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Super-Computer WatsonWie Künstliche Intelligenz die Krebsforschung verbessern soll

Lesezeit 8 Minuten
Watson

Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz will IBM neue Lösungen für das Internet der Dinge entwickeln.

  1. Bisher kann der Super-Computer von IBM die Krebsforscher nicht überzeugen.
  2. Im Interview spricht Onkologe Michael Hallek über Möglichkeiten und Grenzen der künstlichen Intelligenz in der Medizin .

Herr Professor Hallek, das medizinische Wissen vergrößert sich in rasanter Geschwindigkeit. Trotzdem sind wir noch immer weit davon entfernt, den Krebs grundsätzlich besiegen zu können. Der Chef von Microsoft glaubt, die Krebsforschung werde vor allem dadurch gebremst, dass die enorme Masse von Forschungsergebnissen nicht in Zusammenhang gesetzt werden könne. Ist Krebsmedizin nicht mehr länger ohne künstliche Intelligenz (KI) denkbar?

Ja und nein. Es ist in dem Kontext wichtig, wie man künstliche Intelligenz definiert. Wenn damit gemeint ist, dass Computer oder Maschinen wie Menschen arbeiten beziehungsweise sie sogar ersetzen, wie es etwa durch das Entwickeln autonomer Fahrzeuge gelungen ist, dann muss man sagen, dass künstliche Intelligenz in ihrer vollkommenen Form in der Medizin noch nicht angekommen ist – auch wenn es Ansätze etwa in der Robotik gibt. Was aber in der Medizin – auch heute schon – unverzichtbar ist, ist, dass wir zunehmend computerunterstützt die Möglichkeit bekommen, riesige Datenmengen, die unsere Vorstellungskraft übersteigen, auszuwerten und dadurch auch biologische Zusammenhänge zu erfassen. Diese Form der Computerintelligenz oder Computerbiologie arbeitet allerdings bisher noch nicht eigenständig, sondern braucht eine Art Rechenbefehl.

Den Arzt ersetzen kann sie nicht …

Nein, aber sie ist trotzdem schon jetzt auch in der Krebsmedizin ein wichtiges Werkzeug, das uns zum Beispiel hilft, die vielen Daten, die wir allein für die Genomanalyse einer Krebserkrankung brauchen, nicht nur zu erfassen, sondern auch zu verstehen. Zudem können wir mit Hilfe der Computerintelligenz fragen, wie sich aus Tausenden Patienten diejenigen erkennen lassen, die auf eine bestimmte Art der Therapie nicht ansprechen. Die Frage, die es jetzt zu klären gilt, ist: Kann man solche Daten einem Computer einfach anvertrauen und darauf warten, dass er irgendetwas daraus macht.

Da hat es ja zuletzt eher weniger ermutigende Nachrichten gegeben: Die mit viel Euphorie gestartete Zusammenarbeit von Deutschem Krebsforschungszentrum und IBM und dessen Super-Computer Watson wurde im Frühjahr beendet. Woran hat es gehakt?

Ich habe mir den Supercomputer vor einem guten Jahr in Boston selbst anschauen können, und ich kann nur sagen, dass er keine beeindruckenden Ergebnisse geliefert hat – nicht mehr als es bei uns hier ein Tumorboard mit dem üblichen Fachwissen auch kann. Das liegt sicherlich daran, dass das Wissen der Maschinen noch nicht vollständig ist, eventuell aber auch daran, dass bestimmte Dinge vom Computer gar nicht zu erfassen sind.

Zur Person

Professor Michael Hallek ist Internist und Hämato-Onkologe. 2003 kam er als Direktor der Klinik I für Innere Medizin an die Uniklinik Köln. Hier gründete er das Centrum für Integrierte Onkologie Köln Bonn und baute es zu einem der größten onkologischen Spitzenzentren in Deutschland aus.

Zum Beispiel?

Etwa die Gebrechlichkeit eines Patienten oder auch sein Geruch – das sind für Ärzte wichtige Indikatoren, die etwas über den Schweregrad einer Erkrankung aussagen und die die Therapieempfehlung beeinflussen. Watson ist nach meiner Einschätzung bisher eine unterstützende Maschine, aber keine künstliche Intelligenz, die den Menschen ersetzen kann.

Aber könnte man den Computer denn nicht einfach mit Daten – etwa über den Geruch – füttern?

Prinzipiell könnte es vielleicht sogar einmal so weit kommen, dass ein Computer sogar riechen kann. Doch selbst wenn man das Geruchserlebnis als Information in den Computer eingibt, weiß ich nicht, ob das so eindeutig möglich sein wird. Abgesehen davon gibt es immer auch noch die ärztliche Intuition und Erfahrung. Ein erfahrener Onkologe, der Tausende Patienten gesehen hat, weiß durch die kurzen Dialoge mit dem Patienten und den Blickeindruck oft ganz schnell, was bei einem Tumorpatienten zu tun ist. Wenn ich zum Beispiel bei einem 80-jährigen Patienten in strahlende Augen schaue, dann weiß ich, der Patient hat noch viel Lebensmut. Solche Eindrücke haben einen kolossalen Einfluss auf die Therapieempfehlung. Selbst wenn der Computer mit noch so vielen Informationen gefüttert ist und noch so eine hohe Rechnerkapazität hat, glaube ich nicht, dass er sobald in der Lage sein wird, den anderen Menschen so ganzheitlich zu erfassen wie ein Arzt.

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Was müsste bei zukünftigen Projekten besser werden?

Ich denke, es müssten mehr Ebenen eingeschlossen werden. Und dazu gehören neben dem reinen Fachwissen über den konkreten Tumor auch Sinneseindrücke, die Arzt oder Pflegepersonal vom Patienten haben und auch detaillierte Informationen zum sozialen Kontext. Dann kann das vielleicht irgendwann funktionieren.

Es heißt, ein Problem sei, dass es nicht immer klar ist, wie der Computer zu einer Therapieempfehlung kommt.

Das ist nicht die größte Kritik, die man an Watson haben kann. Das ist – glaube ich – eher eine Frage, wie ausführlich man sich Prozesse bis zur Therapieempfehlung vom Computer dokumentieren lässt. Tatsächlich ist Watson in ähnlich gelagerten Fällen zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen, aber damit unterscheidet er sich nicht vom Menschen. Auch Ärzte können zu unterschiedlichen Therapieempfehlungen kommen, die vielleicht auch nicht immer nachvollziehbar sind.

In einem Fall in einer Kopenhagener Klinik hätte Watsons Therapieempfehlung den sicheren Tod des Patienten bedeutet.

Genau deshalb finden wir, dass Maschinen wie der Watson für den Einsatz in der Onkologie noch nicht reif genug sind.

Es heißt, dass sich KI-Anwendungen für die Medizin überhaupt so schwer erstellen lassen, weil die Datensätze nicht umfangreich genug und einheitlich sind.

Es gibt eine Grundregel bei der Datenwissenschaft, die ein bisschen überspitzt formuliert heißt: Wenn man Schrott reintut, dann bekommt man Schrott raus. Tatsächlich ist eine auch von mir gegenüber dem Watson-Team geäußerte Kritik die Art der Daten, mit denen gearbeitet wurde. Es geht darum, welche Daten, von welchen Patienten aus welchen Krebszentren wie eingegeben wurden. Ein amerikanisches Krebszentrum etwa hat eine überdurchschnittlich hohe Zahl an wohlhabenden Patienten, die es sich leisten können, dort behandelt zu werden, die aber auch einen bestimmten Bildungshintergrund und Status haben und in der Regel relativ gut aufgeklärt sind, was ihre Krankheit betrifft. Diese Patienten zu vergleichen mit durchschnittlichen Patienten aus einem ländlichen Gebiet, etwa in Litauen, ist völlig unmöglich. Da sind andere Parameter wichtig. Deshalb müsste man noch viel umfänglicher aus unterschiedlichen Kulturkreisen und Hintergründen weitere Patientendaten zusammentragen – und das in einer Qualität, die auf einem einheitlichen Standard beruht.

Sozialer Kontext, Wohnort und Bildungsgrad bestimmen, welche Therapie ich bekomme?

Ja. Ein Beispiel: Einen Patienten, der nicht in der Lage ist, einfachste Therapieanweisungen einzuhalten oder der in der Phase der Chemotherapie nicht regelmäßig zu ärztlichen Kontrollen geht, den kann man nicht einer vollständigen, intensiven Kombinationstherapie etwa mit Folifrinox, die aktuell bei Bauchspeicheldrüsenkrebs empfohlen wird, unterziehen. Ein solcher Patient würde so etwas nicht überstehen. Deshalb würden wir ihn auch nicht so intensiv behandeln – anders als denjenigen, der informiert ist, auf sich achten kann und die Kontrollen regelmäßig einhält. Wir haben heute manche Therapien, die so intensiv sind, dass sie die umfassende Kooperation des Patienten erfordern.

Gibt es in NRW konkrete Projekte zur Computerbiologie?

Ja, das ist etwas, was uns umtreibt. Allein an unserem Centrum für Integrierte Onkologie hier in Köln haben wir zum Teil aus Studien Hunderttausende gut dokumentierte Patientendaten, die wir nutzen wollen, um biologische Zusammenhänge besser zu verstehen und so Werkzeuge zu schaffen, die die Therapieauswahl der Zukunft verbessern – wir betreiben sozusagen computergestützte Grundlagenforschung mit Hilfe von Patientendaten. Unser Ziel ist es, in der Region Köln/Bonn in Zusammenarbeit mit der RWTH Aachen einen Schwerpunkt in der Computerbiologie zu etablieren, der europaweit sichtbar ist.

Hinkt Europa in Sachen künstlicher Intelligenz in der Medizin noch den USA hinterher?

Ja – obwohl wir in Europa auch schon jetzt gute Zentren zum Beispiel in Cambridge oder auch in Spanien und Frankreich haben. Wir würden in der Region gerne dafür sorgen, dass Deutschland nicht nur den Anschluss wiederherstellt, sondern auch ganz vorne mitspielt.

Gibt es in Deutschland denn auch konkrete Ansätze wie etwa in den USA, wo schon eine Software entwickelt wurde, die einen bösartigen Hautkrebs erkennen kann – genauso treffsicher, aber deutlich schneller als die Fachärzte.

Wir sind aktuell hier stärker an den Genomanalysen interessiert. Aber wir sind noch nicht so weit, so hochkomplexe Empfehlungen zu geben. Die beschriebene Anwendung aus den USA ist superinteressant, weil die schon weit entwickelte Muster- und Gesichtserkennung der Computer natürlich eine Rolle spielen kann, wenn eine Oberfläche genau beschrieben werden muss. Und wenn es um Hautflecken geht, glaube ich schon, dass es gut funktionieren kann, gutartige von bösartigen Veränderungen zu unterscheiden. Und die Datenlage dazu ist ja gut.

Würden Sie selbst denn einer vom Computer gestellten Hautkrebs-Diagnose vertrauen?

Ja, aber ich würde trotzdem immer einen erfahrenen Dermatologen hinzuziehen.

Wenn wir uns vorstellen würden, die künstliche Intelligenz in der Medizin sei ein Menschenleben. Wie alt wäre sie dann heute?

Sie wäre im Kleinkindalter, vielleicht fünf Jahre alt. Kinder in dem Alter haben schon vieles verstanden und stellen auch kluge Fragen. Aber die großen Zusammenhänge verstehen sie noch nicht. Sie machen noch viele Fehler. Für die wesentlichen Entscheidungen brauchen sie noch ihre Eltern – so wie computergesteuerte Anwendungen in der Medizin noch den Arzt.