In der Bonner Rheinaue wurden Nutria-Babys erschossen. Solche Taten sind kein Einzelfall. Ein Kriminologe über die Motive von Tierquälern.
Kölner Kriminologe im InterviewGetötete Nutria-Babys in Bonn – Warum machen Menschen sowas?
In Bonn sind vor einigen Tagen Nutria-Babys erschossen worden. Immer wieder lesen wir in der Presse über die Hinrichtung von Pferden. Menschen legen Gift im Park aus, um Hunde und Katzen zu töten. Hat das Ermorden von Tieren zugenommen?
Frank Neubacher: In erster Linie würden wir für solche Fragen die Polizeiliche Kriminalstatistik zurate ziehen, die Auskunft über die im Bundesgebiet bekanntgewordenen Straftaten gibt, also das sogenannte Hellfeld. Aber dort werden nur Verstöße gegen das Tierschutzgesetz als Sammelkategorie ausgewiesen. Es wird also nicht nach einzelnen Tathandlungen oder Tieren unterschieden.
Was besagt denn das Tierschutzgesetz?
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Es ist verboten, ohne – wie es im Gesetz heißt – vernünftigen Grund einem Wirbeltier erhebliche Schmerzen zuzufügen oder es zu töten. Und wenn man sich die Zahlen dazu in der Kriminalstatistik anschaut, dann sind die Verstöße gegen dieses Gesetz in den vergangenen zehn bis 15 Jahren nur geringfügig angestiegen. Wir reden für das Jahr 2022 über etwa 7.500 Fälle deutschlandweit, von denen rund 60 Prozent aufgeklärt wurden. Bei den Verurteilungen komme ich für 2021 auf exakt 1008 Verurteilte. Das ist ein Zahlen-Verhältnis, das Sie so auch bei anderen Delikten sehen würden. Aber in der Kriminalstatistik finden wir nur die Fälle, die auch bekannt geworden sind, also entweder von Privaten angezeigt oder durch amtliche Kontrollen aufgedeckt wurden. Worüber wir nichts wissen, ist das Dunkelfeld. Da gibt es meiner Meinung nach dringenden Forschungsbedarf.
Warum tun Menschen so etwas überhaupt?
Das ist komplizierter, als man denken mag. Nehmen Sie die Nutria-Tötung in Bonn. Der Täter oder die Täterin konnte nicht ermittelt werden, man kann über das Motiv also nur spekulieren. Mein erster Gedanke war: Vielleicht wollte jemand sein Luftgewehr ausprobieren, hat also aus – in Anführungszeichen – Spaß auf die Tiere geschossen. Es könnte aber auch sein, dass hier jemand am Werk war, der konkret etwas gegen diese Tiere hatte. Weil er meint, die gehörten nicht in die Rheinaue und von ihnen ginge eine Gefahr aus. Er könnte sich selbst also zu einer Art Ordnungshüter ernannt haben, weil er die Umgebung schützen wollte. Auch die Stadt Bonn hat ja ein Kontroll-Programm gegen die Überpopulation von Nutrias aufgesetzt. Nur werden die Tiere dann nach festen Regeln und von einem zertifizierten Dienstleister getötet.
Gibt es denn nicht auch noch sehr viel niedere Motive, aus denen Menschen Tiere töten?
Natürlich, manche Menschen lassen ihren eigenen Frust an Tieren aus und reagieren sich ab. Und natürlich gibt es auch Menschen, denen es regelrecht Vergnügen bereitet, Tiere zu quälen. Die also sadistisch veranlagt sind. Das ist ein Motiv, das in besonderem Maße beunruhigend ist, weil es auf eine völlige Empathielosigkeit gegenüber Lebewesen schließen lässt.
Weswegen nach solchen Taten immer wieder die Frage diskutiert wird, ob sich diese Gewalt gegen Tiere früher oder später auch gegen Menschen richten könnte.
In der Kriminologie sind wir mit solchen Prognosen eher vorsichtig. Es gibt Studien, die zeigen, dass eine Teilgruppe dieser Tierquäler auch Gewalt gegen Menschen anwendet. Aber das bedeutet nicht, dass alle Menschen mit einem Mangel an Empathie automatisch Straftaten begehen. Auch so jemand kann ausreichend Selbstkontrolle aufbringen.
Es gibt Serienmörder, die vor ihren scheußlichen Taten Tiere gequält haben.
Ja. Ich kenne auch diese Fälle, bei denen man herausgefunden hat, dass Mörder im Kindes- oder Jugendalter verhaltensauffällig waren und zum Beispiel Tiere getötet oder gezündelt haben. Aber sie können umgekehrt nicht sagen, dass jeder, der als Kind mal einem Tier etwas getan hat, deswegen zum Serienmörder wird. Was man allerdings schon sagen kann, ist: Wenn Eltern so etwas beobachten, dann ist das ein Moment, auf den sie sensibel und aufmerksam reagieren sollten.
Inwiefern?
Nehmen Sie ein Kind, das einem Insekt die Beine oder Flügel ausreißt. Solche Phasen gibt es in der Entwicklung und sie sind erst mal kein Alarmsignal. Eher eine Art Probierverhalten. Und dieses Verhalten könnte ja genau der Anlass sein, um mit dem Kind über Mitgefühl, über Mitleid mit anderen Lebewesen zu sprechen. In der Kriminalstatistik sehen wir auch, dass die Tatverdächtigen in der Regel nicht Kinder oder Jugendliche sind, sondern ältere Erwachsene ab 30 Jahren aufwärts. Sie sind häufiger männlich als weiblich. Und was Sie nicht vergessen dürfen: Wir haben bisher über das Quälen von Haus- und Wildtieren gesprochen. Aber es geht bei Verstößen gegen das Tierschutzgesetz noch um ein ganz anderes Phänomen, nämlich die Massentierhaltung.
Sie meinen, wir empören uns über die erschossenen Nutria-Babys und ignorieren die massenhafte Tötung von Tieren im industriellen Kontext?
Ja, wie das langjährige systematische Töten von männlichen Küken, das ja zum Glück inzwischen verboten wurde. Das nannte man früher „Schreddern“. So wie Tiere im Rahmen von Tierepidemien „gekeult“ werden oder Wölfe „entnommen“. Da sehen sie schon in der Sprache eine gewisse Beschönigung eines Tötungsvorgangs.
So, wie manche früher Babykatzen ertränkt haben, wenn der Wurf zu groß war?
Ja, wobei sich die gesellschaftliche Sicht auf solche Vorgänge und auch auf die Massentierhaltung und ihre Konsequenzen für Mensch und Umwelt in den letzten Jahren stark verändert hat. Es gibt mehr Problembewusstsein. Diesen sozialen Wandel bewerte ich als sehr positiv.
Ein Sinneswandel, der inzwischen zum Beispiel auch Insekten einschließt.
Auch eine Biene dürfen sie laut Bundesnaturschutzgesetz nicht töten, das wäre eine Ordnungswidrigkeit. Und bei Spinnen ist es inzwischen eher so, dass die Menschen das Tier vor die Tür setzen. Die hätte man früher vermutlich einfach totgeschlagen. Wenn sie ein Wirbeltier ohne „vernünftigen Grund“ töten oder verletzen, ist das aber im Gegensatz dazu eine echte Straftat. Die, das muss man sagen, bis heute nicht im Strafgesetzbuch, sondern im sogenannten Nebenstrafrecht geregelt ist. Es gibt deshalb schon länger die Forderung einiger, daran etwas zu ändern und den Tierschutz im Strafgesetzbuch zu verankern. Juristisch gesehen würde dieser Schritt in der Strafverfolgung zwar keinen großen Unterschied machen, hätte aber Symbolcharakter und würde das Thema möglicherweise noch mehr in das Bewusstsein der Menschen rücken.
Wäre das nicht auch ganz im Sinne der Tierwürde?
An diesem Punkt sind wir rechtlich noch nicht. Das Tierschutzgesetz schützt die Wirbeltiere bislang nicht einer eigenen tierischen Würde wegen. Es geht vielmehr darum, den Menschen davor zu schützen, dass er durch die Tierquälerei beeinträchtigt wird. Wir haben es also immer noch mit einer anthropozentrischen Sicht zu tun. Wobei ich auch hier glaube, dass sich in Zukunft viel tun wird. Noch vor 40 oder 60 Jahren wäre es ja auch undenkbar gewesen, das sogenannte Züchtigungsrecht der Eltern gegenüber ihrem Kind abzuschaffen. Und doch ist das seit über 20 Jahren der Fall, mit allen Konsequenzen, einschließlich Strafverfahren gegen Eltern.
Welche Konsequenzen drohen denn einem Tierquäler?
In den allermeisten Fällen Geldstrafen in unterschiedlicher Höhe und in einigen Fällen auch Freiheitsstrafen.
Passiert so etwas häufiger auf dem Land oder in der Stadt?
Aus der Kriminalstatistik wissen wir, dass die meisten Fälle in eher kleineren Gemeinden bis 20.000 Einwohnern registriert werden. Aber das sollte man nicht überbewerten, denn es gibt nun mal keine industrielle Massentierhaltung in Innenstädten. Hier können solche Fälle also gar nicht so häufig auftreten. Ich vermute, dass die große Anzahl an Delikten auf Verstöße durch die Massentierhaltung zurückzuführen sind. Dort werden ja auch gezielte Kontrollen durchgeführt. Allein mit privater Tierquälerei lässt sich das nicht erklären.