürlich wenig, auch im Vergleich zu Post-Covid nach Infektion, welches beispielsweise bei der Omikron-Variante etwa acht bis zehn Prozent aller Infizierten entwickeln. Andererseits: Bei circa 190 Millionen verimpften Impfdosen betrifft es allein in Deutschland immer noch 50.000 bis 100.000 Menschen. Die wahre Zahl ist uns allen nicht bekannt, wir müssen uns aber um diese Leute kümmern!

Meldesystem: „Wir waren nicht auf diese Menge an Patienten eingestellt und haben auch nicht damit gerechnet“

Sie sagen, in Großbritannien wurden Nebenwirkungen akribischer gemeldet. Hat Deutschland da etwas versäumt?

Ich denke ja. Wir waren mit unserem Meldesystem des Paul-Ehrlich-Institutes nicht auf diese Menge an Patienten eingestellt und haben auch nicht damit gerechnet. Am Anfang der Impfkampagne musste man sich als Arzt beim PEI durch einen langen Fragebogen klicken, wenn man eine Nebenwirkung melden wollte. Heute können sie dies auch als Patient. Es fehlte eben ein wissenschaftlich korrektes Erfassungstool für Impfnebenwirkungen.

Professor Schieffer

Professor Schieffer ist Direktor der Klinik für Kardiologie der Uniklinik Marburg.

An was leiden die Menschen, die zu Ihnen in die Ambulanz kommen?

Das ist sehr unterschiedlich. Die Symptome ähneln sehr stark, oder sind identisch denen, die auch Long-Covid-Patienten haben. Wichtig ist erstmal: Diese Menschen sind physisch krank, sie in eine neuropsychiatrische Schublade zu stecken, ist grundlegend falsch! Die Patienten müssen ernst genommen werden mit ihren Beschwerden, sie einfach in eine psychosomatische Reha-Maßnahme zu verschicken ist falsch. Ursachenforschung, Pacing-Training und die adäquate Therapie können diese Patienten wieder zurück ins Arbeitsleben bringen. Da es sich um eine Erkrankung der Gefäße handelt, sind die Symptome oft über den ganzen Körper verteilt. Wir haben bislang etwa 3000 Menschen hier in Marburg gescreent und sehen gewisse Symptom-Cluster bei den Patienten. Manche haben eine Autoimmunerkrankung oder ein Gelenkrheuma in ihrer Vorgeschichte, andere eine Infektionskrankheit, wieder andere bestimmte Allergien.

Was Hoffnung macht: „Meine Paradepatientin ist letzten Monat wieder einen Halb-Marathon gelaufen“

Wie können Sie helfen?

Wir gehen dies Problem interdisziplinär am Universitätsklinikum Marburg an. Eine pauschale Therapie gibt es nicht. Aber die Patienten erholen sich meist, wenn wir die vorbestehenden Risikofaktoren behandeln. 650 Patientinnen und Patienten haben wir engmaschig nachverfolgt und konnten diese entweder komplett heilen oder an Fachärzte heimatnah zurückführen, die sich jetzt beispielsweise um ihre Rheumaerkrankung oder Allergien kümmern. Alle sind wieder zurück im Beruf. Eine unserer ersten Patientinnen ist letzten Monat wieder einen Halb-Marathon gelaufen. Viel wichtiger noch ist, dass wir alle diese jungen Menschen wieder in den Arbeitsprozess bekommen und sie nicht einfach nur in die Rente schicken ohne Diagnostik und Therapie.

Wie könnten Sie besser helfen? Welche Unterstützung brauchen Sie?

Wir brauchen mehr klinische Strukturen und finanzielle Förderung der Grundlagenforschung. Jede klinische Studie zum Testen von Therapieoptionen ist kostspielig. Wir müssen die Krankheit aber ja schnell erforschen und verstehen. Es braucht dem föderalen Prinzip folgend in jedem Bundesland ein Kompetenzzentrum zur Versorgung dieser Patienten und zudem eine nationale Post-Covid-Taskforce, die wissenschaftlichen Aktivitäten bundesweit koordiniert. Daneben eine Struktur von spezialisierten Fachärzten und Hausärzten, die als Gatekeeper (Eintrittspforte) dienen und die Patientenströme lenken. Die spezialisierten Haus- und Fachärzte, wie auch die Post-Covid-Spezialisten an den Universitätskliniken, müssen digital auf alle Unterlagen zugreifen können. Und dann braucht es geeignete Reha-Systeme, die die Menschen nach einer Behandlung wieder fit machen für das Leben bzw. ihnen bei den Einschränkungen des Lebens zur Seite stehen.

Die üblichen Reha-Kliniken sind nicht geeignet?

In den wenigsten Reha-Institutionen gibt es ausreichend Erfahrung mit Long Covid oder Post Covid, worauf sie ja gar nicht ausgelegt sind. Eine Reha hat immer Aktivierung zum Ziel. Da kommen die Leute aufs Laufband und sollen wieder fit werden. Aber Menschen mit Post Covid brauchen Schonung, müssen Pacing-Training betreiben, das heißt ihre Kräfte einteilen lernen. Mit Aktivierung kommen Sie da nicht weiter.

Gibt es auch Patienten, die zu Ihnen kommen, aber gar nicht an Impfschäden leiden?

Natürlich. Etwa 30 Prozent der Patienten in der Post-Covid Ambulanz sind chronisch krank und ihre dauernden Beschwerden werden nun auf die Impfung projiziert. Es ist deshalb klinisch nicht korrekt, wenn sich jemand bei uns vorstellt und sagt: „Ich habe Post Vac, helfen Sie mir“. Wir wissen es ja selber nie, bis alle Analysen vorliegen. Ich sage dann: Keiner weiß, was Sie genau haben, das müssen wir erst herausfinden. Am Ende bleibt bei relativ wenigen Patienten tatsächlich ein Post-Impf-Syndrom übrig, bei circa 0,03 Prozent.

Bernhard Schieffer: „Die Patienten sind frustriert. Dies äußert sich auch mal in Aggression“

Wie reagieren die Menschen auf solche Aussagen?

Man merkt den Patienten ihre Frustration und Enttäuschung an. Dies äußert sich auch mal in Aggression, sie müssen die Patienten verstehen, die ja mindestens zwölf Monate bei uns auf einen Termin gewartet haben, eine noch längere Leidensgeschichte haben und eine Odyssee von Arztbesuchen hinter sich. Sie waren der festen Überzeugung ein sogenanntes Post-Vac-Syndrom zu haben, mit teilweise dramatischen sozioökonomische Entwicklungen dahinter. Wir wollen helfen. Das ist das wichtigste, den Menschen Lebensqualität und Arbeitsfähigkeit zurückgeben. Wenn jemand kommt und ich stelle fest, dass seine Symptome nichts mit der Impfung zu tun haben, sondern auf einer anderen Ursache beruhen, kann man auch das therapieren. Wichtig ist, dass die Patienten ernst genommen werden in ihren Beschwerden.

Haben die Menschen, die jetzt wegen eines Impfschadens klagen, denn Ihrer Meinung nach eine Chance?

Ich bin Mediziner, kein Jurist, dies kann ich Ihnen nicht beantworten. Die Beweislage ist in jedem Einzelfall anders und die Entscheidung deshalb schwierig. Da wir unsere Patienten oft erst 18 Monate nach der Impfung sehen, ist die Diagnose umso schwieriger, weil erst dann für uns die Diagnostik beginnt. Vor Gericht werden ausreichende Argumente gebraucht, die belegen, dass die Impfung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ursächlich ist für die Leiden. Diese beizubringen, kann meiner Einschätzung nach sehr schwierig werden. Es bleibt deshalb unklar, wie die Gerichte entscheiden werden.

Professor Dr. Bernhard Schieffer ist Direktor der Klinik für Kardiologie und Leiter der Post-Covid-Sprechstunde an der Marburger Uniklinik.