Schadstoffbelastung bei Menschen„Habe so viele Überschreitungen nicht erwartet“
Köln – Die Plastikverschmutzung ist eines der sichtbarsten Umweltprobleme unserer Zeit: Plastik im Meer, riesige Müllberge und nun: Plastik im Menschen. Ende März konnten Forschende aus den Niederlanden erstmals Mikroplastik im menschlichen Blut nachweisen. In 17 von 22 Blutproben fanden die Wissenschaftler der Vrije Universiteit Amsterdam die Kunststoffpartikel. In elf Blutproben wurden Rückstände von dem Kunststoff PET nachgewiesen. Das Kürzel kennt man normalerweise von Getränkeflaschen.
Eine großangelegte Studie auf europäischer Ebene veröffentlichte vor kurzem eine weitere erschreckende Nachricht: Es ist nicht allein das Mikroplastik im Blut, denn die Menschen in Europa sind teilweise bedenklich hoch mit Schadstoffen belastet. Und zwar zum Teil so hoch, dass gesundheitliche Schäden nicht ausgeschlossen werden können. Das klingt alarmierend, doch was bedeutet das genau?
Um welche Studie handelt es sich?
In Deutschland werden Daten über die Schadstoffbelastung der Menschen bereits seit 40 Jahren erhoben. Auf europäischer Ebene liegen diese Daten jetzt zum ersten Mal überhaupt vor, erklärt Marike Kolossa-Gehring, Toxikologin des Umweltbundesamtes (UBA), das für die Koordination des EU-Projekts verantwortlich war: „Das war jetzt das erste Mal, dass in diesem Umfang harmonisierte Messungen in ganz Europa durchgeführt worden sind – es ist also der erste Datensatz dieser Art.“ Seit 2017 haben die Mitarbeiter des UBA als Teil der Initiative HBM4EU Daten auf europäischer Ebene gebündelt, erhoben und bewertet.
Was sind die wichtigsten Ergebnisse der Studie?
„Die Menschen in Europa sind nicht so sicher vor gesundheitlichen Beeinträchtigungen aus der Umwelt, wie sie sein sollten“, resümiert Kolossa-Gehring. So wurden etwa bedenklich hohe Belastungen mit Weichmachern in der europäischen Bevölkerung nachgewiesen – obwohl diese bereits streng reguliert und zu großen Teilen verboten sind.
Dennoch wurden bei allen untersuchten Kindern und Jugendlichen fortpflanzungsschädigende Weichmacher gefunden. Der Stoff verbirgt sich hinter diversen Abkürzungen und wird verwendet, um Kunststoff biegsam zu machen, beispielsweise in PVC-Fußböden, in Plastikspielzeug oder in Produktverpackungen. Über die Nahrung und die Haut können die Weichmacher in den Körper gelangen.
Auch perfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) wurden im Blut aller Jugendlichen nachgewiesen. Bei bis zu einem Viertel der Jugendlichen wurden gar gesundheitlich bedenklich hohe Konzentrationen gefunden. Hinter den PFAS verbergen sich industriell hergestellte Chemikalien, die zum Beispiel in beschichteten Pfannen verwendet werden. Selbst die Toxikologin Kolossa-Gehring hätte nicht mit solchen Ergebnissen gerechnet: „Ich habe nicht erwartet, dass wir so viele Überschreitungen gefunden haben.“
Ist die Belastung mit Schadstoffen wirklich höher geworden?
Immerhin sind mittlerweile viele gefährliche Stoffe verboten, die vor ein paar Jahrzehnten noch verwendet wurden. Also sollte die Belastung doch geringer geworden sein? Tatsächlich sind die Regulierungen heute viel strenger als noch vor einigen Jahren. Dennoch lässt sich nicht bestimmen, ob die Menschen in Europa heute weniger belastet sind. „Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass es früher in Europa nicht ordentlich untersucht worden ist und es gar keine Daten gab“, erklärt Kolossa-Gehring. Wir haben demnach keine Vergleichswerte.
Somit ist es durchaus möglich, dass bereits Fortschritte erzielt wurden und die Schadstoffbelastung der Menschen in Europa heute geringer ist, als zuvor. Das eigentlich Skandalöse sei also, dass alle europäischen Länder zwar die Verschmutzung ihrer Gewässer und Böden dokumentieren und berichten müssen, findet die Expertin vom UBA, „aber für Menschen gibt es so eine Pflicht nicht.“ Mit der Studie habe man diese Kenntnislücke nun endlich schließen können.
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Das heißt: „Der Fortschritt besteht darin, dass wir uns jetzt überhaupt angucken, was die Schadstoffe im Körper für die Menschen bedeuten. Dadurch konnten wir auch einige Probleme besser identifizieren“, so die Expertin. Dennoch: „Ich würde nicht sagen, die Belastung ist unbedingt geringer geworden, sie ist nur anders geworden.“
Ein Beispiel sind wieder die Weichmacher, erklärt Kolossa-Gehring: „Die Belastung durch Weichmacher bleibt gleich, nur die Art der Belastung mit Weichmachern ändert sich. Weil wir eben das Phänomen sehen: Es wird ein Weichmacher verboten und durch einen anderen ersetzt. Der ist aber in der Regel toxikologisch um Größenordnungen schlechter untersucht, als der Verbotene.“
Wie kann ich mich vor Schadstoffen schützen?
Leider liegt hier noch immer sehr viel Verantwortung bei den Verbrauchern selber, das zeigt auch die HBM4EU-Studie deutlich. Die gute Nachricht aber lautet: Es ist möglich, sich vor den Schadstoffen zu schützen. „Höhere Belastungen tauchen auf, wenn Leute viel in Plastik verpacktes Essen zu sich nehmen, Getränke aus Plastikflaschen trinken, oder eben auch Fast Food essen“, weiß die Toxikologin. Wer also möglichst viel selber und mit frischen Zutaten koche, regional und saisonal einkaufe – am besten ökologisch angebaute Nahrungsmittel – der könne seine Belastung bereits deutlich senken.
Vermeiden sollte man es auch, Nahrungsmittel in Plastik- oder Aluminiumgefäßen aufzubewahren. Besser seien Behälter aus Glas und Edelstahl. Ein weiterer Faktor seien die Temperatur und die Lagerdauer. Man sollte Nahrungsmittel möglichst kühl lagern.
Apps können Orientierung bieten
PAK, PFAS, Phtalate: Als Verbraucher bekommt man schnell den Eindruck, erstmal ein Chemiestudium absolvieren zu müssen, bevor man wirklich weiß, was man eigentlich kauft.
Abhilfe schaffen verschiedene Apps, mit denen sich der Barcode zum Beispiel von Kosmetikprodukten scannen lässt. Sie liefern dann eine Einschätzung über möglicherweise schädliche Inhaltsstoffe.
Beispiele sind die App CodeCheck, Toxfox, Giftfrei einkaufen, Scan4Chem oder der Nabu Siegel Check.
Wichtig seien auch regelmäßiges Lüften und feuchtes Wischen der Wohnräume. Denn die Schadstoffe befinden sich auch in der Luft und lagern sich im Staub ab. Zudem empfiehlt die Expertin in Europa hergestellte Produkte zu kaufen. Denn über ein Register werden auf EU-Ebene Produkte gemeldet, die nicht den hiesigen Anforderungen entsprechen. Für den Kauf von Produkten rät die Toxikologin generell: „Als Grundregel sagen wir immer: Wenn es nach Plastik riecht, sollte man die Finger davon lassen! Denn wenn etwas riecht, heißt das: Da kommen Chemikalien raus.“