Jeder zehnte erwachsene Deutsche trinkt zu viel Alkohol. Matthias Klabunde war einer von ihnen – und rutschte in die Sucht ab. In unserer Reihe „Wie es ist“ erzählt er, wie er vom Alkohol losgekommen ist.
Wie es ist, trockener Alkoholiker zu sein„Ich kann den Alkohol nicht verteufeln“
„Mein erstes Bier habe ich mit etwa 16 Jahren getrunken, nach dem Fußball. In meinem Freundes- und Familienkreis war Alkohol Normalität. Man trinkt mit Freunden, um locker zu werden oder stößt auf ein schönes Ereignis an, beim Feiern, nach dem Fußball und nach der Arbeit. Am Anfang war es vielleicht noch Genusstrinken. Aber im Laufe der Zeit wurde der Konsum missbräuchlich. Ich trank, um den Alltag zu verdrängen.
Mit Ende zwanzig bin ich nach Köln gezogen. Hier habe ich mir einen festen Freundeskreis aufgebaut und beruflich fußgefasst. Ab 2006 habe ich bei einer Chip-Tuning-Firma im Vertrieb und der Kundenberatung gearbeitet. In dieser Zeit verlor ich immer mehr die Kontrolle und überließ der Sucht das Feld. Die Sache ist: Man merkt zwar, dass man ein Problem hat, aber die Sucht ist stärker und trickst einen aus. Später in der Therapie haben wir von einer „Erkrankung der Wahlfreiheit“ gesprochen. Man hat nicht mehr die Wahl, ob man trinkt oder nicht. Und diese Wahlfreiheit muss man sich zurückholen.
Erster Entzugsversuch vor sechs Jahren
Gemerkt hat von meiner Sucht kaum jemand etwas. Einzig meine Frau hat ab und zu Verdacht geschöpft, doch ich, oder besser: die Sucht, konnte sie immer wieder besänftigen. Wir sind damals auch viel ausgegangen, dreimal in der Woche saßen wir nach Feierabend in unserer Stammkneipe. Während meine Frau vielleicht zwei Bier getrunken hat und sich dabei mit der halben Nachbarschaft unterhielt, waren es bei mir manchmal zehn. Am Ende habe ich die Rechnung bezahlt und alles war gut, sie hat natürlich nicht kontrolliert, wie viel ich trinke. So habe ich mir meine Dosis geholt.
2016 habe ich das erste Mal ernsthaft versucht, vom Alkohol loszukommen. Meine Frau und ich waren zu einem Brunch eingeladen. Ich war auf dem Höhepunkt meiner Suchterkrankung, also habe ich mich wie immer vorbereitet und morgens schon getrunken, um keine Entzugserscheinungen zu bekommen. Aber an diesem Tag war irgendetwas anders. Beim Essen habe ich angefangen zu zittern. Das blieb meiner Frau und den Gastgebern nicht verborgen. Meine Frau dachte, ich hätte einen Schlaganfall oder so etwas. Da habe ich ihr gebeichtet, dass ich weiß, woran es liegt, dass ich auch tagsüber trinke und gesagt: „Ich höre jetzt auf!“
In meiner Hochphase war ich bei einer Flasche Wodka und zwei Flaschen Wein am Tag, ich war quasi permanent betrunken, habe schon morgens getrunken. Aber: man funktioniert halt, das ist ein jahrelanges Training. Man weiß, wie man sich den Alkohol beschaffen und heimlich trinken kann, wie man das Leergut wieder loswird und wie man es schafft, dass am Arbeitsplatz niemandem etwas auffällt. Man funktioniert. An diesem Punkt hatte ich aber schon längst die Kontrolle verloren.
Nach dem Brunch 2016 habe ich dann allein versucht, vom Alkohol wegzukommen. Das hat ein Jahr lang auch funktioniert. Doch dann kam ein Rückschlag: Nur vier Wochen, nachdem ich einen neuen Job begonnen habe, sagte man mir: Das wird nichts. Ohne Begründung. Das hat mich getroffen. Und zurückgeworfen.
Nach drei oder vier Wochen Trinkerei bin ich dann zu den Alexianern in Porz zur Untersuchung gegangen. In der angeschlossenen Suchtklinik werden unterschiedliche Therapien angeboten. Dort gab es einen Tag der offenen Tür, bei dem andere Erkrankte das Konzept dort vorgestellt haben. Da saßen Leute, die ganz normal über ihre Sucht reden konnten. Die Anspannung löste sich, Tränen rannen mir übers Gesicht, die Scham legte sich, die ganze Heimlichtuerei. Und auch ich konnte erzählen. Da wusste ich: Hier bin ich richtig. Von da an ging es bergauf.
Ich habe dann eine ambulante Therapie begonnen, 13 Wochen lang von 8 Uhr bis 17 Uhr Einzelgespräche, Gruppensitzungen, Ergotherapie und Sport. Das war das Härteste, was ich in meinem Leben gemacht habe. Man beschäftigt sich von morgens bis abends mit sich selbst und seinen psychischen Baustellen. Mittlerweile bin ich seit fünf Jahren weg vom Alkohol.
Trotzdem ist der Alkohol auch heute noch Teil meines Lebens. Ich kann ihn nicht verteufeln, ich bin ja selbst damit groß geworden. Und wer auf dem Weihnachtsmarkt zwei Glühwein trinken kann und dann nach Hause geht, für den ist das auch nicht großartig schädlich. Gefährlich wird es, wenn es kippt, wenn Alkohol missbräuchlich konsumiert wird.
Gesellschaftlicher Umgang mit Alkoholkrankheit hat sich verändert
Ich glaube, es hängt viel mit der eigenen Vergangenheit zusammen, wie anfällig man für diese Krankheit ist. Bei der Therapie ging es darum, zu ergründen, wo die Sucht herkommt. Wie sie mit der Kindheit zusammenhängt und welche tief verwurzelten Verhaltensweisen mit dem Trinken verknüpft sind. Für mich war Alkohol immer das beste Instrument zur Selbstregulierung. Ich wusste: Wenn nichts mehr hilft, dann hilft Alkohol. Das habe ich begriffen. Doch es gibt kein Rezept oder Medikament gegen die Sucht. Das einzige Medikament, das helfen kann, ist man selbst.
Hier finden Sie Hilfe
Blaues Kreuz KölnPiusstraße 10150823 Köln0221/527979bkz-koeln@blaues-kreuz.de
Anonyme AlkoholikerZentrale Beratung: 08731/32573 12 (täglich von 8 Uhr bis 21 Uhr). Auf der Seite www.anonyme-alkoholiker.de finden Sie eine Karte, auf der die Treffpunkte der Gruppen aufgeführt sind.
Kölner Suchthilfe e. V. Telefonische Beratung: 02234/6806291 www.koelnersuchthilfe.de
Alexianer Köln Kölner Straße 6451149 KölnTel. 02203/369111700E-Mail: rehasucht@alexianer.de
In meinem Umfeld habe ich wegen meiner Alkoholabstinenz bisher keine schlechten Erfahrungen gemacht, ich wurde nie doof angemacht, weil ich nicht mittrinke. Ich gehe offen mit meiner Krankheit um und das wird respektiert.
Vor zehn oder fünfzehn Jahren war das noch anders, glaube ich. Viele Menschen sind mittlerweile für psychische Krankheiten wie Burnout und Depression sensibilisiert. Ich habe das Gefühl, dass das auch den Umgang mit Alkoholkranken verbessert hat. Trotzdem gibt es immer noch viele Betroffene, die sich schämen und die Angst haben vor dem, was die Menschen um sie herum von ihnen denken.
Die Sucht wirkt bei jedem Menschen anders. Allein der Geruch von Alkohol ist für manche schwer zu ertragen. Ich persönlich habe keine großen Probleme über den Weihnachtsmarkt, vorbei an Glühweinständen zu laufen – abgesehen davon, dass ich Weihnachtsmärkte generell nicht besonders mag. Ich bin auch kein großer Karnevalist, aber an Rosenmontag und Veilchendienstag bin ich mit der Nachbarschaft gerne beim Umzug unterwegs, bepackt mit einem Bollerwagen zum jeweiligen Motto voller Essen und Getränken.
Was ich aber gelernt habe, ist es, Feste zu vermeiden, bei dem es einzig und allein ums Saufen geht. Das finde ich langweilig und nervig. Aber das ist ja ähnlich wie bei anderen Menschen: Sie gehen ja auch nirgendwohin, wo Sie die Menschen nicht gut leiden können. Ein Vorteil am Nüchtern-Sein ist ja: Man kann den anderen dabei zugucken, wie sie sich verändern, wie sie immer betrunkener werden, den roten Faden verlieren. Und: man kann sich am nächsten Tag noch daran erinnern.
Mittlerweile würde ich mein Leben als „normal“ bezeichnen, nur verzichte ich eben auf Alkohol. Nach der Therapie habe ich mir einen neuen Job gesucht und arbeite jetzt an einer offenen Ganztagsschule, als Schulbegleiter. Außerdem gehe ich weiterhin zur Selbsthilfegruppe. Die Gespräche dort schärfen meine Sinne und halten mich wach. Sie erinnern mich daran, dass die Krankheit weiterhin in mir wohnt, sodass ich nicht aus Leichtsinnigkeit plötzlich wieder trinke, der Sucht eine Chance gebe. Zudem sind da Leute, die mich verstehen, weil sie etwas Ähnliches durchgemacht haben, wie ich. Es herrscht ein blindes Verständnis. Das tut gut.“
Haben Sie auch etwas absolut Außergewöhnliches zu erzählen? Ein Hobby, das sonst keiner hat? Etwas, auf das Sie jeden Tag angesprochen werden oder etwas, das Ihr Leben auf den Kopf gestellt hat? Dann schreiben Sie uns mit dem Betreff „Wie es ist“ eine E-Mail an leserforum@kstamedien.de.