Nach der DiagnoseWie viel Einfluss die Psyche auf eine Krebs-Erkrankung hat
Hamburg – Als Sabine Dinkel vor zwei Jahren erfuhr, dass sie an fortgeschrittenem Eierstockkrebs erkrankt war, sah sie sich schon auf dem Friedhof. Als sie den ersten Schock überwunden hatte, machte sie sich auf die Suche nach hilfreicher Ratgeber-Literatur. Doch was sie fand, deprimierte sie nur noch mehr. Viele Bücher suggerierten ihr: Du bist selbst schuld. Weil du falsch gelebt hast. Weil du nicht genug auf dich geachtet hast.
In der Bevölkerung hält sich hartnäckig der Glaube, dass Krebs psychisch bedingt sei. In einer repräsentativen Umfrage des Krebsinformationsdienstes des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) stimmten 61 Prozent der Aussage zu, dass seelische Belastungen und Stress Krebs auslösen können. Eindeutige wissenschaftliche Belege dafür gibt es nicht. Im Gegenteil.
„Wissenschaftlich nicht haltbar“
Imad Maatouk, Psychoonkologe am Universitätsklinikum Heidelberg erklärt: „Die Vorstellung, dass man aufgrund seiner Persönlichkeitsmerkmale, durch Stress am Arbeitsplatz oder weil man eine wichtige Person verloren hat, an Krebs erkrankt, ist wissenschaftlich nicht haltbar.“ Ob jemand Krebs bekommt, hänge von mehreren Faktoren ab: von genetischen Einflüssen, von Verhaltensrisiken – wie dem Rauchen – und vom Zufall.
Ebenfalls keine Belege gibt es für die These, dass eine positive Lebenseinstellung den Ausbruch oder das Wiederkehren einer Krebserkrankung verhindern kann. Das in Ratgeberbüchern häufig propagierte Konzept des „Positiven Denkens“ sieht Maatouk daher sehr kritisch. Trotzdem hält er subjektive Krankheitstheorien von Patienten nicht grundsätzlich für schlecht. Auch wenn viele Vorstellungen wissenschaftlich nicht haltbar sind, hätten sie doch eine Funktion. Gerade zu Beginn einer Erkrankung könnten sie ein Gefühl von Kontrolle über die Krankheit vermitteln.
Der Umgang mit der Krankheit: Der Angst einen bescheuerten Namen geben
Zwar kann die Psyche den Krebs nicht heilen – mit den richtigen Strategien lassen sich aber das Wohlbefinden und die Lebensqualität verbessern. Etwa 30 Prozent der Krebspatienten bekommen aufgrund ihrer Krankheit psychische Probleme, berichtet Susanne Weg-Remers, Leiterin des Krebsinformationsdienstes am DKFZ. Manchen Betroffenen helfen bei innerer Unruhe und Angst Entspannungstechniken. Viele benötigen eine Psychotherapie.
Bei Sabine Dinkel war es der Humor, der sie ins Leben zurückholte. Weil sie kein lustiges Ratgeberbuch fand, schrieb sie selber eins: „Krebs ist, wenn man trotzdem lacht“. Darin erfindet sie zunächst einmal neue Wörter für ihr neues Leben. Ihre Krankheit nennt sie „Schnieptröte“, ihre Angst „Hildegard“.
Betroffene lieber direkt fragen, was sie brauchen
Wie das Umfeld auf die Erkrankung reagiert, ist für die Betroffenen oft schwierig. „Die Angehörigen können Hilfe bieten, sie können aber auch für zusätzliche Belastung sorgen“, sagt Weg-Remers. Sie rät Freunden und Familienmitgliedern, nicht zu überlegen, was sie selbst in einer solchen Situation erwarten würden, sondern die Betroffenen direkt zu fragen, was sie brauchen.
Sabine Dinkel ist genervt von gut gemeinten Bemerkungen ihrer Bekannten. Im Krankenhaus hat sie daraus ein Krebs-Bullshit-Bingo gemacht. Auf den Karten stehen typische Sätze, die sie von Gesunden nicht mehr hören kann: „Du musst nur positiv denken“, „Du schaffst das schon“.
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Nach der Chemo kam der Krebs zurück
Dinkels Krebs kam ein Jahr nach der Chemotherapie zurück. „Davor dachte ich immer: Wenn das passiert, haut es mich aus den Schuhen. Aber das war gar nicht so.“ Sie rief ihr Umfeld dazu auf, ihr in die Klinik Postkarten mit Aufgaben zu schicken, die sie zum Lachen bringen sollten. „Giggel-Chemo“ nannte sie das Konzept. Sie hat ihre Situation akzeptiert: „Ich werde wahrscheinlich nicht so alt wie Johannes Heesters, aber ich kann noch ein schönes Leben haben.“ (dpa/tmn)