Kölner Infektiologe über hohe Corona-Zahlen„Die Lage ist anders als im März“
- Die Zahl der Corona-Neuinfektionen steigt deutlich – weltweit, in Deutschland und auch in Köln.
- Der Infektiologe Gerd Fätkenheuer von der Kölner Uniklinik sagt dennoch: „Wir haben die Lage im Moment gut unter Kontrolle.“ Doch es gebe „ein großes Aber.“
- Außerdem äußert sich Fätkenheuer im Interview zur Kritik am Medikament Remdesivir, das auch er in Studien für den Kampf gegen Covid-19 erprobte.
Herr Professor Fätkenheuer, eine Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO bescheinigt dem von Ihnen mitentwickelten Covid-19-Medikament Remdesivir, mit dem auch US-Präsident Donald Trump behandelt wurde, nur eine geringe oder sogar keine Wirkung. Ein Rückschlag?
Prof. Gerd Fätkenheuer: Auf den ersten Blick ist es zweifellos enttäuschend, dass für das Medikament Remdesivir kein positiver Effekt bei der Senkung der Sterblichkeit und der künstlichen Beatmungen oder auch bei der Verringerung der Verweildauer von Covid-19-Patienten im Krankenhaus festgestellt werden konnte. Trotzdem halte ich den Schluss für unzulässig, es handelte sich um ein wirkungsloses Mittel. Denn bei genauerem Hinsehen finden sich in der Studie Hinweise, die recht genau den Ergebnissen der vorangegangenen großen Studie unter Mitwirkung der Uniklinik Köln entsprechen. Wir konnten bei den mittelschwer Erkrankten ohne den Bedarf künstlicher Beatmung, die mit Remdesivir behandelt wurden, tendenziell eine deutliche Besserung feststellen. Das ist auch in der WHO-Studie der Fall. Der Grenzwert einer statistischen Signifikanz wurde hier nur sehr knapp verfehlt.
Wie sehen Sie die WHO-Studie insgesamt?
Ich finde sie extrem eindrucksvoll: Mehr als 400 beteiligte Kliniken auf der ganzen Welt, mehr als 11 200 untersuchte Patienten, und das in der ersten Hochphase der Pandemie – das ist, möchte ich sagen, etwas Einmaliges, was die WHO und die beteiligten Studienzentren da geschafft haben. Trotz eines einfachen Studiendesigns hat man sehr, sehr hochwertige Ergebnisse erzielt. Hervorheben möchte ich, dass die WHO-Studie die Bedenken gegen anfänglich als eine Art Wundermittel propagierte Präparate wie Hydroxychloroquin oder Interferon bestätigt. Wer sich die Studie genau ansieht, wird Hinweise finden, dass die genannten Mittel nicht nur keine Wirkung haben, sondern sogar schädlich sein könnten. Das zeigt noch einmal, wie berechtigt die Warnung vor Schnellschüssen und ungeprüften Behandlungsmethoden ist. Auch und gerade in einer so bedrängenden Situation wie einer Pandemie wäre es fatal, bedenkenlos und ungebremst in eine falsche Richtung zu rennen.
Aber Remdesivir war keine Sackgasse?
Natürlich wird jetzt in der Fachwelt eine Diskussion beginnen, wie man Remdesivir weiter sinnvoll einsetzt. Wenn Sie mich fragen: Käme ich selbst mit Covid-19 ins Krankenhaus und hätte Atemprobleme, ohne dass ich schon an die künstliche Beatmung angeschlossen werden müsste – dann würde ich mir wünschen, Remdesivir möglichst bald zu bekommen.
Wie schätzen Sie die Entwicklung der Pandemie in Deutschland mit ständig steigenden Infektionszahlen ein?
Wir haben die Lage im Moment gut unter Kontrolle. Das gilt für die Kölner Uniklinik wie auch für die anderen Häuser. Die Lage ist anders als im März: Damals wurden wir unvorbereitet mit einer Explosion der Fallzahlen von Covid-19 konfrontiert. Im Moment erleben wir einen langsamen Anstieg, und wir sind überzeugt, dass wir Intensivbetten, Beatmungsgeräte und auch Schutzausrüstung in einem Maß vorhalten, das uns nach allem Ermessen nicht an die Kapazitätsgrenze bringen wird. Es gibt allerdings ein großes Aber, das mir in der Diskussion bei weitem zu kurz kommt.
Welches Aber?
Der entscheidende Engpass könnte beim medizinischen Personal liegen. Im Winterhalbjahr ist der allgemeine Krankenstand schon einmal per se höher. Bei einem weiteren Voranschreiten der Pandemie erhöht sich das Risiko einer Covid-Erkrankung auch des Personals in den Kliniken, vor allem aber die Wahrscheinlichkeit der Kontakte zu Erkrankten, was dann sofort in die Quarantäne führt. Das wird die ohnehin vorhandene Versorgungslücke massiv vergrößern. Und darin sehen wir derzeit das größte Problem.
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Wie kann es bewältigt werden?
Die zwingende Konsequenz lautet: Wir dürfen in unseren Bemühungen, die Ausbreitung des Virus einzudämmen, jetzt auf keinen Fall nachlassen. Das ist von entscheidender Bedeutung auch für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems. Zusätzlich wird man dann noch spezielle Schutzvorkehrungen für das medizinische Personal ergreifen können, etwa mit intensivierten Tests, die bei negativem Ausgang das Weiterarbeiten erlauben. Wir fahren bei uns in der Uniklinik bereits ein solches Programm, das aufwendig, aber effektiv ist. Bei einer Verschärfung der Pandemie wird man nicht umhin kommen, diese Anstrengungen sogar noch auszuweiten.