Lecanemab soll Alzheimer verlangsamen. Wann das Medikament in Köln erhältlich sein wird, erklärt Professor Frank Jessen von der Uniklinik.
Neues Alzheimer-MedikamentKölner Professor: „Wissenschaftlich ist das ein absoluter Durchbruch“

Prof. Dr. Frank Jessen spricht im Domforum über Alzheimer und neue Therapiemöglichkeiten.
Copyright: Uwe Weiser
Herr Professor Jessen, in der vergangenen Woche wurde das erste echte Alzheimer-Medikament in der EU zugelassen. Lecanemab kann das Fortschreiten der Krankheit bremsen, bislang konnte man nur Symptome lindern. Ist das der Durchbruch? Wie euphorisch sind Sie?
Frank Jessen: Was das Behandlungskonzept angeht, bin ich sehr euphorisch. Wir sind hier an einem Wendepunkt angekommen. Wir können die Erkrankung in ihrer Biologie diagnostizieren. Das geht erst seit den 2000er-Jahren. Und wir können sie jetzt mit einer ersten Therapie kausal behandeln. Wissenschaftlich ist das ein absoluter Durchbruch. Das kann man gar nicht anders bezeichnen.
Aber ich sage auch: Es ist der erste Schritt und die konkrete Wirkung ist deshalb noch begrenzt. Das ist in der Medizin meistens so. Gucken Sie sich zum Beispiel die Krebstherapien an. Zu Beginn hat man Krebspatienten starken Chemotherapien mit vielen Nebenwirkungen ausgesetzt und damit oft nur kurze Überlebensverlängerungen erreicht. Heute ist die Therapie viel differenzierter, viel besser verträglich. Auch bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer werden wir in den kommenden Jahren durch verbesserte und Kombinationstherapien stärkere Effekte erreichen. Derzeit zeigen Studien, dass das Medikament die Krankheit um zirka sechs Monate bremst, wenn wir aber künftig ganz frühe Erkrankungsphasen erkennen, dann glaube ich, kann man Patienten auch über mehrere Jahre mit guter Lebensqualität stabilisieren.
Ab wann wird das Medikament hier in Köln verfügbar sein? Also auch an der Uniklinik?
Zunächst müssen noch die erforderlichen Dokumentationen bereitgestellt und behördlich genehmigt werden. Wahrscheinlich ab Herbst oder Ende des Jahres werden wir dann erstmalig Patientinnen und Patienten in der frühen Phase der Alzheimer-Krankheit damit behandeln können.
Wie viele können profitieren und für welche Patienten ist das Medikament vor allem geeignet?
Das Medikament ist nur für Patientinnen und Patienten geeignet, die sich in der sehr frühen Phase der Krankheit befinden. Es gibt noch weitere Ausschlusskriterien, sodass es sich letztlich nur um eine begrenzte Untergruppe von Patienten handelt, die das Medikament bekommen wird.
Früherkennung ist ein gutes Stichwort. Bislang ist die Diagnose der Krankheit aufwändig. In Kürze soll es aber einen Bluttest geben, mit dem man Alzheimer diagnostizieren kann, selbst wenn die Symptome noch gering ausgeprägt sind. Werden sich künftig auch 40-Jährige schon vorsorglich screenen lassen?
Ein Screening von Menschen ohne Beschwerden ist erstmal nicht sinnvoll. Das würde auch zu falschen Diagnosen führen. Nicht jeder, der Amyloide, also die Proteinanreicherungen der Alzheimer-Krankheit, im Gehirn entwickelt, erkrankt auch an einer Demenz. Es gibt beispielsweise die berühmte Nonnenstudie, die gezeigt hat, dass Ordensschwestern mit vielen Ablagerungen zu Lebzeiten keinerlei kognitive Beeinträchtigungen hatten. Ein breites Screening würde also viele Menschen verunsichern und falsche Panik schüren. Menschen ohne Symptome würde man zudem schon wegen der Kosten, aber auch der Nebenwirkungen der neuen Medikamente nicht behandeln. Der Blutbiomarker für Alzheimer könnte aber helfen, bei Menschen mit Symptomen die Alzheimererkrankung auszuschließen. Das kann dann sehr stark beruhigen.
Vielleicht skizzieren Sie noch mal, wie so eine Therapie mit diesen Medikamenten aussieht. Das ist ja keine Tablette, sondern eine Infusion und dadurch recht aufwendig. Sind die Kliniken darauf vorbereitet?
Patienten bekommen alle 14 Tage eine Infusion, das ist in der Tat relativ aufwendig. Das Ganze wird von vier MRTs im ersten Jahr begleitet. Vorbereitet sind wir, die Frage ist aber natürlich, wie vielen Patienten können wir das bei den gegebenen Ressourcen anbieten? Das kann ein Flaschenhals sein. Es ist aber auch eine subkutane Spritze in der Entwicklung, die können sich Betroffene dann zu Hause selbst ins Unterhautgewebe spritzen, wie das heute schon bei Insulin möglich ist.

Mit Moderatorin Claudia Lehnen vom „Kölner Stadt-Anzeiger“ spricht Professor Frank Jessen über neue Therapiemöglichkeiten bei Alzheimer: „Für die Hirngesundheit ist es nicht gut, dass wir in Rente gehen“.
Copyright: Uwe Weiser
Wir haben über die Chemotherapie gesprochen, die heute viel zielgerichteter einsetzbar ist. Sehen Sie das auch bei Alzheimer? Es wird an einer Art Shuttle geforscht, der das Medikament ganz zielgerichtet ins Gehirn bringen kann. Dann wäre ja vielleicht eine höhere Dosierung denkbar.
Ja, dazu gibt es bei uns in der Gedächtnisambulanz sogar derzeit eine Studie. Man muss wissen, dass die Blut-Gehirn-Schranke dafür sorgt, das Gehirn zu schützen, aber eben auch 999 Antikörper von 1000, die wir in die Vene spritzen, gar nicht im Gehirn ankommen lässt. Das ist also sehr ineffizient. Deshalb forscht man nun an einem Brain-Shuttle. Die Antikörper werden dabei an ein Transporter-Protein geknüpft und so an der Schranke vorbei ins Gehirn geschleust. Die ersten Erkenntnisse sind vielversprechend, auch die Nebenwirkungen scheinen sich dadurch zu verringern. Da zeichnet sich schon eine weit effektivere Therapie am Horizont ab. Die Studien werden aber erst in drei bis vier Jahren fertig sein.
Die ersten Anzeichen von Alzheimer sind Gedächtnisstörungen. Muss ich mir Sorgen machen, wenn mir ein Name gerade nicht einfällt?
Das Gehirn unterliegt auch ohne Erkrankung einem normalen Prozess des Älterwerdens, genau wie jedes andere Organ. Das Abrufen von Namen verschlechtert sich also auch beim gesunden Älterwerden. Ein wichtiger Unterschied: Irgendwann fällt uns der Name wieder ein. Ein Alarmsignal ist, wenn das Umfeld eine Veränderung bemerkt. Der Partner kann sich nicht mehr erinnern an Dinge, die man besprochen hatte, die Mutter verläuft sich, der Vater vermeidet Schreibtischarbeit, weil er die Gegenstände dort nicht mehr überblicken kann. Einmal ist kein Problem, aber als Muster über Wochen und Monate schon.
Guter Schlaf säubert das Gehirn von schädlichen Ablagerungen heißt es. Hilft demjenigen, der schlecht schläft, auch ein Schlafmittel beim Saubermachen?
Diese Gehirnsäuberung findet nach heutigen Erkenntnissen in den Tiefschlafphasen statt. Leider bringen uns die meisten Schlafmittel nicht unbedingt in diese Tiefschlafphase. Ich würde deshalb eher eine klare Schlafhygiene empfehlen. Es gibt inzwischen auch gut wirksame Apps, um seinen Schlafrhythmus zu optimieren. Wenn das gar nichts bringt, dann kann ein Nervenarzt vielleicht Medikamente verschreiben, die die Tiefschlafphasen nicht beeinträchtigen, z.B. einzelne Antidepressiva. Die machen nicht abhängig und dazu gibt es tatsächlich auch Studien, die untersuchen, ob diese Medikamente auch vor Demenz schützen können.
Die Wahrscheinlichkeit zu erkranken, steigt ab 60 bzw. 70 Jahren. Das ist genau die Zeit, in der die meisten Menschen in Rente gehen. Gibt es da einen Zusammenhang? Was kann helfen?
In der Tat sehen wir in der Gedächtnisambulanz häufig Menschen, die vor drei oder vier Jahren in Rente gegangen sind und plötzlich an Demenz erkranken. Viele freuen sich zwar darauf, in der Rente nichts mehr zu tun zu haben. Die Wahrheit aber ist: Durch Sitzen im Garten und die Sonne genießen wird das Gehirn nicht trainiert. Für die Hirngesundheit ist es nicht gut, dass wir in Rente gehen und dann nichts mehr machen. Dem Hirn würde es dann besser bekommen, wenn wir länger arbeiteten. Die Menschen müssen ihren Kopf aktiv halten. Ich rate also jedem, sich schon vor dem Ruhestand Gedanken zu machen, was er sinnstiftendes mit seiner Zeit anfangen kann. Ich habe einen Freund, der hat sich das Saxophonspielen beigebracht. Ein anderer wurde zum Heimwerker und hat sein Haus komplett umgebaut. Außerdem sind soziale Kontakte wichtig: Familie, aber auch Freunde, ein Ehrenamt.
Sie sagen, der Mensch muss sein Gehirn auf Trab halten. Können wir es auch überanstrengen? Kann der Speicher vielleicht auch übervoll sein?
Eigentlich nicht. Anders als einen Muskel kann man das Gehirn nicht überlasten. Da kann man sicher sein.
Die Bevölkerung wird älter, deshalb wächst auch die Zahl der von Demenz Betroffenen. Aber hat sich auch unser Lebensstil auf eine Weise verschlechtert, der das Gehirn schädigt?
Das Gegenteil ist vermutlich der Fall. Gerade was Herz-Kreislauf-Erkrankungen betrifft, weiß man schon seit den 70er Jahren, dass ein gesunder Lebensstil schützt. Also haben die Menschen angefangen, mehr Sport zu treiben, weniger zu rauchen. 2013 hat dann eine Arbeit aus England bewiesen, dass diese Lebensweise auch vor Demenz bewahrt. Diese Erkenntnis ist eingeschlagen wie eine Bombe. Vorher dachte man immer, Demenz ist ein Schicksal, gegen das man nichts tun kann. Das stimmt aber nicht. Alles, was fürs Herz gut ist, hält auch das Gehirn fit und andere Organe auch. Eigentlich ist die Erkenntnis plausibel. Die Natur hat Alterungsprozesse in unseren Körper eingepflanzt, häufig sind das zum Beispiel chronische Entzündungsprozesse in den Organen. Dies führt dazu, dass unser Körper altert und irgendwann stirbt. Der Trick ist also, diese Alterungsprozesse hinauszuzögern. Das gelingt zum Beispiel mit guter Ernährung und Bewegung. Das ist doch eine gute Nachricht.