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Laufen, sprechen, essenWie es ist, nach dem Koma alles noch einmal neu lernen zu müssen

Lesezeit 6 Minuten
Hildegard Bender steht in ihrem Garten in Porz.

Hildegard Bender aus Porz lag fünf Wochen im Koma und musste alles neu lernen.

Hildegard Bender (64) aus Porz lag fünf Wochen im Koma und musste danach alles neu lernen: Sprechen, laufen, essen, schreiben. Hier erzählt sie, was schon gut klappt und was sie besonders vermisst.

„Im März hatte ich eine Lungenentzündung und wurde dann im Krankenhaus Merheim nach einem Luftröhrenschnitt für fünf Wochen ins künstliche Koma gelegt. In dieser Zeit wurde ich beatmet und künstlich ernährt. Irgendwann hat man mich dann ganz langsam wieder aufgeweckt. Daran kann ich mich aber nicht mehr erinnern, auch nicht daran, dass meine Töchter aus Berlin zu Besuch waren. Das weiß ich nur von meinem Mann, der mir heute noch viel aus dieser Zeit erzählt. Anfangs hat er mich nur häppchenweise informiert und einiges ausgelassen, zum Beispiel, dass es lange Zeit so aussah, als würde ich nicht überleben.

Ich konnte nicht sprechen und nicht laufen

Als ich dann wach war, war ich froh, dass ich wusste, wer ich bin und meinen Mann erkannt habe. Aber ich konnte nicht mit ihm sprechen, es ging einfach nicht. Ich wollte dann meine Frage an ihn aufschreiben, aber das ging auch nicht. Ich hatte verlernt zu schreiben. Es hat Tage gedauert, bis ich wieder etwas sagen konnte. Dabei rede ich normalerweise gerne und viel. Das war furchtbar. Ich konnte mich auch nicht mehr daran erinnern, wie man geht. Bis heute kann ich nur schrittweise mit einem Rollator unterwegs sein. Ich kam mir so unzulänglich und beschnitten vor, so ausgegrenzt. Als wenn ich von heute auf morgen einen Schlaganfall bekommen hätte. Ich konnte mir ja auch nicht erklären, warum das so ist, weil ich gar nicht wusste, dass ich fünf Wochen im Koma gelegen hatte.

Als ich wach war, wollte ich so schnell wie möglich nach Hause. Das war aber nicht so einfach, weil ich vieles noch nicht konnte, vor allem nicht gehen, und in unserem Haus Schlafzimmer und Badezimmer oben liegen. Mein Mann hat dann für mich einen Toilettenstuhl und einen Rollator besorgt. Waschen musste ich mich anfangs im Bett. Als ich das erste Mal wieder auf meinen eigenen Füßen stand, war ich überwältigt, ein Gefühl, das ich schlecht beschreiben kann. Der Kopf sagt einem zwar, dass man das kann, aber so war es ja nicht.

Momentan gehe ich zweimal die Woche zur Ergotherapie und muss zum Beispiel lernen, einen Ball zu fangen oder Memory zu spielen. Das ist für mich sehr schwierig. Ich gehe auch zu einer Neurologin, damit meine Nerven wieder funktionieren. Ich muss auf einem Fahrrad fahren und jeden Tag spazieren gehen, das fällt mir schwer. Ich bin nach zehn Minuten erschöpft und muss mich wieder setzen. Auch meine Depressionen sind viel stärker geworden. Ich glaube, ich muss wieder in eine Therapie, um das alles zu verarbeiten. Man weiß vielleicht nicht bewusst, was man alles erlebt hat im Koma, aber es ist trotzdem noch da. Ich habe heute noch ganz extreme Träume, die mich verschrecken und die mir Angst machen, von denen ich schweißgebadet aufwache. Das ist eine Erfahrung, die ich niemals mehr machen möchte.

Ohne meinen Mann wäre ich aufgeschmissen

Durch das Koma habe ich alles vergessen und musste alles wieder neu lernen. Sprechen, laufen, wie man eine Gabel hält und wie man sich anzieht. Was ich besonders schlimm finde, ist, dass ich nicht mehr Autofahren kann, das habe ich immer sehr gerne gemacht. Vieles muss jetzt mein Mann für mich machen, zum Beispiel einkaufen gehen und meine Medikamente sortieren, die ich wegen verschiedener Vorerkrankungen nehmen muss. Ohne meinen Mann wäre ich komplett aufgeschmissen. Der ist mein Gedächtnis.

Ich fühle mich so hilflos, als wären mir die Hände und die Beine abgeschnitten worden. Wenn wir über die Straße gehen, warte ich ewig, damit ja kein Auto kommt, weil ich Angst habe, nicht schnell genug zu sein. Kochen fällt mir immer noch schwer, dabei habe ich das früher mit links gemacht und jeden Tag für unsere drei Töchter, meinen Mann und mich Essen zubereitet. Heute muss ich auf das Dr. Oetker-Schulkochbuch zurückgreifen. Ich weiß die Dinge nicht mehr. Beim Backen vergesse ich manchmal Mehl oder Eier. Auch Lesen klappt nicht mehr, dabei bin ich eigentlich eine unheimliche Leseratte. Aber ich kann mich nicht mehr konzentrieren und muss jede Seite zwei oder drei Mal lesen. Es dauert einen Monat, bis ich ein Buch durch habe. Auch Filmen kann ich nicht mehr folgen. Früher beim Tatort wusste ich immer sofort, wer der Mörder ist. Jetzt verstehe ich die Zusammenhänge nicht mehr und schalte bei der Hälfte ab, weil ich nicht mehr mitkomme. Meine Mutter war dement, an ihr bin ich oft verzweifelt. Ich fand es lästig, dass sie so viel vergisst. Jetzt geht es mir genauso.

Alleine bekomme ich Panikattacken

Ich habe viel mit unserem Nachbarn geredet, der auch im Koma gelegen hat und dem eine Reha sehr geholfen hat. Darüber denke ich jetzt auch nach. Mein Mann würde zum Glück mitkommen, ich kann ohne ihn auch gar nicht mehr sein. Wenn ich alleine bin, kriege ich sofort Panikattacken und Angstzustände. Wenn mein Mann nicht da ist, muss ich mich vor den Fernseher setzen, um abgelenkt zu sein. Von Bekannten und Freunden habe ich mich sehr zurückgezogen. Wir sind jetzt immer zu zweit, mein Mann und ich. Wir sind seit 50 Jahren zusammen. Das ist ganz toll, aber wir kennen uns natürlich auch sehr gut. Man möchte auch mal andere Eindrücke haben. Das ganze Zwischenmenschliche hat bei mir sehr gelitten. Kurz nach dem Koma habe ich Besuche immer abgeblockt, das war mir zu viel. Jetzt will ich es wieder versuchen.

Vieles kann ich nicht mehr oder nicht mehr so gut, aber einige Dinge funktionieren im Großen und Ganzen okay. Am meisten freut mich, dass ich nach und nach wieder kochen kann. Anziehen finde ich weiterhin schwierig. Ich bin kein besonders modischer Mensch, habe aber immer sehr darauf geachtet, nicht zu grell gekleidet zu sein und Rot und Orange nicht zu kombinieren. Heute muss ich ganz genau überlegen, was zusammen passt und was nicht. Ich kaufe auch viele Dinge, die wir eigentlich schon haben, neulich zum Beispiel einen Wasserkocher. Obwohl der in der Küche steht und ich ihn jeden Tag sehe, habe ich das einfach vergessen. Da gibt es sehr viele Konflikte mit meinem Mann, weil ich so viel unnützes Geld ausgebe. Was mir richtig fehlt, ist wieder am Leben teilzunehmen. Dass ich rausgehen kann und mittendrin bin, nicht mehr so eingesperrt und abseits. Ich arbeite daran, dass sich das ändert.“