Sneaker boomen weiterhin – und Umweltschützende schlagen Alarm. Denn herkömmliche Modelle aus einem Cocktail an Kunststoffen lassen sich kaum recyceln und landen massenweise im Müll.
Naturlatex und AnanaslederKönnen Sneaker wirklich nachhaltig sein?
Ein „Crash“, eine „geplatzte Blase“, ein „Hype, der zu Ende geht“: Die Nachrichten über den Sneaker-Markt in den vergangenen Monaten kamen überraschend. Die Schuhe galten als Trend, der in der Corona-Pandemie so richtig in Fahrt kam und auch ihr Ende überlebt hat. Und nun soll er vorbei sein? Zumindest für eine Sparte des Sneaker-Geschäfts sieht es inzwischen schlechter aus: für den Zweitmarkt.
Sogenannte Reseller, die seltene Modelle zu hohen Preisen weiterverkaufen, erleben gerade, wie viele ihrer Modelle an Wert verlieren – teilweise sind es bis zu 50 Prozent. Ein Klassiker, der Nike Air Jordan Retro 1, der im Original 190 Euro kostete, wurde 2020 von Resellern noch für 60 Prozent mehr verkauft. 2023 lag der Markwert laut des Marktforschungsunternehmens Altan Insights sogar noch unter dem regulären Kaufpreis. Fachleute nennen für die Reseller-Krise vor allem einen Grund: Der Hype um Sneaker ist größer denn je. Das wiederum führt zu einem Überangebot.
Die großen Sneaker-Marken reiben sich bereits die Hände
Nike und Adidas – die größten Sneaker-Marken – verkaufen aufgrund der hohen Nachfrage mehr Modelle und größere Auflagen. Dadurch sind einzelne Modelle nun weniger selten. Verknappung aber ließ den Reseller-Markt jahrelang boomen: Denn je weniger Exemplare eines Modells verfügbar sind, desto mehr Geld können Zweithändler damit machen. Die großen Schuhmarken haben jedoch ihre Strategie geändert, dem anhaltenden Sneaker-Hype mit einem laut dem Onlinedienst Statista 2024 erwarteten Rekordumsatz von 2,61 Milliarden Euro in Deutschland sei Dank. Die großen Sneaker-Marken reiben sich bereits die Hände – und Sneaker-Fans dürften sich über diesen Trend freuen. Denn er führt dazu, dass ihre Chance höher ist, an angesagte Modelle zum Originalpreis zu kommen, statt doppelt so viel an Reseller zu bezahlen.
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Doch Umweltschützern und Klimaaktivistinnen bereitet dieser Trend Sorge. Sneaker seien eine der größten Umweltsünden der Modeindustrie, betonte die Aktivistin und Journalistin Tansy E. Hoskins in ihrem 2020 veröffentlichten Buch „Foot Work“. Gleichzeitig – auch das zeigt die Statista-Prognose – steigt der Umsatzanteil nachhaltiger Schuhe im Allgemeinen und damit auch der Sneaker. Doch können diese wirklich nachhaltig sein?
Sneaker bestehen meist aus Dutzenden verschiedener Materialen. Darunter Gummi, Silikone sowie Kunststoffe wie Polyurethan. Je nach Schuh sind es zwischen 20 und mehr als 40 Materialien, die in der Produktion größtenteils viele Emissionen verursachen. Fachleute sind sich einig, dass der Großteil der CO2-Emissionen der Schuhe auf die Produktion zurückgeht. Eine große Rolle bei der Nachhaltigkeitsbewertung spielt aber auch die Frage, was mit den Sneakern passiert, wenn sie nicht mehr getragen werden.
„Von den vielen Materialien eines Sneakers ist in der Regel nur ein kleiner Teil recycelbar. Die diversen anderen nicht-recycelbaren Materialien lässt das Wiederverwertungspotenzial enorm schrumpfen“, sagt Kai Nebel, der an der Universität Reutlingen zu Nachhaltigkeit und Recycling in der Textilbranche forscht. Und selbst die theoretisch recycelbaren Materialien werden mit anderen Bestandteilen derart stark verklebt, dass man sie kaum voneinander trennen kann. Außerdem werden oft Mischmaterialien verwendet. Das alles hat zur Folge, dass die allermeisten Sneaker nicht recycelt werden. Denn dazu müssten die Materialien zunächst voneinander getrennt werden, was sehr zeitaufwendig und kostenintensiv ist – schließlich ist jeder Schuh anders zusammengebaut. Stattdessen landen Berge an Sneakern auf Mülldeponien in afrikanischen Ländern. Allein in Deutschland werden jährlich geschätzte 380 Millionen Paar Schuhe entsorgt, viele davon sind Sneaker.
Veja setzt auf vegane Herstellung und ist erfolgreich
„Wenn wir mehr auf eine Sortenreinheit bei der Produktion achten würden, könnte man das Recyclingpotenzial erhöhen“, sagt Textilforscher Nebel. Genau hier setzen derzeit immer mehr Hersteller an: auf ressourcenschonende und weniger Materialien, die obendrein vegan und recycelbar sein sollen. Erfolgreich damit ist etwa die französische Marke Veja, die 2023 einen Umsatz von 260 Millionen Euro erzielte – und damit 160 Millionen Euro mehr als noch im Jahr 2020. Die Schuhe bestehen aus Biobaumwolle, Naturkautschuk und pflanzlich gegerbtem Leder.
Ob jedoch die Ökobilanz veganer Sneaker unterm Strich wirklich deutlich besser als bei marktüblichen Exemplaren ausfällt, ist bislang wissenschaftlich noch nicht belegt worden. „Das verwendete Material hat einen Einfluss auf die Nachhaltigkeitsbewertung eines Paar Sneakers“, sagt Forscher Nebel. Doch auch er ist beim Thema vegane Materialien zwiegespalten. Als Beispiel vergleicht er Polyurethan und Naturlatex. Polyurethan ist ein synthetischer Kunststoff, aus dem meist die Sohle besteht und der in herkömmlichen Sneakern auf Erdöl basiert. Durch den Abrieb der Sohlen gelange viel Mikroplastik in die Umwelt, so Nebel, Schuhe seien der zweitgrößte Mikroplastikemittent Deutschlands. Einige Hersteller nutzen auch deswegen für die Sohle Naturlatex, das rein pflanzlich ist. „Naturlatex kommt häufig aus dem Regenwald, dort sind die Arbeitsbedingungen auch nicht immer rosig. Und es verbraucht viel Wasser – wir haben also auch da ein Problem“, gibt Nebel zu bedenken.
Auch an dem Ökoversprechen des weltweit zweitgrößten Sneaker-Herstellers hat es Zweifel gegeben: Adidas warb mit Modellen aus recyceltem Meeresplastik. Eine Recherche des ZDF zusammen mit dem Start-Up Flip hatte Ende 2023 jedoch ergeben, dass das sogenannte Ozeanplastik nicht das ist, wonach es klingt. Laut Definition handele es sich um Plastik, das 50 Kilometer einwärts von der Küste gesammelt werde. Außerdem stamme ein Großteil des Plastiks nicht, wie von Adidas kommuniziert, von der Umweltschutzorganisation Parley for the Oceans – sondern aus Sammlungen anderer von Adidas organisierten Lieferketten mit Ursprung in Ländern wie Thailand, in denen Probleme wie Kinderarbeit nur schwer in den Griff zu kriegen seien. Der Vorwurf: Greenwashing beim Marketing.
Ananas aus Monokulturen, die mit Pestiziden vollgesaugt ist
Als Alternative zum Tierleder, das für herkömmliche Schuhen oft verwendet wird und keine gute CO2-Bilanz hat, setzen einige Hersteller auch auf pflanzliche Materialien wie Ananasleder. Auch bei diesem Ansatz ist Nebel skeptisch. „Die Ananas stammt in der Regel aus Monokulturen, die mit Pestiziden vollgesaugt ist. Auch das braucht die Menschheit nicht“, sagt er.
Eine klimafreundlichere Produktion und umweltfreundlichere Materialien allein machten einen Schuh ohnehin noch nicht zwingend nachhaltig: „Nachhaltiger sind Produkte dann, wenn sie ihren Zweck erfüllen, einen Mehrwert bringen und ich sie lange und intensiv nutze. Dadurch kann ich den dafür aufgewendeten Ressourcenverbrauch kompensieren oder wenigstens begründen“, sagt Nebel und plädiert dafür, Sneaker gut zu pflegen, um sie möglichst lange tragen zu können. „Wenn wir unser Verhalten ändern, können wir den Einfluss des Materials verkleinern“, sagt er.
Sammler horten zum Teil Dutzende kaum oder gar nicht getragene Sneaker. „Selbst wenn ich Schuhe aus Ökomaterial kaufe und die Dinger dann nicht benutze oder 30 davon im Schrank habe, ist das auch nicht nachhaltig“, betont Nebel.