Sie haben sich aus Solidarität während der Hochphase der Pandemie impfen lassen. Seit der Impfung sind sie krank. Von der Politik fühlen sie sich nun im Stich gelassen. Vier Kölner erzählen von Post-Vac.
Kölner sprechen über die Folgen ihrer Corona-Impfung„Als wir krank wurden, hat man uns im Stich gelassen“
Sascha Schwartz‘ Sprache ist immer noch im Fitnessmodus. Schnell und ein bisschen gehetzt springen die Wörter aus seinem Mund, rollen sich geschickt ab, eins eilt dem anderen hinterher, behände, jung, kraftvoll, manchmal atemlos. Früher, sagt Schwartz, sei sein Körper ebenso sportlich gewesen. Bouldern, Schwimmen, Krafttraining, Kampfsport, Joggen. Feiern, auch das, am liebsten mit Techno. Am liebsten laut, am liebsten lang. „Man musste mich immer eher bremsen, weil ich so aktiv war.“
Am 25. März 2021, so sieht es Sascha Schwartz, endete die Gesundheit seines jungen Körpers. Die erste Corona-Impfung, damals mit AstraZeneca, löst hohes Fieber, Kopfschmerzen, Schwindel, Abgeschlagenheit und das Gefühl „besoffen zu sein“ aus. Die zweite Impfung, so verspricht sein Arzt, soll den Körper wieder ins Gleichgewicht bringen. Diesmal fließt Biontech in seine Vene. Die Hoffnung schlägt fehl. „Danach ist in mir alles zusammengebrochen“, sagt der 32-Jährige. Kraft weg, Licht aus. Im Körper: Kampf.
24. September 2021. Schwartz arbeitet als Betreuer in einer Gruppe für psychisch kranke Erwachsene und besucht an diesem Freitag mit einem Kollegen und seinen Klienten das Phantasialand in Brühl. Der Himmel ist bedeckt, die sommerliche Wärme hat sich verzogen, die Stimmung in der Gruppe ist eigentlich ausgelassen. Aber Schwartz kann es nicht genießen. Die Achterbahnen rattern viel zu laut, die Menschenmenge um ihn leuchtet zu grell. „Ich konnte in kein einziges Fahrgeschäft einsteigen, wollte nur nach Hause.“ Als er abends das Zimmer seiner Wohngemeinschaft betritt, legt er sich ins Bett und steht nicht mehr auf. Tage. Wochen. Keine Chance. „Es war, als hätte man mir den Stecker gezogen.“ Lebensmittel bestellt er nur noch im Internet, Duschen wird zu einer Aufgabe, auf die er sich eine ganze Woche lang vorbereiten muss. Strom im Kopf, Brennen im Körper, Zittern, Schüttelfrost, Herzrasen, Wahrnehmungsstörungen, Atemnot, Hautausschlag, Sehstörungen, Brainfog. „Ich hatte das Gefühl, ich sterbe.“ Wenn Schwartz seine Symptome hintereinander und in schneller Folge auf den Tisch im Hinterzimmer eines ruhigen Cafés in der Kölner Innenstadt purzeln lässt, dann dauert das trotz Schnelligkeit lange. 96 Wörter sind es insgesamt. Unter 23 leidet er nach eigenen Angaben auch heute noch, zwei Jahre nach der Impfung.
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Schwartz sieht sich als Post-Vac-Geschädigten. Die Symptome, über die er klagt, bringt er in direkten Zusammenhang mit seiner Impfung gegen Covid-19. Lange Zeit wurde die Möglichkeit eines solchen Zusammenhangs sowohl von Medizinern als auch von der Politik abgetan. Die Impfkampagne war ein Kraftakt, eine nationale Leistung. Die WHO schätzt, dass mehr als eine Million Menschenleben dadurch gerettet wurden. Allein in Europa. Wer in den sozialen Medien da von Impfnebenwirkungen sprach, fiel aus dem Rahmen, dessen Post wurde mit einem Banner belegt, über den man zu „allgemeinen Hinweisen zu Impfungen und COVID-19“ gelangen konnte. Die Kommentare darunter laut Schwartz nicht selten: „Simulant!“ oder „Verrecke!“ „Wir wurden in die Querdenker-Ecke gestellt. Aber da sahen wir uns gar nicht. Wir haben uns aus Solidarität impfen lassen und als wir krank wurden, hat die Gesellschaft uns im Stich gelassen.“
Inzwischen hat sich die Lage verändert, vorsichtige Annäherungen scheinen möglich. An der Marburger Uniklinik hat eine Post-Vac-Sprechstunde eröffnet. Der Andrang ist groß. Knapp 7000 Menschen stehen dort laut Aussage von Professor Bernhard Schieffer auf der Warteliste, nicht wenige von ihnen werden erst im kommenden Jahr vorstellig werden können. Bei Post-Vac-Verdacht wird dort auch geprüft, ob ein Patient nur geimpft ist oder auch infiziert war. Gesundheitsminister Karl Lauterbach antwortet auf eine Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Es gibt Impfschäden. Und im individuellen Fall sind sie gravierend. Diese Menschen brauchen unsere Hilfe.“
Und sein Kollege Karl-Josef Laumann, Gesundheitsminister von Nordrhein-Westfalen, fordert gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Wir müssen in der Versorgung und bei der Unterstützung von Impfgeschädigten besser werden.“ Zwei Großkanzleien in Düsseldorf und Wiesbaden vertreten nach eigenen Angaben eine vierstellige Anzahl von Menschen vor Gericht. Beklagt auf Schmerzensgeld und Schadenersatz werden Hersteller verschiedener in Deutschland eingesetzter Impfstoffe. Der mutmaßlich erste Zivilprozess gegen den Hersteller Biontech ist für den 7. Juli in Frankfurt angesetzt. Die Erfolgsaussichten seiner Klienten schätzt Tobias Ulbricht der Düsseldorfer Kanzlei „Rogert und Ulbrich“ auf Nachfrage als „gut“ ein.
Paul-Ehrlich-Institut zählt 54.879 Verdachtsfälle schwerwiegender Nebenwirkungen
Das Paul-Ehrlich-Institut, das deutsche Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, schreibt auf Anfrage dieser Zeitung, bei ihm seien seit Beginn der Impfkampagne bis einschließlich 28.02.2023 insgesamt 338.857 Verdachtsfälle von Impfstoffnebenwirkungen gemeldet worden, davon 54.879 Verdachtsfälle schwerwiegender Nebenwirkungen. Die Melderate betrug bei 183 Millionen Einzelimpfungen zum Schutz vor Covid-19 damit knapp drei schwerwiegende Verdachtsfallmeldungen pro 10.000 Impfdosen. Knackpunkt bei der gerichtlichen Auseinandersetzung ist der Beweis der Kausalität. Sind die Schäden ursächlich auf die Impfung zurückzuführen?
Der Mainzer Impfstoffhersteller Biontech glaubt Nein und erklärt auf Anfrage, es sei bislang „eine äußerst geringe Anzahl von Klagen wegen potentieller Impfnebenwirkungen“ bei ihm eingegangen. Und: „Bisher konnte in keinem der Fälle, in denen Haftungsansprüche gegenüber Biontech geltend gemacht werden, ein kausaler Zusammenhang zwischen den dargestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen und der Impfung mit Comirnaty nachgewiesen werden.“
Schwartz und die anderen 81 Mitglieder der Kölner Selbsthilfegruppe für Post-Vac sehen das anders. Die meisten von ihnen haben eine Arzt-Odyssee hinter sich. Schwartz war sogar drei Monate in der Psychiatrie in Köln, weil die üblichen Gesundheitschecks keinerlei Ergebnisse lieferten und alle – auch sein nahes Umfeld – von einer psychischen Ursache ausgingen. Burnout, Depression, Überlastung durch die Lockdowns, sowas. „Ich wusste, dass meine Probleme keinen psychischen Ursprung haben. Aber ich dachte: Es ist mir jetzt egal. Ich mach alles, damit nur die Schmerzen aufhören“, sagt Schwartz. Aber die Psychopharmaka schlugen nicht an. In der Gruppentherapie konnte sich Schwartz mit niemandem identifizieren. „Ein düsteres Kapitel.“ Ein Hoffnungsschimmer: In der Post-Vac-Ambulanz der Uniklinik Marburg wurde bei Schwartz Anfang 2022 schließlich eine Hyperinflammation des Immunsystems als Folge der Impfung diagnostiziert.
Gesundheitsminister Laumann fordert mehr Forschung zu Impfschäden
Der Arztbrief beflügelt ihn. Die Beschwerden aber bleiben. Die Probleme auch. Denn Post-Vac ist als Krankheitsbild nicht anerkannt, für notwenige Forschungen, die für eine Anerkennung grundlegend wären, fehlen das Geld und die Strukturen. Seit kurzem gibt es Stimmen, die auf diesem Gebiet mehr Anstrengung anmahnen. Drei Betroffene pro 10.000 Impfungen, das klinge wenig, sagt Bernhard Schieffen von der Uniklinik Marburg. „Andererseits: Bei 190 Millionen Impfungen betrifft es am Ende dennoch 50.000 bis 100.000 Menschen in Deutschland. Um diese Leute müssen wir uns doch kümmern!“
Und auch Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann fordert auf Anfrage dieser Zeitung „mehr Forschung auf diesem Gebiet“, außerdem „bundeseinheitliche Therapiestandards“. „Ein Grund dafür, dass Impfschäden teils nicht schneller anerkannt werden, liegt darin, dass in der medizinischen Wissenschaft noch zu wenige belastbare Erkenntnisse zu Zusammenhangsfragen zwischen einer Covid-19-Impfung und geltend gemachten Erkrankungen vorliegen. Das muss sich ändern.“ Gesundheitsminister Karl Lauterbach zielt in seiner Antwort vor allem auf Long-Covid-Patienten ab, deren Zahl laut Medizinern die Zahl der möglichen Post-Vac-Geschädigten um ein Vielfaches übersteige. Für sie soll es künftig eine Aufklärungskampagne, eine Internetseite sowie eine Hotline geben. Außerdem wolle man „massiv“ in die Versorgungsforschung investieren. Und als Nachsatz: „Auch Post-Vac-Patienten werden von unserer Long-Covid-Initiative profitieren.“
Eine Klage eingereicht hat Schwartz bislang nicht und hat das auch nicht vor. Der Grund ist banal, im März lief sein Krankengeldanspruch nach 18 Monaten Krankschreibung aus, nun bekommt er Arbeitslosengeld eins. Ein Jahr lang, dann droht das Bürgergeld. Gut 4000 Euro Schulden hat er seit seiner Krankheit angehäuft. „Ich habe keine Rechtschutzversicherung und kann mir ein Gerichtsverfahren schlicht nicht leisten.“ Wichtiger als Geld ist Schwartz aber ohnehin etwas anderes: Dass er gesund wird. Dass er sein Leben zurückbekommt. Deshalb wünscht er sich vor allem mehr Forschung und Medikamentenzulassungen auf dem Gebiet. „Wenn ich andere im Park joggen sehe, dann fühle ich mich wie ein kleiner Junge, der nicht mitspielen darf. Das macht mich traurig.“
Sport und körperliche Anstrengung, das ist für Post-Covid-Erkrankte im Allgemeinen zu einem Ding der Unmöglichkeit geworden. Zwar mache der Körper die Belastung zunächst weitgehend willig mit, ein oder zwei Tage später erfolge dann aber der Zusammenbruch, sagt Schwartz. „Pacing“ sei deshalb angesagt, das sagt auch Bernhard Schieffer, Leiter der Post-Vac-Sprechstunde an der Marburger Uniklinik. Was so viel bedeutet wie: Kräfte einteilen, sich nicht überlasten, Entdeckung der Langsamkeit.
Sascha Schwartz: „Das was ich jetzt bin, hat nichts mehr mit meinem alten Leben zu tun“
Wer Sascha Schwartz zuhört, der merkt, wie sehr ihm die ständige Handbremse in seinem Leben zu schaffen macht. Seine „Ärmchen“ seien dünn geworden, an guten Tagen kann er spazieren gehen, an schlechten im „Schneckentempo“, mehr Bewegung sei aber nicht drin. Statt Kampfsport hat er die Meditation für sich entdeckt, statt Techno läuft in seinem Zimmer jetzt smoother Jazz, statt Switch-Zocken gibt es Podcasts vor dem Einschlafen. Schwartz nimmt zum ersten Mal in diesem Gespräch Tempo raus. Auch seine Worte scheinen ein bisschen müde geworden zu sein, als er sagt: „An vielen Tagen habe ich keine Hoffnung mehr. Das was ich jetzt bin, hat nichts mehr mit meinem alten Leben zu tun.“
Sarah Tasche (Name geändert), 27 Jahre, Studentin, Leverkusen
„Ich habe mich im Sommer 2021 impfen lassen, weil ich den Lockdown satt hatte. Es gab so viele Regeln für Ungeimpfte und ich wollte nicht ausgeschlossen werden, wieder in Restaurants gehen, mich mit einer größeren Gruppe an Freunden treffen. Die Ironie der Geschichte ist, dass die Impfung dann dazu führte, dass ich gar nichts mehr machen konnte. Ich war seit Januar 2020 kein einziges Mal mehr feiern. Ich lasse mich anwaltlich vertreten und strebe einen außergerichtlichen Vergleich mit Biontech an, denn ich bin sicher, dass die Impfung – auch wenn sie viele andere gerettet hat - mich krank gemacht hat. Mein Anwalt peilt 100.000 Euro an. Ob ich überhaupt Geld bekomme, ist aber natürlich komplett unklar.
Ich bin vorher Halbmarathon gelaufen, geklettert, gesurft. Heute bin ich froh, wenn ich nachmittags mal eine Freundin in einem ruhigen Café treffen oder 15 Minuten spazieren gehen kann. Von der zweiten Impfung habe ich eine Herzmuskelentzündung davongetragen. Ich hatte Herzrasen im Liegen, kam keine Treppe mehr hoch. Aber auch nachdem das ausgeheilt war, hat sich mein Zustand nicht verbessert. Ich habe 14 bis 15 Stunden am Tag geschlafen. Unter Atemnot leide ich heute noch, außerdem bin ich oft auf eine Art und Weise erschöpft, dass ich nur noch heulen möchte. Nach einem Ärztemarathon ergab schließlich eine Untersuchung, dass meine Mitochondrien nicht mehr richtig arbeiten. Außerdem schüttet mein Körper viel zu viel Adrenalin aus. Am schlimmsten ist für mich, dass sich auch mein Wesen verändert hat. Früher war ich ein sehr sorgloser Mensch, ich konnte alles mit viel Freude genießen. Heute liegt über allem, was ich tue ein grauer Schleier. Ich habe Angst davor, dass ich nie wieder dahin komme, wo ich einmal war.“
Ines Rieger (Name geändert), 43 Jahre, wissenschaftliche Referentin, Köln
„Mein absoluter Crash kam nach dem Booster Anfang März 2022. Ich hatte tagelang am Stück starke Schmerzen. Der ganze Körper hat gebrannt, als würde er unter Strom stehen. Es war, als würde mir jemand mit Nadeln ins Gehirn stechen. Das hat mir Angst gemacht. In der Uniklinik Aachen hat man dann eine Small Fibre Neuropathie bei mir diagnostiziert. Aber ein Medikament, das mir hilft, konnte mir noch niemand verschreiben.
Was mich auch ärgert ist, dass meine Nebenwirkungen von der Ärztin erst nach Nachhaken an das Paul-Ehrlich-Institut gemeldet wurden. Das ist doch wichtig, dass das dokumentiert wird. Außerdem bestürzt mich, dass ich mich ja aus Solidarität mit Vorerkrankten impfen ließ. Und jetzt bekomme ich im Gegenzug keine Solidarität. Im Gegenteil. Ich werde in die Schmuddelecke gestellt.“
Bettina Linden-Paquignon, 59 Jahre, Sekretärin, Köln
„Die erste Impfung habe ich noch vergleichsweise ok verkraftet. Aber drei Tage nach der zweiten Impfung am 22.6.2021 hatte ich das Gefühl, mein Gehirn zieht sich zusammen. Ich habe extreme Wortfindungsprobleme, ein Kribbeln am ganzen Körper, Lähmungserscheinungen in den Beinen. Nach dem Booster im Januar 2022 wurde alles noch schlimmer. Ich habe am ganzen Körper neurologische Probleme. Ich empfinde ein unerträgliches Brennen am ganzen Körper, auch im Gesicht und an der Zunge. Essen ist schwierig für mich. Ich kann viele Nahrungsmittel nicht mehr vertragen, so dass ich sehr abgenommen habe.
Wenn ich fernsehe oder am Computer sitze, dann spielt mein Körper verrückt, es fühlt sich an, als würde mein Kopf zerreißen und ich bekomme starkes Brennen am Körper. Manchmal, wenn mir di Reize von außen zu viel werden, dann habe ich tatsächlich das Gefühl: Ich sterbe jetzt. Es wurde immer schwieriger für mich zu arbeiten, ich machte Fehler und konnte immer weniger funktionieren bis ich mich letztendlich dauerhaft krankschreiben lassen musste. Ich kann mich einfach nicht mehr konzentrieren. Nach einer Serie von Blutwäschen, die ich selbst zahlen musste, ging es mir zeitweise besser. Die Erschöpfung ging zurück. Aber es wird wieder schlechter. Und auch die Nahrungsergänzungsmittel, die ich täglich nehme und für die ich monatlich 350 Euro bezahle, wirken nicht wirklich. Ich habe finanzielle Probleme, jetzt unterstützt mich sogar eine meiner Töchter, obwohl die noch studiert. Das ist für mich traurig. Und ich habe große Angst, dass ich nie wieder arbeiten kann. Das wäre für mich eine Katastrophe. Ich habe Vertrauen in den Staat verloren. Ich habe mich mit der Impfung solidarisch gezeigt, aber jetzt, wo es mir so schlecht geht, erfahre ich keine Hilfe, sondern werde allein gelassen.“