Depression mit Drogen lindern„Wir lösen in der Tat eine kurzdauernde Psychose aus“
- Mit dem Verbot bewusstseinserweiternder Substanzen erlahmte auch die Forschung über deren Wirksamkeit.
- Einer, der das ändern möchte, ist Professor Gerhard Gründer. Er leitet eine der weltweit größten klinischen Studien zur Wirkung von Psilocybin.
- Im Interview erklärt er, wie sicher und wirksam die Droge bei der Behandlung schwer depressiver Menschen ist.
Köln – Herr Gründer, Sie wollen mit Ihrer aktuellen Studie herausfinden, wie wirksam und sicher Psilocybin in der Depressionstherapie ist. Was genau macht diese Substanz so interessant für die Behandlung?
Gerhard Gründer: In der Psychopharmakologie hat es seit 20 Jahren nur wenige Innovationen gegeben. Auch die Vielzahl vermeintlich neuer Substanzen in den 80er und 90er Jahren waren – das muss man heute kritisch sagen – Abwandlungen der Stoffe, die wir seit den 50er-Jahren nutzen. Das heißt, wir behandeln die Menschen seither mit denselben Prinzipien.
Welche Prinzipien sind das?
Einfach formuliert, vermuten wir, dass im Gehirn eines depressiven Patienten eine biochemische Fehlfunktion vorliegt, und wir versuchen diese mit Medikamenten fortlaufend zu korrigieren. Wenn wir die Arznei weglassen, kehrt die Krankheit zurück. Es ist also klar, dass viele Patienten nur mit einer Dauertherapie ihre Depression in den Griff bekommen.
Sie vermuten, dass psychoaktive Substanzen nachhaltiger wirken können?
Es zeichnet sich angesichts unserer Erfahrungen und der Ergebnisse anderer Studien ab, dass eine mehrmalige Gabe von Psilocybin zu einer langanhaltenden Verbesserung führen kann. Es hilft nicht jedem Patienten, auch das müssen wir ganz klar sagen. Aber für viele Menschen könnte diese Behandlung das Konzept der medikamentösen Dauertherapie ersetzen. Das wäre ein völlig neuer Ansatz.
Haben Sie für die Wirkungsweise schon eine Erklärung?
Die Studie
Die klinische Studie mit Psilocybin gehört bislang zu den weltweit größten: Das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim behandelt unter der Leitung von Professor Gerhard Gründer mit der Charité Berlin als zweitem Prüfzentrum und der MIND European Foundation for Psychedelic Science als Projektpartner 144 Patienten mit Depression. Die klinische Studie wurde von der zuständigen Bundesoberbehörde, dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, sowie der zuständigen Ethikkommission genehmigt. Gefördert wird die Studie mit knapp 2,4 Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Psychedelika haben einen fulminanten Einfluss auf die Biochemie und auf Verbindungen von Nervenzellen. Andererseits lösen die Substanzen subjektive Phänomene aus, die nicht nur die generelle Wahrnehmung, sondern auch die Wahrnehmung der Krankheit selbst ändern können. In der klassischen Pharmakologie ist bislang das subjektive Erleben – der Patient fühlt sich traurig, niedergedrückt, ängstlich – eine Begleiterscheinung der Hirnchemie. Wenn wir diese korrigieren, dann geht es dem Menschen besser. Aber bei der Therapie, über die wir gerade forschen, geht es auch darum, die subjektiven Wahrnehmungen zu nutzen. Denn auch sie können eine Veränderung bewirken.
Wie können Sie denn den Einfluss des subjektiven Erlebens in Ihrer Studie nachweisen?
Das können wir mit dieser Studie nicht. Wir können mit ihr nur zeigen, dass die Substanzen bei chronisch Schwerkranken und im medizinischen Kontext wirksam und sicher sind. Dass die subjektive Erfahrung dabei eine wichtige Rolle spielt, ist bislang nur eine Mutmaßung. Ob das tatsächlich so ist, wird die Zukunft in anderen Studien zeigen müssen.
Welche Patienten kommen für Ihre Forschung infrage?
Wir behandeln Patienten, die auf mindestens zwei der herkömmlichen Antidepressiva nicht ansprechen. Das ist sehr niederschwellig. Wir behandeln de facto Patienten, die auch mit weitaus mehr Antidepressiva keinen Erfolg erzielen konnten. Es sind schwerkranke Menschen, und wenn es zumindest einem Teil dieser Patienten nach der Behandlung wieder gut geht, ist das ein riesengroßer Fortschritt.
Sprechen Sie von Heilung?
Der Anspruch ist schon, eine so große Veränderung beim Patienten herbeizuführen, dass es ihm wieder gut geht. Bei Depression von endgültiger Heilung zu sprechen, ist schwierig. Es ist eine Krankheit, die viele Auslöser haben und jeden im Laufe seines Lebens treffen kann. Die Behandlung aber führt letztendlich dazu, eine neue Einstellung zu seinen Gedanken und Gefühlen zu bekommen. Der Patient wird dabei nicht von Zustand A in Zustand B überführt, sondern es wird ein Prozess angestoßen, der es ihm erlaubt, seine Krankheit neu zu bewerten. Dieser Prozess muss weiterhin immer von einer Psychotherapie begleitet werden.
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Wie muss man sich denn konkret die Behandlung während der Studie vorstellen?
Unter ärztlicher Aufsicht erhalten Patienten zwei verschiedene Dosierungen Psilocybin – 5 oder 25 Milligramm – oder ein Placebo. Jeder Patient bekommt aber mindestens einmal die hohe Dosis. Wir bereiten die Patienten in mehreren Sitzungen darauf vor, was auf der Reise nach innen passieren kann. Die Wirkung der Kapsel setzt frühestens nach 30 Minuten ein und hält längstens 8 Stunden an. Am nächsten Morgen wird das Erlebte besprochen. Nach sechs Wochen wiederholen wir die Behandlung.
Wovon berichten die Menschen?
Eine Patientin schilderte zum Beispiel, dass sie zunächst Angst verspürte und alles schwarz wurde. Doch allmählich bekam das ganze Erleben eine farbige Tönung und ein positives Gefühl stellte sich ein. Sie wie auch andere Patienten sprechen von einer neuen akzeptierenden Grundhaltung, mit der sie selbst negative Dinge wie Schmerzen distanziert betrachten können. Manche Patienten sagen bereits nach einem Tag, es sei eine lebensverändernde Erfahrung gewesen. Bei anderen Menschen hingegen passiert überhaupt nichts.
Welche Gefahren birgt die Therapie? Psilocybin ist ja nicht ohne Grund verboten, weil manche Menschen auch nach einer Einnahme Angst- und Panikschübe entwickeln können.
Wir lösen in der Tat eine kurzdauernde Psychose aus. Das heißt, wenn Patienten an Schizophrenie erkrankt sind, schon mal eine manische Episode durchlitten haben oder ähnliche Fälle in der Familie bekannt sind, behandeln wir sie nicht. Dann ist das Risiko zu hoch.
Das Risiko auf einem Horrortrip hängen zu bleiben?
Alle Studien der vergangenen Jahre zeigen, dass in einem gut vorbereiteten, medizinischen und therapeutischen Kontext nichts Gefährliches passiert und sogar negative Erfahrungen gemeistert werden können. Wir sprechen deshalb nicht von Horrortrip, denn selbst anstrengende Erfahrungen können am Ende positiv erlebt werden und eine Veränderung herbeiführen.
Was passiert denn körperlich?
Der Blutdruck steigt an, aber nicht in gefährlichem Maße. Und doch behandeln wir keine Patienten mit akuten Blutdruck-Problemen oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Grundsätzlich bringt die Substanz den Patienten körperlich nicht in Gefahr.
Sie macht auch nicht abhängig?
Das ist auch ein gängiges Missverständnis. Nicht jede Substanz, die verboten wird, macht abhängig. Psilocybin macht nicht abhängig, weil es nicht das Belohnungssystem im Gehirn anspricht. Im Gegenteil: Diese Erfahrungen sind anstrengend, unsere Patienten sind danach häufig völlig erschöpft und drängen nicht auf eine Wiederholung.
Die Erwartungen der vielen Betroffenen dürften enorm hoch sein, müssen Sie deren Hoffnungen nicht dämpfen?
Die Erwartungen sind zum Teil bizarr hoch. Es gibt Menschen, die behaupten, nach einmaliger Einnahme sei die Krankheit weg. Das halte ich für Blödsinn. Man muss wissen, dass es gerade auch einen wirtschaftlichen Hype darum gibt und hunderte Firmen in den Startlöchern stehen. Das Wichtigste scheint mir, darauf hinzuweisen, dass es keine magischen Pillen geben wird, die psychische Erkrankungen mit einem Schlag aus der Welt schaffen. Die Substanz setzt einen Prozess in Gang, den man psychotherapeutisch unterstützen muss. Das ist richtig Arbeit.
Ihr Ziel ist es aber, eine Arznei zur Marktreife zu bringen?
Wir behandeln 144 Patienten, und das ist ein winziges Tröpfchen auf den großen heißen Stein. Um die Substanz möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen, ist in der Tat eine Zulassung als Arzneimittel notwendig.
Wann rechnen Sie damit?
Dafür braucht es noch viel mehr Studien, viel Geld und viel Zeit. Wir sprechen von einigen Hundert Millionen Euro Kosten und fünf bis sieben Jahren Entwicklungszeit. Aber die Offenheit für das Thema ist auf allen Ebenen da.