Schritte und Kalorien zählenSelbstversuch – Wie sinnvoll Fitnesstracker wirklich sind
Köln – Es ist kurz vor zwölf. Meine Herzfrequenz liegt bei 80 Schlägen pro Minute. 95 Kilokalorien sind verbrannt. 0 Minuten trainiert. 1.269 Schritte gemacht. Die bunten Ringe, pink, grün und blau, auf meiner neuen Apple Watch sind noch enttäuschend wenig ausgefüllt. Und siehe da: Ein paar Minuten später vibriert die Uhr und erinnert mich daran, auf meine Trainingsziele zu achten. Seit Weihnachten ziert die Smartwatch mein linkes Handgelenk und analysiert fleißig meinen Herzschlag, wie viele Kalorien ich verbrenne, wie häufig ich am Tag stehe, wie viele Schritte ich gehe und so weiter. Dabei habe ich mich immer wieder gefragt: Wie sinnvoll ist das eigentlich? Und was bringen mir all diese Daten? Mit Hilfe von Experten will ich deshalb herausfinden, welche Funktionen der Fitnesstracker wirklich hilfreich sind und wie sie am besten eingesetzt werden.
Sogenannte Wearables, darunter fallen Smartwatches, Fitnessarmbänder aber auch Earwear, liegen schon länger im Trend, ihre Funktionen werden immer vielfältiger. Allein 2020 hat sich der weltweite Absatz von Wearables gegenüber 2014 mehr als verfünfzehnfacht. Und auch in Deutschland wächst der Markt: 2020 wurden Produkte für rund 1,13 Milliarden Euro verkauft, 20 Prozent mehr als im Jahr zuvor.
Sportliche Fähigkeiten optimieren
„Es ist etwas, das uns die nächsten Jahre zunehmend begleiten wird“, sagt Prof. Dr. Wilhelm Bloch über Fitnesstracker. Der Sportmediziner von der Deutschen Sporthochschule Köln sieht in den Wearables eine gute Möglichkeit, die eigenen sportlichen Fähigkeiten zu optimieren – wenn die digitalen Helferlein richtig angewendet werden. Ein Beispiel: Mit Hilfe der Pulsmessung kann ein Sportler oder eine Sportlerin kontrollieren, ob beim Training die optimale Herzfrequenzzone belastet wird. Dafür muss allerdings die optimale Herzfrequenzzone bekannt sein. Und die ist abhängig von mehreren Faktoren: Alter, Gewicht, Größe, aber auch der gewünschte Trainingseffekt spielen eine Rolle. Bloch empfiehlt daher eine Trainingsberatung. Mithilfe von Fachleuten könne analysiert werden, wie ein Fitnesstracker für die eigenen Bedürfnisse am besten eingesetzt wird. Ohne eine Leistungsdiagnostik sei solch ein Gerät zwar immer noch besser als nichts. „Optimiert ist es aber bei weitem nicht“, meint der Sportmediziner.
Leistungsdiagnostik und Trainingsplanung
In Köln können Sie sich beispielsweise in der Sport- und Präventionsmedizinischen Praxis der Deutschen Sporthochschule Köln oder beim Kardiozentrum Köln beraten lassen. Einige Allgemeinmediziner sind auch in der Sportmedizin tätig und können ebenfalls eine Leistungsdiagnose durchführen. Sportmedizinische Untersuchungen werden unter Umständen ganz oder teilweise von der Krankenkasse übernommen, das sollte im Vorfeld abgeklärt werden. Über die Krankenkassen lassen sich oft auch direkt Ärzte suchen.
Problematisch findet Bloch die Daten von Fitnesstrackern, die nicht direkt über die Sensoren ermittelt werden können. Der Puls wird zum Beispiel mit optischen Sensoren gemessen. Schrittzahlen werden durch Bewegungssensoren ermittelt. Das passiert nicht fehlerfrei, Armbewegungen können fälschlicherweise als Schritte gedeutet werden. Aber die Daten können laut Bloch schon eine gute Grundlage für die Analyse der eigenen Aktivität darstellen. Angaben über den Energieverbrauch oder den Sauerstoffgehalt dagegen seien sehr unzuverlässig und dadurch leicht irreführend. Diese Daten werden über Algorithmen errechnet, welche derzeit laut Bloch bei vielen Fitnesstrackern zu fehlerbehaftet seien.
Kalorien sollten nicht im Fokus stehen
An mir selbst beobachte ich, dass mich der pinke Kalorienring auf meiner Smartwatch stört. Ich habe mich bereits dabei ertappt, meinen Grundumsatz auszurechnen und mit den im Schnitt laut Uhr verbrannten Kalorien zu kalkulieren, wie viel ich am Tag wohl zu mir nehmen darf. Diese Gedanken habe ich aber schnell wieder gestrichen. Das Kalorienzählen aus meinen Teenagerjahren soll bitte keine Renaissance erfahren.
Prof. Dr. Jens Kleinert spricht sich auch deutlich gegen die Messung des Energieverbrauchs per Fitnesstracker aus: „Von den Kalorien halte ich am allerwenigsten.“ Der Sportpsychologe von der Deutschen Sporthochschule Köln betont, dass der Aufbau von Fitness im Vordergrund stehen sollte – und nicht das Abnehmen. Und auch wenn ein Gewichtsverlust angestrebt wird, sollte der Fokus nicht auf den Kalorien liegen, zu einer Diät gehöre deutlich mehr. Grundsätzlich seien Fitnesstracker aber gute Motivationshelfer, findet Kleinert. Das Stecken von Zielen und deren Kontrolle sind laut dem Wissenschaftler wesentliche Teile der Motivation. Wichtig sei dabei aber, dass die Ziele auch erreichbar sind. „Wenn ich mich überfordere, geht der Schuss nach hinten los“, meint Kleinert. Deshalb plädiert auch er für eine Beratung im Vorfeld, bei der explizite, auf die Bedürfnisse und körperlichen Eigenschaften angepasste Trainingsziele formuliert werden sollten.
Das könnte Sie auch interessieren:
Als Motivations-Booster locken viele Fitnesstracker auch mit Wettbewerben, entweder innerhalb einer größeren Community oder privat mit Freunden und Familie. Kleinert empfiehlt, diese Funktionen zu Beginn auszuschalten. Damit laufen Anfänger schnell Gefahr, sich mit anderen zu vergleichen, die womöglich ganz andere Voraussetzungen haben als man selbst. Das könnte demotivierend wirken. Kleinert räumt aber ein, dass es natürlich auch Charaktertypen gibt, die sich durch den Vergleich mit anderen motiviert fühlen.
Mein Freund ist zum Beispiel so ein Typ. Als ich meine Smartwatch gerade mal ein paar Tage hatte, wollte er schon einen Wettbewerb starten. Also haben wir die Funktion zusammen ausprobiert. Der Erfolg im Wettbewerb wird daran gemessen, zu wie viel Prozent man seine Fitnessziele erreicht. Relevant sind folgende drei Bereiche:
1. Bewegen: Hier wird gemessen, wie viele Kalorien täglich verbraucht werden. Mein empfohlenes Ziel lag bei 570 Kilokalorien pro Tag. Wenn ich die also am Ende des Tages verbrannt habe, entsprach dies 100 Prozent. Das Ziel meines Freundes war niedriger, er hat also bei geringerem Kalorienverbrauch unter Umständen trotzdem mehr Punkte erreichen können. Richtig unfair, wie ich finde. Deshalb hat er sein Ziel im Laufe des Wettbewerbs nach oben korrigiert.
2. Trainieren: Hier lag das Ziel bei uns beiden bei 30 Minuten pro Tag. Die Smartwatch soll dabei automatisch erkennen, ob wir gerade trainieren. Merkwürdig fand ich, dass bei einem gemeinsamen Spaziergang meine Uhr null Minuten Training erkannt hat, während die Uhr meines Freundes fast den gesamten Spaziergang als Training identifizierte. Auch von meinem fast anderthalb Stunden Cheerdance-Training hat meine Uhr mir nur acht Minuten zugestanden. Autsch.
3. Stehen: In zwölf verschiedenen Stunden des Tages mindestens eine Minute stehen. Und siehe da: Während ich schreibe, ploppt am Handgelenk die Erinnerung auf: „Zeit aufzustehen! Stehe auf und bewege dich eine Minute.“ Der Arbeitsalltag im Homeoffice besteht eben doch viel aus Sitzen.
Den einwöchigen Wettbewerb habe ich trotzdem knapp gewonnen. Und tatsächlich: Ohne den Wettbewerb hätte ich mich ein bisschen weniger bewegt.
Spaß am Sport muss schon da sein
Aber wie lange hält diese Motivation an? Anfangs ist es ja auch ein bisschen technische Spielerei, aber die kann bekanntlich schnell an Spannung verlieren. Menschen sind gerade dann zu etwas motiviert, wenn sie es leidenschaftlich machen. „Leidenschaft kommt nicht vom Ziele setzen und verfolgen“, meint Kleinert. Der Sportpsychologe präzisiert: „Ein wesentlicher Teil der Leidenschaft ist, dass man etwas gerne macht.“ Deshalb sei es wichtig, nicht zu vergessen, wie man sich beim Sport fühlt. Am Ende zählt das körperliche Wohlbefinden, nicht die Zahlen.
Den Tipp möchte auch ich mehr beherzigen. Ich habe schließlich gerne trainiert, auch ohne von einem Tracker gesagt zu bekommen, dass ich das ganz toll mache oder einen Fitnesswettbewerb gewinne. Dem Kalorienring auf meiner Uhr möchte ich dagegen in nächster Zeit weniger Bedeutung beimessen. Ich lege lieber mehr Wert auf meine Schrittzahl und versuche, im Tagesverlauf zwischendurch mehr Bewegung zu integrieren. Die Erinnerung, zwischendurch mal aufzustehen, hilft schon. Eine persönliche Beratung ziehe ich für mich aktuell nicht in Betracht. Ich verfolge gerade nicht das Ziel, meine sportlichen Fähigkeiten zu optimieren. Es reicht, wenn ich mich im Alltag etwas öfter bewege und weiter tanze, in der Gruppe beim Cheerdance-Training kann ich meine Herzfrequenz ohnehin nicht beeinflussen. Aber sollte ich doch irgendwann mal einen Marathon laufen wollen (man weiß ja nie!), denke ich nochmal drüber nach.