Film „The Game Changers"Können Sportler ihre Leistung mit veganer Ernährung steigern?
- Sportler brauchen vor allem Protein. Lange galt tierisches Eiweiß als das einzig wahre. Doch seit einiger Zeit stellen viele Sportler auf eine vegane Ernährung um.
- „The Game Changers" heizt die Diskussionen um das Thema Veganismus und Sport weiter an. Die Botschaft des Films lautet: Veganer sind sogar noch leistungsfähiger. Kann das stimmen?
- Eine Expertin für Sporternährung erklärt, was an den Mythen rund um Veganismus dran ist – und wieso sie den den Film durchaus kritisch sieht.
Köln – Der Sportler und sein Protein. Sein tierisches Protein. Was wären die Muskelbepackten dieser Welt nur ohne Steak, Hühnchen, Thunfisch, körnigen Frischkäse, Quark? Schlaffe, blasse, dünne Couchpotatos. Diese Vorstellung zumindest geisterte jahrzehntelang durch Fitnessstudios und Umkleidekabinen. Doch: Alles Humbug! Das zumindest vermittelt der Film „The Game Changers“, der seit Herbst 2019 auf Netflix läuft und zu heißen Diskussionen in der Welt der Freizeitsportler geführt hat. Denn angeblich kann man auch mit rein pflanzlichem Protein zu Kraft, Muskeln und Ausdauer gelangen – ja, sogar noch stärker werden als mit tierischem Protein.
Veganismus – perfekt für Sportler?
Werden jetzt alle Sportler Veganer? Kann das wirklich stimmen, was „The Game Changers“ dem Zuschauer da vermittelt? „Ich bin zwiegespalten, was den Film angeht. Einerseits finde ich es gut, dass der Zusammenhang zwischen Ernährung und körperlicher Leistungsfähigkeit endlich mal an Relevanz gewinnt. Viele Sportler würden davon profitieren, ihre Ernährungsgewohnheiten kritisch zu hinterfragen“, sagt Helen Bauhaus (28). Sie arbeitet am Institut für Biochemie der Sporthochschule Köln in der Abteilung Sporternährung. „Andererseits sehe ich die Art und Weise, wie die Informationen dargestellt werden, sehr kritisch. Nach außen hin vermittelt der Film den Anspruch wissenschaftlich basiert zu sein, aber den Studien mangelt es an Validität und Aussagekraft.“
Im Zentrum des dokumentationsartigen Films steht James Wilks, ein ehemaliger Martial-Arts-Kämpfer, der nach einer Verletzung möglichst schnell wieder fit werden will und so auf die Wunderdroge Veganismus aufmerksam wird. Bei seiner weiteren Recherche trifft Wilks verschiedene Sportler, die durch die Umstellung auf eine vegane Ernährung leistungsfähiger geworden sind. Aber eben auch Wissenschaftler, die vor der Kamera kleine Tests inszenieren, um die positive Wirkung dieser Ernährungsweise zu belegen.
Experiment soll Einfluss von veganer Ernährung beweisen
Wie etwa jenes Experiment, das Bauhaus besonders im Kopf geblieben ist: Um die positiven Auswirkungen von veganer Ernährung auf die Funktion der Blutgefäße zu veranschaulichen, machen drei Sportler einen Test. Am ersten Abend bekommt Kandidat A einen Burrito mit Rindfleisch, Kandidat B einen mit Hühnchen und Kandidat C einen mit Tofu. Am zweiten Abend essen alle drei Kandidaten die vegane Version. Das Blut, das den Sportlern nach jeder Mahlzeit abgenommen und durch eine Zentrifuge gejagt wird, ist am ersten Abend bei den Fleischessern noch sehr trüb, am zweiten Abend aber bei allen viel klarer. Logisch: Das trübe Blut ist nicht gut für die Gefäße, das klare schon.
„Im Film wird die Trübung des Blutes allerdings ausschließlich auf das Fett im Fleisch zurückgeführt“, sagt Helen Bauhaus. „Dabei wird das von so vielen anderen Faktoren beeinflusst als von einer einzigen Mahlzeit.“ Dazu zählen unter anderem die allgemeine Gesundheit und Schlaf. „Die Informationen werden falsch dargestellt, die Produzenten gaukeln den Zuschauern aber ein hohes wissenschaftliches Niveau vor“, ärgert sich Bauhaus.
Auch der ehemalige Fußballprofi Timo Hildebrand weiß um die Kritik von Wissenschaftlern an „The Game Changers“. Trotzdem sagt er: „Wenn ich nicht schon hauptsächlich vegan leben würde, hätte dieser Film mich motiviert etwas an meiner Ernährungsweise zu ändern.“
Lange aß der Torwart wie die meisten Bürger „alles querbeet“. Doch nach einer Operation an der Hüfte im Jahr 2015 wollte er sich gesünder ernähren und setzte sich immer mehr mit der Thematik auseinander. „Vegan zu werden war irgendwann der logische Schritt“, sagt er im Interview mit dieser Zeitung. „Und je länger ich mich mit dem Thema beschäftigt habe, desto mehr kamen auch ethische Themen wie Tierhaltung und Umwelt dazu.“
Er investierte in das vegane Unternehmen „Veganz“. Heute isst er vorwiegend pflanzlich, kein Fleisch, keine Milch, keine Eier. „Aber wenn auf der Pizza mal Mozzarella drauf ist, esse ich sie trotzdem. Ich bin kein Dogmatiker.“
Aber mal ganz abgesehen vom Film: Ist es möglich als Sportler vegan zu leben? Und ist das überhaupt sinnvoll?
„Einfach einen Teil der Nahrung wegzulassen, funktioniert nicht.“
„Grundsätzlich wird eine rein vegane Ernährung im Leistungssport eher kritisch gesehen“, sagt Ernährungsexpertin Helen Bauhaus. „Aber egal, ob man Sportler oder Couchpotato ist: Wer vegan leben möchte, muss sich intensiv mit seiner Ernährung auseinandersetzen und seine Mahlzeiten gut planen.“ Denn das, was noch übrig bleibt, wenn man Fleisch, Fisch und alle anderen tierischen Produkte weglässt, muss so vielseitig wie möglich sein. „Einfach einen Teil der Nahrung wegzulassen, funktioniert nicht.“ Vitamin B12, das nur in tierischen Produkten vorkommt, sollten Veganer supplementieren, andere kritische Mikronährstoffe wie Eisen, essentielle Omega-3-Fettsäuren, Calcium und Jod regelmäßig ärztlich überprüfen lassen und gegebenenfalls ersetzen.
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Auch den Eiweißbedarf sollte man im Blick behalten: Ein durchschnittlicher Bürger benötigt 0,8 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht, je sportlicher man ist, desto höher steigt der Bedarf. Bauhaus empfiehlt, viele Hülsenfrüchte wie Bohnen, Linsen oder Kichererbsen zu essen und Fleisch durch Produkte wie Tofu, Tempeh oder Seitan zu ersetzen. Gleichzeitig warnt sie aber: „Viele dieser hochverarbeiteten Ersatzprodukte wie Tofu-Würstchen enthalten viele Zusatzstoffe oder zugesetzte Zucker. Ein Blick auf die Zutatenliste lohnt sich also auch bei den vermeintlich als gesund vermarkteten veganen Produkten.“
Mit Mischkost auf der sicheren Seite
Vegetarier hätten es generell leichter, weil sie nicht eine ganze Nährstoffgruppe ausschließen würden. „Milchprodukte, vor allem Quark, körniger Frischkäse, Harzer Käse, Mozzarella – all das hat einen hohen Eiweißgehalt“, sagt die Expertin. Tatsächlich sei tierisches Eiweiß nämlich hochwertiger als pflanzliches. „Der Mensch kann tierisches Eiweiß besser verdauen“.
Wer sich weniger intensiv mit seiner Ernährung auseinander setzen möchte, ist mit einer Mischkost auf der sicheren Seite. Sie empfiehlt, sich an die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zu halten: 600 Gramm Fleisch inklusive Wurstwaren pro Woche. „Wir sollten Fleisch in Maßen und dafür von hoher Qualität verzehren. Es ist ein Irrglaube, dass man durch viel Fleisch viel Muskulatur aufbauen kann“, sagt Helen Bauhaus. „Das Muskelwachstum hängt vielmehr vom Training und der Kohlenhydratzufuhr ab.“
Denn entgegen aller Low-Carb-Trends, die für überwiegend sitzende Personen sicherlich gut funktionieren, braucht der Körper bei hoher sportlicher Belastung ausreichend Kohlenhydrate. Diese unterstützten nämlich den Proteinstoffwechsel und senden das Signal zum Muskelaufbau. Auch für die Regeneration sind sie wichtig. „Wenn Sportler ihren Kohlenhydratbedarf nicht decken und stattdessen extrem viel Fleisch essen, stellt sich schnell ein Gefühl von Schlappheit ein“, sagt Helen Bauhaus. Das erklärt, warum viele Sportler – auch im Film „The Game Changers“ – geringere Regenerationszeiten bemerken, nachdem sie ihre Ernährung auf vegan umgestellt haben. „Es gibt außerdem Hinweise in der Forschung, dass der große Verzehr von Obst und Gemüse das Muskelkatergefühl reduzieren kann. Denn in Obst und Gemüse stecken viele Antioxidantien.“
Veganismus und die Gesundheit
Mal ganz abgesehen von den scheinbar positiven Effekten auf Ausdauer, Fitness und Regeneration, suggeriert der Film „The Game Changers“, dass eine vegane Ernährung auch auf andere Lebensbereiche eine große Auswirkung hat. Doch stimmt das, haben wir die Expertin Helen Bauhaus gefragt.
Krebs: Eine vegane Ernährung senkt das Risiko an Krebs generell zu erkranken nicht. Allerdings weisen Studien darauf hin, dass das Risiko für gewisse Krebsarten, etwa an der Prostata oder des Gastrointestinaltraktes, verringert ist. Gleichzeitig scheint die vegane Kost das Risiko zu erhöhen, an einer Krebsart des Urinaltraktes zu erkranken.
Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Hierauf scheint eine Ernährung einen positiven Einfluss zu haben. Diese Effekte lassen sich aber auch schon bei der ovo-lacto-vegetarischen Kost beobachten.
Stoffwechselerkrankungen: Auch auf Diabetes mellitus Typ 2 haben die vegane und die ovo-lacto-vegetarische Kostform offensichtlich einen positiven Einfluss.
Cholesterin: Die Nahrungsmittelwahl beeinflusst den Lipidspiegel, dazu gehört unter anderem Cholesterin. Viele Nährstoffe, die in pflanzlichen Lebensmitteln vorkommen, wie etwa Ballaststoffe, Folat, Antioxidantien aus Vollkorn, Soja und Nüssen, beeinflussen den Spiegel positiv. Das gilt aber nicht nur für Veganer, sondern auch für Mischköstler, die viele der genannten Nährstoffe zu sich nehmen.
Übrigens: Grundsätzlich scheinen Männer mehr von einer vegetarischen Ernährungsform zu profitieren als Frauen. Ob das aber auf den Verzicht von Fleisch zurückzuführen ist, oder darauf, dass der männliche Mischköstler grundsätzlich unausgewogener isst als die weibliche Mischköstlerin, ist nicht eindeutig klar.
Weniger Muskelkater, besser regeneriert
Auch Timo Hildebrand fühlt sich seit seiner Ernährungsumstellung leichter und kreativer. „Nach der OP hatte ich auch etwas an Gewicht zugelegt, das habe ich durch die vegane Ernährung wieder abgenommen.“ Wegen seiner Hüftprobleme spielt Hildebrand kein Fußball mehr, macht stattdessen regelmäßig Yoga und ab und zu Kraftsport. Andere Sportler, die vegan oder vegetarisch leben, bestätigten ihm aber, dass sie viel besser regenerierten und weniger Muskelkater hätten. „In der Sportwelt wird Veganismus nicht mehr so belächelt wie vor einigen Jahren. Das liegt sicher auch an Sportlern wie Serena Williams oder Lewis Hamilton. Von denen könnten sich einige Fußballer mal eine Scheibe abschneiden.“
Und welche Ernährung empfiehlt Helen Bauhaus Freizeitsportlern nun? „Ich bin da eigentlich relativ offen. Vegetarisch geht auf jeden Fall. Vegan funktioniert auch – wenn man sich ausführlich damit beschäftigt und sich gerade in der Umstellungszeit Unterstützung sucht. Sonst drohen schneller Verletzungen.“ Timo Hildebrand empfiehlt, sich langsam heranzutasten und sich mit der Thematik auseinanderzusetzen. „Man muss nicht alles sofort und komplett ändern. Ich hatte am Anfang auch das Gefühl, nicht auf Käse verzichten zu können. Mittlerweile ist das okay.“ Heute könne sich ja jeder problemlos informieren. „Jeder sollte für sich abwägen, was er oder sie dazu beitragen kann, die Ressourcen zu schonen. Damit wir alle weiter in einer guten Welt leben können.“