KriegstraumataWomit Helfer rechnen müssen, die ukrainische Geflüchtete aufnehmen
Köln – Das Leid der Menschen in der Ukraine bewegt in den letzten Wochen tausende Menschen in den Nachbarländern zu großer Hilfsbereitschaft. Auch in Deutschland bieten viele Menschen den Geflüchteten an, bei sich Zuhause unterzukommen. Doch nicht wenige Menschen aus der Ukraine haben Schreckliches erlebt: Krieg und Flucht sind traumatische Erfahrungen. Wir haben mit der Traumaexpertin Michaela Huber darüber gesprochen, was Helfer und Helferinnen im Umgang mit den geflüchteten Menschen unbedingt beachten sollten. Zum Schutz vor weiteren emotionalen Schäden bei den Geflüchteten, aber auch bei sich selber.
Frau Huber, was macht eine Situation, wie wir sie aktuell in der Ukraine erleben, mit einem Menschen?
Michaela Huber: Die Situation ist aktuell in jeder Hinsicht wirklich furchtbar. Denn sie ist unübersichtlich und chaotisch – oft sowohl in der Ukraine als auch in Deutschland und den anderen Ländern, die die Menschen derzeit aufnehmen. Es ist akut an vielen Orten lebensbedrohlich, in der Ukraine zu sein, also fliehen viele Menschen in vermeintlich sichere Gebiete.
Zur Person
Michaela Huber ist Psychologische Psychotherapeutin, Supervisorin und Ausbilderin in Traumatherapie, sowie Autorin zahlreicher Fachbücher.
Sie wurde für ihre Arbeit bereits mit mehreren Auszeichnungen geehrt. 2008 erhielt sie unter anderem das Bundesverdienstkreuz für ihr internationales Engagement für schwer traumatisierte Menschen, für den Aufbau von Psychotrauma-Zentren und für die internationale Vernetzung von Kollegen und Kolleginnen, die mit traumatisierten Menschen arbeiten.
Und nun erleben sie bei ihrer Ankunft, dass sie erst einmal sehr häufig entweder in Massenunterkünfte kommen. Oder – und das ist insbesondere eine Gefahr für Frauen und Kinder – dass ihnen Kriminelle Hilfe anbieten. Denn auch Menschenhändler mischen sich derzeit unter die Helfenden. Aktuell werden Geflüchtete auch gern bei uns in Familien aufgenommen, jedoch oft ohne, dass die Beteiligten wissen, was das bedeutet. Das kann auch Folgen für die Helfer und Helferinnen selber haben.
Was sollten diejenigen, die Geflüchteten anbieten, bei sich zu wohnen, wissen?
Zunächst sollte man sich bewusst machen: Wie geht es den Menschen eigentlich? Viele sind voller Angst. Gar nicht mal so sehr um sich selbst, sondern um ihre Angehörigen, ihre Freunde, ihr Haus. Sie versuchen, die ganze Zeit verzweifelt herauszufinden, was mit ihren Lieben passiert ist, ob sie noch leben. Viele sind gar nicht richtig in der Gegenwart präsent. Das Problem ist, dass viele private Helfer und Helferinnen damit nicht rechnen. Sie erwarten vielmehr Menschen, die froh sind, Hilfe zu bekommen, Menschen, mit denen man reden kann.
Womit muss man tatsächlich rechnen?
Zu erwarten wäre zum Beispiel, dass sie nicht schlafen, dass sie vielleicht Tag und Nacht durch die Wohnung laufen. Oder dass sie verwirrt sind, dass sie schwer kriegstraumatisiert sind und manchmal nicht mehr wissen, wo sie sind. Manche schreien oder wimmern im Schlaf, andere hingegen sind sehr depressiv und ruhig, sind phasenweise kaum oder gar nicht ansprechbar.
Manche Kinder zeigen eklatante Zeichen von Traumata. Sie kauen sich etwa die Fingernägel blutig oder reißen sich Haare aus. Einige erbrechen, können gar nichts essen oder stopfen Essen in sich hinein. Auch das Bett einzunässen oder einzukoten sind solche Zeichen von extremem unverarbeitetem Stress. Das sind Dinge, mit denen man als freiwilliger Helfer nicht rechnet, wenn man nicht geschult ist.
Was würden Sie denn sagen, was man bei sich selber prüfen sollte, bevor man jemanden bei sich aufnimmt?
Ich bin schon froh, wenn sich jemand das überhaupt im Vorhinein fragt. Sehr viele sind ja einfach nach vorn geprescht in dem Bemühen, etwas Gutes zu tun. Und jetzt erleben wir zum Teil die bizarrsten Situationen. Zum Beispiel, dass alleinstehende Frauen Männer bei sich aufgenommen haben und dann völlig überrascht waren, dass es auch zu durchaus für sie selber bedrohlichen Situationen gekommen ist.
Es ist deshalb wirklich wichtig, dass sich jeder, der helfen möchte, erstmal melden und registrieren muss. Denn dann können auch die Motive geprüft werden. Und die Behörden haben hinterher auch hoffentlich die Möglichkeit zu überprüfen, wie es läuft.
Und wie kann man feststellen, dass man selbst auch emotional dazu in der Lage ist, Menschen mit solchen schlimmen Erfahrungen bei sich zuhause aufzunehmen?
Zunächst sollte man sich fragen: Wie lange kann ich das machen? Denn es kann sein, dass es so viele Geflüchtete geben wird, dass die Hilfe vielleicht für Monate oder sogar Jahre benötigt wird. Daher sollte man sich ernsthaft die Frage stellen, ob man auch dazu bereit ist. Oder ob man solch ein Aufnahmeangebot mal für zwei Wochen zur Verfügung stellen kann aber länger nicht.
Außerdem sollte man sich bewusst sein, dass da jemand kommt, der emotional vielleicht mehr dort als hier ist. Wenn man sich erhofft hat, Dankbarkeit und gute Gespräche zu bekommen, kann es zwar durchaus sein, dass man auch das ein bisschen bekommt. Aber man bekommt vor allem sehr viel Bedürftigkeit, sehr viel Not, sehr viel Verzweiflung, sehr viele Hilfsappelle. Man sollte sich daher immer wieder fragen, was man leisten kann, denn man kommt auch mit seiner eigenen Ohnmacht in Berührung.
Wie geht man damit um?
Es ist wichtig, sich zu fragen, wo man seine Grenzen setzt: Wieviel Raum kann ich zur Verfügung stellen? Tatsächlich räumlich, aber auch innerlich. Wieviel Raum darf die Not dieser Menschen bei mir einnehmen?
Man muss zudem konkrete Verpflichtungen wie den Job und seine ökonomischen Möglichkeiten im Blick behalten. Man muss ja auch damit rechnen, den Menschen bei Dingen wie Behördengängen zu helfen. Die persönliche Situation sollte also stimmen. Denn seine eigenen Bedürfnisse zurückzustellen, kann vielleicht für eine gewisse Zeit funktionieren, aber nicht auf Dauer. Die eigenen Grenzen zu missachten, kann auch dazu führen, dass man selber Probleme bekommt.
Was sollte man im Umgang mit den geflüchteten Kindern beachten?
Zunächst kommt es darauf an, ob die Kinder noch bei ihren Eltern sind oder nicht. Kinder, die bei den Eltern sind, klammern sich in der Regel sehr an sie – unabhängig davon, ob die Eltern gut zu ihnen sind oder nicht. Bei diesen Kindern ist es auch sehr schwierig, zu erkennen, ob es ihnen dort gut geht oder nicht.
Wenn ein Kind aber allein untergebracht ist, geben sie oft schneller zu erkennen, wenn es ihnen dort nicht gut geht. Kinder sprechen das allerdings selten aus. Vielmehr zeigen sie es durch Symptome und auffälliges Verhalten. Das kann zwar einerseits auf die Kriegserfahrung zurückzuführen sein. Es kann aber auch darauf hindeuten, dass es ihnen dort, wo sie sind, nicht gut geht. Die tatsächliche Ursache herauszufinden, wird im Einzelnen sehr schwierig sein.
Was sollte man denn in so einem Fall tun?
Im Zweifelsfall kann man Beratungslehrer oder erfahrene Erzieher aufmerksam machen. Sie können dann ganz behutsam zu so einem Kind Kontakt aufnehmen. Wenn man sehr unsicher und besorgt über die aktuelle Situation eines Kindes ist, kann man auch die Polizei involvieren. Insbesondere dann, wenn ein Kind offensichtlich nicht weiß, wo es hingehört. Es gibt nämlich eine ganze Menge unbegleiteter Kinder und Jugendlicher, auch in Deutschland.
Und die Erwachsenen? Was brauchen sie jetzt psychologisch?
Das Wichtigste ist, im Zusammensein eine sichere und ruhige Atmosphäre zu schaffen, indem man dem anderen Menschen zuhört und wahrnimmt, was er braucht. Man sollte eine freundliche und sorgsame Zuversicht vermitteln: „Das wird werden, das ist schwierig, aber du hast es bis hierhin geschafft!“ Dabei geht es darum, ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Denn das ist genau das, was die Menschen nicht mehr haben.
Und was sollte man vermeiden?
Man sollte vermeiden, Dinge zu sagen wie: „Es ist doch nicht so schlimm“ und genauso wenig so etwas wie: „Das ist so schrecklich, das wirst du nie verkraften“. Mit solchen Sätzen vertieft man das das Leid und den Kummer nur. Ganz wichtig ist es auch, die Menschen nicht zu bedrängen! Man sollte sie nicht ausfragen, was sie erlebt haben, denn das kann Flashbacks auslösen.
Man sollte außerdem niemandem seine Unterstützung aufnötigen, sondern konkret fragen, was die Menschen brauchen. Das ist das Wichtigste: Zu fragen, was der Mensch braucht! So können wir vermitteln, dass wir wahrnehmen, dass sie Schlimmes erlebt haben, und dass wir Mitgefühl mit ihnen haben. So können wir signalisieren: Ich bin für dich da.
An wen kann man sich wenden, wenn es einem Menschen so schlecht geht, dass man als Laie nicht mehr helfen kann?
In diesem Fall gibt es eigentlich in jeder Region spezielle Institutionen, kommunale Anlaufstellen oder Hotlines. Meistens geht es den Menschen aber erst einmal gar nicht so sehr akut um ihr psychisches oder seelisches Befinden. Im Vordergrund stehen für die Betroffenen oft Dinge wie Nahrung, Kleidung, ein Dach über dem Kopf, oder dass ihre Verwandten in Sicherheit sind.
Nur diejenigen, die überhaupt nicht mehr zurechtkommen, müssen im sozialpsychiatrischen Dienst oder speziell eingerichteten Beratungsstellen aufgefangen werden. Aber in den meisten Fällen ist der akute Bedarf an den Fakten und den dringendsten Bedürfnissen orientiert.
HIER stellt der Kölner Stadt-Anzeiger Informationen für Geflüchtete und Helfende in deutscher, ukrainischer und russischer Sprache zur Verfügung.