AboAbonnieren

Kölner Sportprofessor„Schöne Botschaft: Winterkälte frisst Kalorien auf“

Lesezeit 6 Minuten
Ingo Froböse

Ingo Froböse

Der Kölner Sportwissenschaftler erklärt, wie man es schaffen kann, bei Kälte weniger schnell zu frieren und warum kühlere Räume schlank machen.

Herr Froböse, manche Menschen frieren viel schneller als andere. Woran liegt das?

Vor allem Mädchen und Frauen frieren oft schneller. Das hat verschiedene Ursachen. Dünnere Menschen oder Sportler haben oft wenig Unterhaut-Fettgewebe, die Isolationsschicht fehlt also. Zu wenig Muskelmasse kann auch ein Problem sein, weil Muskulatur und Wärmeproduktion oft unmittelbar zusammenhängen. Frauen haben im Schnitt zehn Prozent weniger Muskelmasse. Bei einigen Menschen läuft auch der Stoffwechsel langsamer, dadurch wird ebenfalls weniger Wärme produziert.

Wer zu viele Kilos auf den Hüften hat, friert also immerhin weniger?

Genau. Korpulentere Menschen frieren fast nie. Sie haben evolutionsbedingt größere Vorteile, mit Kälte klarzukommen.

In südlichen Ländern sieht man die Einheimischen oft schon in Jacken und langen Hosen, während man selbst noch im Sommer-Outfit unterwegs ist. Ist Kälteempfinden länderspezifisch?

Es gibt auf jeden Fall regionale Unterschiede in Europa. Wenn wir in die Sommerferien fahren, dauert es auch zwei bis drei Wochen, bis wir uns an die Hitze adaptiert haben. Auch an Kälte müssen wir uns gewöhnen. Wenn es in Spanien oder Italien unter 10 Grad geht, sind die Menschen dort nicht gut vorbereitet.

Was passiert im Körper, wenn man friert?

Frieren ist ein Angriff auf die Körpertemperatur – und die ist wichtig, um alle biologischen Prozesse stattfinden zu lassen. Unsere Körperzellen brauchen eine gewisse Temperatur, damit alles optimal funktioniert. Wenn Kälte auf den Körper trifft, führt das zu Mechanismen, die die Körpertemperatur stabil halten sollen. Zuerst wird mehr Blut aus der Peripherie gezogen, um die inneren Organe besser mit Wärme zu versorgen. Darüber hinaus verengen sich die Blutgefäße, damit weniger Wärme über die Haut nach außen abgegeben wird. Der Körper schützt sich gegen den Kältereiz. Sobald der größer wird, fangen wir an zu frieren. Dann reagiert das Immunsystem: Der Körper löst bestimmte Reaktionen aus.

Zähneklappern zum Beispiel?

Genau. Über den Kopf passiert sehr viel Temperaturregulation, weil dieser der Kälte am meisten ausgesetzt ist. Zähneklappern bedeutet, dass Muskelaktivität stattfindet, die unsere Körpertemperatur erhöht. Während das Blut in den äußeren Muskeln anfangs entzogen wurde, um die inneren Organe gut zu durchbluten, läuft das Blut beim Zittern wieder zurück, weil die Muskeln auf voller Tour arbeiten müssen. Wir haben überall in unserem Körper Temperatursensoren, die sagen: Nee, das reicht mir jetzt nicht aus. Wenn die Muskelzelle zu kalt wird, muss sie entsprechend produzieren, und da wir nicht plötzlich mehr Blut bekommen, muss es schneller fließen. Der Blutdruck erhöht sich also und auch die Herzfrequenz. Die Gefäße werden von eng wieder auf weiter gestellt, damit das Blut schnell fließen kann.

Was passiert im Körper, wenn man die Lippen oder Hände vor lauter Kälte kaum noch bewegen kann?

Das Blut geht ja aus der Peripherie nach innen. Dabei wird das Blut nicht einfach nur verlagert, sondern auch die Viskosität verändert sich. Das heißt, dass sich die verschiedenen Schichten nicht mehr so gut gegeneinander bewegen können. Das trifft auch für die Gelenke oder das Gewebe zu. Wenn wir uns dann ein bisschen bewegen und aufwärmen, läuft wieder alles reibungsfreier.

Mal angenommen, diese ganzen Prozesse im Körper reichen nicht aus, weil es einfach zu kalt ist. Was passiert dann?

Das kann es zu Erfrierungen kommen. Das kennen wir von Bergsteigern. Da ist dann sehr viel Blut aus ins Innere gegangen, weil der Körper Herz, Niere oder die Leber schützt. Irgendwann sagt der Körper: Die Zehen und die Fingerspitzen, die opfere ich auf dem Altar der Wärmeproduktion. Nekrotisches Gewebe entsteht durch Unterversorgung, weil zu wenig Blut, Sauerstoff und zu wenig Nährstoffe vorhanden sind. Von Reinhold Messmer wissen wir, dass er ein paar Zehen auf dem Berg verloren hat.

Kommt bei Bergsteigern auch noch die dünne Luft dazu?

Definitiv. Obwohl die Bergsteiger sich so gut gegen die Kälte rüsten, drohen Erfrierungen. Denn die dünne Luft hat wenig Sauerstoff, dazu noch die Kälte und dann noch das Phänomen der Gefäßverengung, um das Blut in der Körpermitte zu halten. Das ist wirklich eine Todeszone.

Gerade den frierenden Frauen würde ich immer empfehlen: Denkt an eure Muskulatur.
Ingo Froböse

Zurück zur Kälte im Rheinland: Ich kann also übermäßiges Frieren verhindern, indem ich Muskeln aufbaue?

Ganz genau. Die Alternative ist die Fettschicht, die man sich anfuttern kann. Die gefällt mir aber nicht so gut, weil sie andere Probleme mit sich bringt. Alle Tiere, die in den Winterschlaf gehen, machen das so. Aber die verlieren ihr Fett zum Ende des Winters auch wieder, was bei uns leider nicht der Fall ist. Die bessere Strategie ist also der Muskelaufbau als wichtigster Wärmeproduzent. Gerade den frierenden Frauen würde ich immer empfehlen: Denkt an eure Muskulatur! Das geht im Winter auch wunderbar zu Hause mit dem eigenen Körpergewicht. Ein Beispiel ist die tiefe Kniebeuge. Wer immer wieder hoch und wieder runtergeht, als würde er sich auf einen Stuhl setzen, der trainiert damit die Wadenmuskulatur, die Oberschenkel und das Gesäß und damit die großen Muskelgruppen, die am effizientesten für die Wärmeproduktion sind. Das macht man am besten so lange, bis der Muskel blau ist. Blümerant, wie wir hier im Rheinland sagen.

Ich sehe doch von außen nicht, ob mein Muskel blau wird.

Aber Sie spüren es. Wenn Sie mal die Treppe hoch in die dritte Etage gehen, wissen Sie: Das ist blümerant, also genau die richtige Belastungssituation. Wir machen also bitte so viele Kniebeugen oder andere Belastungen für Bauch oder Rücken, für Oberarme oder Schultern, bis die Muskulatur müde ist, bis sie zu wenig Energie und Sauerstoff bekommt. Die Muskulatur muss brennen, da ist die Treppe oder die Kniebeuge genau der richtige Reiz.

Ingo Froböse: Muskelwachstum braucht Zeit

Wie schnell kann ich denn meine Körper-Heizung aktivieren – klappt das mal eben von Oktober auf November?

Wäre schön, wenn es so wäre. Allerdings wissen wir mittlerweile, dass sich Muskelwachstum schon nach zehn bis zwölf Tagen einstellt, auch wenn es noch nicht richtig sichtbar ist. Es wird mehr Eiweiß eingelagert in den Zellen. Und das ist ein wichtiges Stichwort: Wer Muskelwachstum haben möchte, sollte dem Körper den Baustoff dafür geben: das Protein. Sichtbare Muskel-Veränderungen treten nach vier Wochen auf, aber um wirklich Volumen gegen die Kälte zu haben, dafür brauche ich sicher drei Monate.

Manchmal wird einem nach dem Sporttreiben eher kalt als warm. Woran liegt das?

Das bedeutet, dass der Sport zu intensiv war und Reparatur und Regenerationsprozesse notwendig sind. Darum sollte man im Winter auch langsamer laufen als sonst.

Ist Abhärten hilfreich, um weniger schnell zu frieren?

Ja. Wer sich abhärtet, kann mit Kälte oder Wärme besser umgehen. Wer aus der Sauna kommt und ins Eisbecken reinspringt, braucht erst einmal Überwindung für diesen Kältereiz. In kleiner Form kann man das auch mit Wechselduschen machen.

Die Energiepreise sind stark gestiegen, viele heizen deshalb weniger. Was sagt der Sportwissenschaftler zu kälteren Räumen?

Kältere Räume sind physiologisch gesehen sinnvoll. Diese 21 bis 22 Grad, die wir so gerne haben, führen dazu, dass bestimmte Prozesse im Körper nicht mehr stimuliert werden. Als Grundtemperatur reichen uns 19 Grad, damit kommt der Körper wunderbar klar. Man darf zu Hause auch durchaus mal aufstehen und sich bewegen, um die Muskulatur zu aktivieren. Die schöne Botschaft: In den Wintermonaten frisst niedrige Temperatur auch Kalorien auf, weil der Körper seine Heizung selbst anwerfen muss. Wir nehmen also ab.