Resistente BakterienHäufig werden Antibiotika falsch oder zu viel eingesetzt
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Wahrscheinlich ist der Infektiologe Manson Meads Vater der Doktrin: Kürzer als eine Woche, teilweise sogar vierzehn Tage, heißt es seitdem in der Medizin, darf man ein Antibiotikum auf keinen Fall geben. „Die Packung unbedingt vollständig einnehmen“, wird deshalb den Patienten eingeschärft. Damals, zu Meads Zeiten, schien der Sieg über die Infektionskrankheiten noch in greifbarer Nähe zu sein. Alexander Fleming hatte 1928 mit dem Penicillin gerade ein Medikament entdeckt, mit dem sich die gefährlichen Keime besiegen ließen. Begeistert probierte man mit dem neuen Wundermittel herum und stellte fest: Bereits nach einem Tag war bei vielen Kranken das bedrohliche Fieber verschwunden. Meads wollte in Boston ganz sichergehen und riet den Kollegen, das Medikament selbst nach Verschwinden der Symptome noch zwei bis drei Tage weiterzugeben. Wo keine Erreger übrig bleiben, könnten sich auch keine an die Antibiotika gewöhnen. Wer sollte auch ahnen, dass die Sache ein schlimmes Ende nehmen würde.
Denn inzwischen droht die wichtigste Waffe gegen Blutvergiftungen, Lungen- oder Hirnhautentzündungen zunehmend ihre Wirkung zu verlieren. Viele Bakterien sind resistent geworden. In den Vereinigten Staaten muss man bereits mit Keimen kämpfen, gegen die 26 verschiedene Substanzen nichts mehr ausrichten können. Auf 25.000 Opfer schätzt man allein in Europa die Zahl der Menschen, die jährlich solchen multiresistenten Bakterien zum Opfer fallen. „Wenn die Entwicklung so weitergeht“, sagt Winfried Kern, Leiter der Infektiologie der Uniklinik Freiburg, „stehen wir bald bei manchen Erregern entweder mit leeren Händen da oder müssen schlechter verträgliche und unsichere Kombinationen einsetzen.“
Ein entscheidender Irrtum
Um das zu verhindern, darin ist er sich mit den meisten Experten einig, sollten die Ärzte nicht nur dringend sparsamer mit den Antibiotika umgehen. Sie sollten sie auch gezielter und vor allem kürzer einsetzen. Denn inzwischen hat sich herausgestellt, dass sich Meads in einem entscheidenden Punkt irrte. Selbst eine monatelange Therapie wird nie den allerletzten Krankheitserreger ausmerzen. Weil es immer Bakterien gibt, die die Resistenzen nicht erst entwickeln müssen. Sie hatten sie von Anfang an im Gepäck. Die meisten Antibiotika stammen ursprünglich selbst aus Mikroben, die sich mit ihnen schon seit Millionen von Jahren bekriegen.
Resistente Bakterien sind deshalb keine böse Laune der Natur, sie sind der Normalfall. Schon Alexander Fleming war, als er das Penicillin entdeckte, umgeben von Keimen, die in der Lage waren, das Mittel zu zerstören. Selbst in der eisigen Antarktis stößt man auf Keime, denen viele Medikamente nichts anhaben können. Zudem ist unter 100 Millionen Bakterien stets eines, das bei der Vermehrung zufällig einen Fehler in sein Erbgut einbaut und es weniger verwundbar macht. Und allein im Darm drängen sich auf einem Kubikzentimeter 100 Milliarden Keime, die ihre Zahl alle zwanzig Minuten verdoppeln können. Wer ein Penicillin oder Cephalosporin gibt, muss deshalb immer damit rechnen, dass er manchen Mikroben einen Gefallen tut. Weil er den resistenten Keimen freie Bahn verschafft. Sie müssen nun nicht mehr mit den Antibiotika-sensiblen Erregern um den knappen Raum und die beschränkten Nährstoffe kämpfen. Je länger die Therapie dauert, desto mehr Konkurrenten räumt das Mittel aus dem Weg. Und desto besser gedeihen die unempfindlichen Bakterien.
Anders als gedacht, geschieht das meist gar nicht am Ort der behandelten Krankheit. Der Mensch wird von 100 Billionen Bakterien besiedelt, die mit dem gleichen Medikament konfrontiert sind. Die meisten Resistenzen werden deshalb nicht in dem entzündeten Rachen oder Ohr gezüchtet, sondern weit entfernt im Darm oder an anderen Orten. Auch deshalb vermag eine längere Therapie zwar manchen Rückfall verhindern, aber nur selten eine Antibiotika-Unempfindlichkeit. Die entsprechenden Genabschnitte können zudem von den Bakterien untereinander ausgetauscht werden, ein Verhalten, zu dem die Arzneien sie teils sogar stimulieren. Manche Keime regen sie zudem an, ihre Mutationsrate zu steigern – vor allem bei chronisch infizierten Patienten.
Kürzere Therapien
Seit einigen Jahren versuchen Wissenschaftler deshalb ihr Glück mit kürzeren Zyklen. Bei Lungenentzündungen außerhalb des Krankenhauses, so fanden sie etwa heraus, reichen oft fünf statt der üblichen acht bis zehn Tage Therapie. Viel schneller als einst gedacht lässt sich auch eine Streptokokken-Angina bei Kindern oder eine chronische bakterielle Bronchitis besiegen.
„Eine Antibiotika-Therapie ist komplexer, als viele Kollegen denken“, sagt Winfried Kern. Für viele Ärzte ist sie offensichtlich zu komplex. Laut einer Studie in der Fachzeitschrift „Jama“ sind die Antibiotika, die in den Praxen verschrieben werden, in einem von drei Fällen gar nicht nötig. Beispielsweise weil die Mediziner Bakterien für den Auslöser einer Infektion halten, hinter der eigentlich Viren stecken. Und selbst wenn die Ärzte richtig liegen, greifen sie in der Hälfte aller Hals-, Nebenhöhlen- oder Mittelohrentzündungen zum falschen Antibiotikum. Weil es entweder gar nicht oder zu stark wirkt, also gleichzeitig auch noch viele unbeteiligte Keime attackiert.
Unwirksame Therapien
Auch in deutschen Krankenhäusern verschrieben manche Kollegen immer noch das gleiche Mittel, das sie seit zwanzig Jahren geben, sagt Sören Gatermann, der Leiter der Abteilung Medizinische Mikrobiologie an der Bochumer Universität. „Ihnen ist oft nicht klar, dass dieses Antibiotikum heute nicht mehr Standard oder unwirksam ist.“ Eine unwirksame Therapie fördert aber ebenfalls die Bildung von Resistenzen. Weil auch sie den unempfindlichen Bakterien ungefährliche Konkurrenz vom Hals schafft. Früher gingen die Ärzte zumindest davon aus, dass die Keime einen hohen Preis für ihre Überlebenskünste zahlen: Für eine Antibiotika-Unempfindlichkeit, dachte man, müssten diese andere Eigenschaften opfern. Nach dem Ende der Therapie wären sie deshalb anderen Bakterien nicht mehr gewachsen. Auch das hat sich leider als Irrtum erwiesen. „Es gibt Beispiele, in denen sich resistente Keime als fitter erwiesen haben als ihre sensiblen Konkurrenten“, sagt Guido Werner, Leiter des Nationalen Referenzzentrums für Staphylokokken und Enterokokken beim Robert Koch-Institut – unter ganz alltäglichen Bedingungen. Ein Schreckensszenario.