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SelbstdiagnoseViele Betroffene bemerken Vorhofflimmern durch Smartwatch

Lesezeit 6 Minuten
Eine Smartwatch an einem Handgelenk misst die Herzfrequenz

Viele Smartwatches messen die Herzfrequenz. Auffälligkeiten sollte man mit einem Arzt besprechen.

Immer mehr Menschen erkennen auf ihren Smartwatches, dass ihr Herz manchmal aus dem Takt gerät. In einer Telefonaktion beantworten vier Experten am 8. November Fragen zur Herzgesundheit.

Es pumpt und pumpt, leistet tagein und tagaus unermüdlich seinen lebenswichtigen Dienst. Und es passt sich dabei klaglos an das an, was wir tun, kontrahiert schneller, wenn wir einen Berg erklimmen und langsamer, wenn wir im Tiefschlaf sind – unser Herz. Das alles geschieht in der Regel unbemerkt. Erst wenn unser Herz stolpert oder aussetzt, wenn es zu langsam schlägt oder zu schnell, wenn es seine Zuverlässigkeit verliert, dann bemerken wir es. Diese Taktverschiebungen aller Art werden in der Medizin unter dem Begriff Herzrhythmusstörungen zusammengefasst.

„Sie sind ein häufiges und für die Betroffenen sehr belastendes Problem“, sagt Privatdozent Dr. med. Frank Eberhardt, Chefarzt der Klinik für Kardiologie und internistische Intensivmedizin am Evangelischen Krankenhaus Kalk: „Und sie sind für uns alle ein volkswirtschaftliches Problem.“ Rund 400.000 Menschen werden nach Angaben der Deutschen Herzstiftung hierzulande pro Jahr mit Herzrhythmusstörungen in eine Klinik eingewiesen. Medikamentös oder operativ behandelt werden noch viel mehr. Die Kosten für die Krankenkassen sind immens.

Deutsche Herzstiftung will über Vorhofflimmern aufklären

60 bis 80 Mal pro Minute, also gut 100.000 Mal pro Tag schlägt unser Herz, dabei pumpt es rund 10.000 Liter Blut durch den Körper. Was für eine Leistung in – sagen wir – 80 Lebensjahren. Dass diesem faustgroßen, von der Natur faszinierend effizient ausgetüftelten Hohlmuskel da die Kraft ausgehen kann, liegt nahe. So haben Senioren ein erhöhtes Risiko für die häufigste Herzrhythmusstörung, das sogenannte Vorhofflimmern. Aber nicht nur das Alter, auch die Lebensführung ist ein entscheidender Faktor. Wer gesund lebt, sich regelmäßig bewegt, normgewichtig ist, ausgewogen isst und Genussmittel wie Alkohol oder Kaffee in Maßen zu sich nimmt, hat bessere Aussichten, herzgesund zu bleiben.

Im Alter von über 70 Jahren ist nach Angaben der Deutschen Herzstiftung etwa jeder zehnte Mensch von Vorhofflimmern betroffen. In ihren bundesweiten Herzwochen in diesem November will die Patientenorganisation daher unter dem Motto „Turbulenzen im Herz – Vorhofflimmern“ besonders dazu informieren.


Telefonaktion am 8. 11. 2022, 14 bis 16 Uhr

  1. Dr. Frank Eberhardt, Chefarzt der Klinik für Kardiologie, EVK Kalk
    Hotline-Nummer 0221 – 224 2851
  2. Prof. Marc Horlitz, Chefarzt Kardiologie und Rhythmologie, Krankenhaus Porz
    Hotline-Nummer 0221 – 224 2852
  3. Prof. Axel Meissner, Chefarzt Kardiologie und Rhythmologie, Klinikum Köln-Merheim
    Hotline-Nummer 0221 – 224 2853
  4. Prof. Daniel Steven, Leiter Abteilung für Elektrophysiologie, Herzzentrum der Universität zu Köln
    Hotline-Nummer 0221 – 224 2854

Die wichtigsten Fakten haben wir mit der Hilfe des Kölner Spezialisten Frank Eberhardt im Folgenden für Sie zusammengefasst:

Vorhofflimmern

Beim Vorhofflimmern kontrahieren die Vorhöfe nicht mehr regelhaft und die Überleitung auf die Herzkammern erfolgt zu schnell, dadurch schlägt auch die Kammermuskulatur zu schnell und unregelmäßig. 1,5 bis zwei Millionen Menschen im Land sind nach Angaben der Deutschen Herzstiftung davon betroffen, 80 bis 90 Prozent der Herzrhythmusstörungen sind ein Vorhofflimmern. „Bei vielen Menschen verläuft das Vorhofflimmern asymptomatisch“, erklärt Eberhardt, „sie bemerken die Erkrankung nicht“.

Bei anderen reichten die Beschwerden von einer schlechteren körperlichen Belastbarkeit über Herzrasen und Atemnot bis hin zu einer so ernsten Beeinträchtigung, dass die Betroffenen als Notfall ins Krankenhaus müssen. „Aber das Vorhofflimmern ist nicht akut lebensbedrohlich“, betont der Kölner Mediziner.

Erhöhtes Schlaganfallrisiko

Problematisch ist allerdings, dass durch das Vorhofflimmern das Risiko für einen Schlaganfall steigen kann. Vor allem bei Patienten, die schon mal einen Schlaganfall hatten, die unter Bluthochdruck oder einer anderen Herzerkrankung leiden oder Diabetiker sind. Bewegung wirkt Risikofaktoren eines Schlaganfalls entgegen, ausreichend bewegen kann man sich sogar ohne Sport.

Im linken Vorhof des Herzens gibt es ein kleines Anhängsel, das sogenannte Vorhofohr. Eberhardt bezeichnet es als den „Blinddarm des Herzens“. Dieses Vorhofohr zieht sich bei einem Vorhofflimmern nicht mehr richtig zusammen, dadurch steht das Blut in der kleinen Ausbuchtung und es können sich leichter Gerinnsel bilden. Lösen sich diese und geraten in den Blutkreislauf, können sie im schlimmsten Fall einen Schlaganfall auslösen. „Sie können auch zu einer Durchblutungsstörung in den Beinen führen“, sagt Eberhardt, „aber ein Schlaganfall ist das, was wir am meisten fürchten“. Zumal gerade die Schlaganfälle, die durch Gerinnsel am Herzen entstehen, häufig große Schlaganfälle seien, mit ausgeprägten Lähmungen, Bewusstseinsstörungen oder durchaus tödlichem Ausgang.

Therapie

Anders als der Blinddarm kann das Vorhofohr nicht operativ entfernt werden. Es gibt die Möglichkeit, es mit einem Stopfen zu verschließen, allerdings sei das mit deutlichen Risiken verbunden und daher eine Behandlungsmethode für eine sehr ausgewählte Patientengruppe, betont Eberhardt. Sie komme für Menschen infrage, die eine Blutverdünnung nicht vertragen, die zum Beispiel unter der Gabe von Blutverdünnern schon mal eine Hirnblutung hatten. „Im Normalfall bekommen wir das Schlaganfallrisiko mit Medikamenten zur Blutverdünnung in den Griff.“ Inzwischen gebe es sehr gut verträgliche Substanzen, „da hat sich in den letzten 15 Jahren viel getan“.

Manche Patienten entwickeln unter Vorhofflimmern eine Herzschwäche, die Pumpleistung ihres Herzens ist irgendwann eingeschränkt. „Da gibt es dann zwei Möglichkeiten“, sagt Eberhardt: „Medikamente, meistens Beta-Blocker, sie sollen die Herzfrequenz bremsen. Oder wir versuchen, das Herz mit einem Elektroschock in einen normalen Rhythmus zurückzubringen.“ Bei der sogenannten Kardioversion bekommt das Herz unter kontrollierten Bedingungen und kurzer Sedierung des Patienten einen elektrischen Impuls von außen. Die Wirkung kann lange anhalten und der Herzrhythmus bleibt über Jahre stabil, sie kann aber auch schon nach wenigen Tagen oder Wochen verpufft sein.

Vor allem bei jüngeren Patienten komme dann noch eine Verödungsbehandlung (Ablation) infrage, erklärt Eberhardt. An den pulmonalen Venen am Herzen, die das Blut von der Lunge in den linken Vorhof zurückführen, befindet sich ein Gewebe, das die Mediziner als „falsche Zündkerzen“ bezeichnen. Es gibt Fehlimpulse an das Muskelgewebe der Vorhöfe ab und löst so das Flimmern aus. Bei der Verödungsbehandlung wird ein Katheter bis an diese pulmonalen Venen herangeführt und das fehlzündende Gewebe wird mittels eines Stromimpulses oder eines Kühlballons isoliert. „Damit kann das Vorhofflimmern deutlich reduziert oder sogar beendet werden“, sagt Eberhardt. „Und in erfahrener Hand ist das heute ein absoluter Routineeingriff.“

Selbstdiagnose per Smartwatch

Eine noch recht neue, nach Ansicht von Spezialist Frank Eberhardt aber sehr interessante Entwicklung im Bereich der Herzrhythmusstörungen ist die Selbstdiagnose per Smartwatch. „Es kommen ganz viele Patienten in meine Sprechstunde und zeigen mir auf ihrem Handy das Ergebnis eines selbstgemachten EKGs“, erzählt der Kölner Mediziner: „Viele Patienten kann ich beruhigen, ich habe aber auch schon Patienten aufgrund der Smartwatch-Ergebnisse zu Verödungsbehandlungen geschickt oder auf Blutverdünnungs-Medikamente eingestellt.“ Manchmal empfehle er sogar, eine Smartwatch zu nutzen. Etwa, wenn ein Patient regelmäßig über Herzrasen klagt, im Langzeit-EKG aber nichts zu sehen ist.

Allerdings seien die Geräte nur etwas für Menschen, die sich den Umgang damit zutrauten, sagt Eberhardt. Sie seien in der Regel zwar sehr bedienfreundlich, aber es habe eben nicht jeder ein Händchen für Technik. Auch für Menschen, die eher dazu neigen, sich verrückt zu machen, seien die modernen Uhren mit allen möglichen Messfunktionen nichts. Die Möglichkeit, ständig ein EKG schreiben zu können, sei dann eher kontraproduktiv.

Vorreiter bei den Smartwatches, die ein EKG schreiben können, ist Apple (ab 350 Euro). Es gibt aber auch Geräte mit EKG-Funktion für um die 100 Euro, etwa von Withings. „Diese Uhren haben ein riesiges Potenzial“, sagt Eberhardt, „bergen, unkontrolliert genutzt, aber auch gewisse Gefahren“. Extrem spannend sei die Frage, ob man durch Reihenuntersuchungen von Risiko-Personen mithilfe smarter Devices unerkanntes Vorhofflimmern entdecken, und in der Folge die Zahl an Schlaganfällen durch eine Behandlung mit Blutverdünnern senken kann. Bislang ist diese Frage medizinisch nicht exakt zu beantworten. Dafür braucht es noch weitere wissenschaftliche Untersuchungen.