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PaartherapeutWie Sex die Beziehung retten kann

Lesezeit 5 Minuten

„Sex ist die intimste Form von Kommunikation“: Berührungen erreichen uns laut Sexualwissenschaftler Christoph Joseph Ahlers unmittelbarer als Worte.

Eigentlich verstehen sie sich gut. Sie sind schon seit ein paar Jahren ein Paar. Sie haben viele Glücksmomente geteilt und einige Krisen gemeistert. Sie funktionieren nach wie vor, wenn es um den Kindergeburtstag, die Steuererklärung oder die Urlaubsplanung geht, nur als Liebespaar haben sie sich verloren. Die Liebe ist vielleicht nicht eingeschlafen, aber das Liebesleben schon. Seit einem Jahr läuft nichts mehr im Bett. So ähnlich geht es vielen Paaren. Das weiß der Sexualwissenschaftler und Paartherapeut Christiph Joseph Ahlers aus seiner zwanzigjährigen Berufserfahrung.

Berührungen erreichen uns unmittelbarer als Worte

Dabei ist Sex laut Ahlers als Kommunikationsmittel in einer Beziehung unabdingbar wichtig: „Sex gibt uns auf unvergleichlich intensive Weise das Gefühl, dass wir richtig und in Ordnung sind. Viel intensiver als Worte allein das können, denn Berührungen erreichen uns unmittelbarer als Worte“, erklärt Ahlers in seinem kürzlich erschienen Buch „Himmel auf Erden und Hölle im Kopf. Was Sexualität für uns bedeutet“. Das komplette erste Kapitel seines in Interview-Form veröffentlichten Buchs widmet der Klinische Sexualpsychologe allein dem Thema „Sex als Kommunikation“.

Kein „Porno-Posing“, keine reine Orgasmusproduktion

Dabei sei nicht „das Porno-Posing“, also „das Nachturnen einer sexuellen Choreographie“ gemeint oder die reine „Orgasmusproduktion“ bei One-Night-Stands oder bei Begegnungen mit Prostituierten. „Beim Sex geht es ja nicht darum, sich gegenseitig zu bedienen, es sich zu „besorgen“, sondern darum wahrzunehmen, wer der andere ist, diese Einsicht im sexuellen Verhalten würdigen und zum Ausdruck bringen“, so Ahlers.

„Sex ist die intimste Form von Kommunikation“

„Sex ist die intimste Form von Kommunikation, die uns Menschen zur Verfügung steht“, erklärt der Paartherapeut. „Unsere Möglichkeit, Liebe leiblich erleben beziehungsweise bei Leibe begreifen zu können.“ Dabei spiegele die Qualität der partnerschaftlichen Beziehung die sexuelle Beziehung - und umgekehrt. „Wenn ich mich in sexueller Hinsicht angenommen und gemocht fühle, dann fühle ich mich auch als Partner oder Partnerin so. Wenn aber auf der einen Ebene diese positiven Gefühle ausbleiben, wirkt sich das meist auch auf die andere aus.“

Männer stellen Nähe durch Sex her, Frauen brauchen Nähe, um Sex zu haben

„Ein Klassiker“, der ihm in seiner Praxis immer wieder begegne, so Ahlers, sei folgender: „Der eine hat dem anderen nichts mehr zu sagen und der andere dem einen dadurch nichts mehr zu geben.“ Ein Kernproblem ist laut Ahlers nämlich folgendes: „Kompliziert daran ist, dass Männer durch Sex Nähe herstellen (wollen) und Frauen Nähe brauchen, um Sex haben zu können. Jedenfalls ist das in der Regel so.“

Um die Problematik zu verdeutlichen, greift er in seinem Buch auf ein sehr klischeehaftes Beispiel zurück: „Sie will keinen Sex und deshalb kommt er nicht mit zu den Schwiegereltern, wie sie es sich wünscht.“ Gestritten werde über den Besuch, „aber eigentlich gehe es darum, dass der Mann sich nicht angenommen fühlt, was sich für ihn im ausbleibenden Sex ausdrückt.“

Grundbedürfnisse werden frustriert

Männer argumentierten dann häufig mit einem körperlichen Problem, dem berühmten - tatsächlich nicht existierenden - „Samenstau“, anstatt zu sagen, dass sie sich nicht gewertschätzt fühlen, wenn die körperliche Liebe ausbleibt. Die Frau antworte daraufhin dann oft: „Sorry, aber wenn du mich nie fragst, wie es mir geht und dich für nichts interessierst, dann interessiere ich mich auch nicht dafür, am Abend mit dir zu schlafen!“ Der Konflikt speise sich daraus, dass die Erfüllung von Grundbedürfnissen gegenseitig frustriert wird. Ein Teufelskreis, aus dem das Paar irgendwie ausbrechen muss. Nur wie?

Beide müssen umdenken

Laut Ahlers müssen beide umdenken: Nicht nur der Mann werde in der Paartherapie dazu animiert, seiner Frau in der Partnerschaft mehr Aufmerksamkeit zu schenken, auch die Frau werde durch provokante Fragen dazu angeregt, mit ihrem Mann zu schlafen. Den Mann würde der Therapeut also fragen, ob er nachvollziehen könne, „dass seine Frau nicht unbedingt das Gefühl hat, in seinen Wünschen als Person vorzukommen, wenn er wirklich nichts anderes von ihr fordert als Geschlechtsverkehr wegen Samenstau.“

„Warum schlafen Sie eigentlich nicht mit ihrem Partner?“

Die Frau würde er fragen: „Warum schlafen Sie eigentlich nicht mit Ihrem Mann?“ Seine Anschlussfrage: „Ist es anstrengend oder problematisch?“ Wenn nicht: „Wofür steht dann, dass Sie sagen: Ich mach dir zwar Schnittchen, ich kauf auch Bier für dich ein - was sie ja alles nicht zu tun bräuchten - , aber Sex gibt's nicht!“

Wenn Wertschätzung entsteht, kriegen Menschen auch wieder Lust aufeinander

Das grundlegende Problem sei, dass beide Partner ihre eigentlichen Bedürfnisse weder wahrnehmen noch formulieren könnten - und sie damit auch nicht wechselseitig berücksichtigen. „Gelänge das, würde es auch mit dem Sex klappen. Weil der eine andere Bedeutung hätte“, schreibt Ahlers. Und: Nicht der fehlende Anreiz des Neuen und Unbekannten sei - wie häufig suggeriert - der Lustkiller. „Wenn ein Gefühl von Beachtung und Wertschätzung entsteht, kriegen Menschen auch wieder Lust aufeinander.“

Dabei könnten die Partner sich folgende Fragen stellen: „Wer ist der Mensch neben mir auf dem Sofa? Nur der, der die Fernbedienung kontrolliert? Wer ist die Person, der ich die Füße massieren soll? Mein WG-Partner – oder die Person, die ich liebe?“ Es gehe nicht darum, nur eine Beziehung zu haben, sondern sie tatsächlich zu führen, im ständigen Austausch darüber zu bleiben. Kommunikation auf allen Kanälen – das hält die Beziehung am Leben. (rer)

Ahlers, Christoph Joseph: Himmel auf Erden und Hölle im Kopf. Was Sexualität für uns bedeutet. Goldmann, 448 Seiten, 19,95 Euro.