In unserer Serie „Gesund durchs Jahr” widmen wir uns in jedem Monat einem anderen Themenbereich.
Im Monat Oktober geht es um die Grippe und andere Erkältungskrankheiten.
Im ersten Teil erklärt der Kölner Hausarzt Dr. Tim Knoop, ob die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie im vergangenen Jahr für ein Ausbleiben der Grippewelle gesorgt haben – und wie es in diesem Jahr aussieht.
Köln – Jahrelang war es wie eine Art Routine: Sobald es Herbst und damit etwas kälter wurde, fingen Nasen an zu laufen und Hälse an zu kratzen. Die Grippewelle gehörte zum Winter wie die warme Tasse Tee. Bis Anfang des vergangenen Jahres die Corona-Pandemie ausbrach. Und Menschen anfingen, Masken zu tragen und Abstand zu halten. Banale Infekte und auch die saisonale Grippewelle blieben aus.
Das war ein Novum. Seit Beginn der Grippeüberwachung im Jahr 1992 war das noch nie der Fall gewesen. „Es hat in dieser Saison überhaupt keine Grippewelle gegeben", sagte eine Sprecherin des Robert Koch-Instituts im Frühjahr 2021.
Die Kriterien für den Beginn einer solchen Welle seien für die Arbeitsgemeinschaft Influenza (AGI), die die Grippesaison Jahr für Jahr am Robert Koch-Institut überwacht, schlichtweg nicht erfüllt worden. Gerade einmal etwas mehr als 500 Grippefälle wurden in der vergangenen Saison, die damit eigentlich keine war, gemeldet. Zum Vergleich: Ein Jahr zuvor gab es über 180.000 labordiagnostisch bestätigte Infektionen. Die Meldezahlen bilden zwar nur einen Teil der wirklichen Erkrankungen ab, die AGI überwacht das Infektionsgeschehen aber auch noch anhand weiterer Indikatoren. Ein ähnliches Bild zeichnete sich auch in anderen Staaten ab.
Wie war ein solch drastischer Rückgang der Grippeerkrankungen möglich? Das Robert Koch-Institut nannte die Corona-Maßnahmen mit Mindestabständen, Hygiene, Masken, Empfehlungen zum Lüften von Räumen, Homeoffice-Regelungen und zeitweisen Schulschließungen als Grund.
Der Ausfall der Grippesaison war also ein reiner Nebeneffekt der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Auch der Kölner Hausarzt Dr. Tim Knoop ist dieser Meinung: „Mit Sicherheit. In den Jahren davor gab es viel, viel mehr Fälle – nicht nur bei der Grippe, auch bei normalen Erkältungen.“ Das Ausbleiben von Grippeerkrankungen und anderen Erkältungskrankheiten habe man auch im Praxisalltag gemerkt. „Die Sprechstunde war viel leerer“, erinnert sich Knoop.
Dass die Zahlen nur so niedrig sind, weil sich einige Menschen inmitten der Pandemie eventuell nicht in ein Wartezimmer beim Arzt setzen wollten, glaubt Tim Knoop nicht. „Eine Krankmeldung brauchen die Patienten ja trotzdem.“ Zudem seien die Menschen gerade bei aufkommenden Symptomen vorsichtiger gewesen, da sich die Symptome einer Grippe oder Erkältung mit denen einer Covid-19-Erkrankung überschneiden. „Deswegen glaube ich schon, dass wir da ein realistisches Bild hatten“, sagt Knoop. Sein Eindruck: Die Menschen, die krank waren, haben sich genauso oft beim Arzt gemeldet, wie sie es in den Zeiten vor der Corona-Pandemie getan haben – „wenn nicht persönlich, dann telefonisch oder in der Videosprechstunde“, also kontaktlos.
Auch an anderen Orten waren Menschen kontaktlos unterwegs, mieden die Nähe zu anderen Menschen. Sie hielten Abstand, trugen eine Maske. „Mit Sicherheit waren das die entscheidenden Punkte“, so Knoop. Wer darauf achtete, sich keine Coronaviren einzufangen, der hielt auch Grippe- und andere Viren auf Distanz. Das ständige Desinfizieren von Händen und Flächen habe hingegen keine so große Bedeutung gehabt. Schmierinfektionen spielen in der Corona-Pandemie keine große Rolle. Es gilt viel mehr, ausgeatmete Aerosole als Träger des Virus einzudämmen. Bei Corona, aber auch bei anderen Krankheiten.
„Aerosole scheinen auch bei den anderen Erkältungskrankheiten eine größere Rolle zu spielen. Abstand halten und Maske tragen haben wesentlich dazu beigetragen, dass Grippe und andere Erkältungskrankheiten weitestgehend ausgeblieben sind“, sagt der Hausarzt.
Mehr Grippeimpfungen als in den Jahren zuvor
Neben den Corona-Maßnahmen wurde die Grippewelle durch einen weiteren Faktor aufgehalten. Weil es im vergangenen Jahr noch keine Schutzimpfung gegen das Coronavirus gab, ließen sich viele Menschen stattdessen gegen die Grippe impfen. Das hatte auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn empfohlen.
So gab es allein zwischen Januar und September des vergangenen Jahres 3,5 Millionen Pneumokokken- und Grippe-Impfungen mehr als im Vorjahreszeitraum. Die Gesamtzahl aller Grippe-Impfungen im Jahr 2020 verortet Dr. Dominik von Stillfried, Vorstandsvorsitzender des Zentralinstituts für die Kassenärztliche Versorgung in Deutschland, „in der Größenordnung von rund 20 Millionen“.
Grippeimpfung 2021
Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt die jährliche Grippeimpfung allen Frauen und Männern mit erhöhter Gefährdung durch eine Vorerkrankung, Schwangeren, Menschen ab 60 Jahren sowie Personen, die eine mögliche Infektionsquelle für Risikopatienten darstellen können. Zudem sollten sich Menschen „im Rahmen eines erhöhten beruflichen Risikos“ impfen lassen, beispielsweise medizinisches Personal oder Berufe, bei denen man tagtäglich mit vielen Menschen in Kontakt kommt. Die Impfungen erfolgen ab Oktober bei Hausärztin oder Hausarzt.
Mittlerweile gibt es eine Impfung gegen das Coronavirus. Gegen die Grippe wird Tim Knoop aller Voraussicht nach trotzdem wieder über dem Schnitt der Jahre vor der Pandemie impfen. „Das wird also auch wieder eine Rolle spielen, davon gehe ich aus“, sagt er. Generell habe die Pandemie das Bewusstsein der Menschen für die Grippeimpfung „auf jeden Fall“ verändert: „Mehr Menschen haben gemerkt, dass Impfungen wichtig sind. Die Grippe ist nicht vergleichbar mit Corona, auf keinen Fall. Trotzdem gibt es auch da schwere Krankheitsverläufe, die man manchmal sieht, auch bei jungen Leuten.“
Knoop glaubt an eine schwache Grippesaison
Doch reicht die vermehrte Anzahl an Impfungen, um die Grippesaison in diesem Jahr erneut ausfallen zu lassen? Zumal die Corona-Maßnahmen im kommenden Winter aller Voraussicht nach nicht das Ausmaß der Regelungen aus dem vergangenen Jahr erreichen werden. „Ich glaube, dass die Menschen auch weiterhin sehr vorsichtig sind. Dass sie Masken tragen und Abstand halten.
Auch wenn das jetzt überall so ein bisschen gelockert wird und alle wieder ein wenig die Scheu verlieren“, sagt Tim Knoop. „Ich denke, es wird wieder mehr Grippe- und Erkältungsfälle geben als im vergangenen Jahr. Aber sicherlich nicht so viele wie in den Jahren vor der Pandemie.“
In der Hinsicht hat die Pandemie etwas Gutes bewirkt. Der Umgang mit Erkältungskrankheiten hat sich nachhaltig geändert, glaubt Tim Knoop. „In der Bevölkerung ist sicherlich eine größere Aufklärung erreicht worden. Dass man lieber mal zu Hause bleibt, wenn man eine Erkältung hat. Dass man Abstand hält oder vielleicht mal eine Maske trägt, wenn man erkältet ist.“ Ob man darauf setzen sollte, wenn die Grippewelle in den kommenden Jahren wieder größer ausfällt? „Das fände ich super. Für die Patienten wäre das nur zu empfehlen“, sagt der Hausarzt.
Auch in seiner Praxis in Köln-Nippes wird nach der Pandemie, sollte sie mal beendet sein, nicht alles zurückgedreht. „Wir werden weiterhin versuchen, die Wartezimmer nicht so voll zu halten, viel über Telekommunikation arbeiten“, erklärt Knoop.
Es gehe auch in Zukunft darum, enge und gedrängte Situationen im Wartezimmer zu vermeiden. „Früher war das ja eigentlich ein schlechtes Zeichen, wenn man beim Arzt alleine im Wartezimmer war. Dass man der Einzige ist, der zu diesem Arzt geht. Ich würde sagen, das ist jetzt eher umgekehrt: je leerer, desto besser organisiert“, findet Tim Knoop. Und auch die Luftfilter in der Praxis werden weiterlaufen. Vielleicht sorgt die Summe dieser Maßnahmen auch in Zukunft dafür, dass die ein oder andere Grippewelle abebbt, bevor sie in der Bevölkerung ankommt.