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Echt schön, Alter!Designer entdecken Ältere als Zielgruppen

Lesezeit 4 Minuten
Illustration: Verzierte Tablettendose

Hackenporsche, Pillenbox und Rollator müssen nicht hässlich sein: Designer entdecken ältere Menschen als Zielgruppe.

Pillenbox und Gehhilfe: Schön sind Gegenstände, die Ältere benutzen müssen, selten. Doch langsam entdecken Designer auch die Generation der über 70-Jährigen als potenzielle Kunden – sinnvoll in einer immer älter werdenden Konsumgesellschaft.

Dieser Besuch endet mit einem Rauswurf. Am Geburtstag von Walt Kowalski, der nicht mehr zu den Jüngsten zählt, kommen Sohn und Schwiegertochter mit Geschenken an: Erst überreichen sie eine Greifzange – Walt ist ihrer Meinung nach in das Alter gekommen, in dem das Bücken nach Müll oder anderen Gegenständen nicht mehr klappt. Dann folgt ein Telefon mit übergroßen Tasten. Ganz nebenbei schieben sie ihm Werbebroschüren für Seniorenresidenzen zu. Da reicht es Kowalski. Clint Eastwood, der den grimmigen, aber ziemlich fitten Mann in „Gran Torino“ spielt, war 78, als der Film in die Kinos kam. Mittlerweile ist der amerikanische Schauspieler und Regisseur 91 und noch immer im Filmgeschäft aktiv.

Nichts gegen Greifzange und Seniorentelefone: Sie sind für viele ältere Männer und Frauen nützlich, wenn nicht gar notwendig. Doch ob Zange oder Telefon, Medikamentenbox oder Gehhilfe: Die meisten Dinge sehen aus, als hätten Designer und Designerinnen sich zwar überlegt, wie die Artikel gut zu handhaben sind, aber nicht, ob sie auch gut aussehen.

Zwischen Hackenporsche und Rollator fehlte etwas.
Elke Jensen, Produktdesignerin und Unternehmerin

Doch es gibt Ausnahmen. Der New Yorker Modeikone Iris Apfel verdanken wir die Erkenntnis: „Stil ist keine Frage des Alters.“ Und die Frau ist im August 102 geworden. Das Unternehmen Lanzavecchia + Wai hat auf sie gehört und schon vor einigen Jahren attraktive Alltagsprodukte für die ältere Zielgruppe auf den Markt gebracht. Bei dem Titel ihrer Entwürfe scheint die Firma sich an einem US-Film orientiert zu haben: Ihre Kollektion hat sie „No Country for Old Men“ genannt, nach Joel und Ethan Coens oscar-gekrönter Verfilmung des Cormac-McCarthy-Romans.

So hat das Unternehmen, das in Italien und Singapur tätig ist, Gehhilfen für Innenräume mit integriertem Tablett gestaltet. Nicht nur die Form ist interessant, sondern auch das Material: Die Designer verarbeiten auch Holz und Marmor, was den Gegenständen die sonst übliche Seniorenheim-Anmutung nimmt. Ein Stuhl, der das Aufstehen erleichtern soll, oder eine Lampe, die auch als Vergrößerungsglas dient, wirken in einer Wohnung nicht mehr als Fremdkörper.

Wie entscheidend das Material sein kann, sieht man auch an einem Produkt made in Germany: Das Münchner Unternehmen Schoendiener stellt Pillendosen aus Ahornholz her. Dass die Boxen sowohl funktional als auch ansehnlich sind, erklärt die Firma auf ihrer Website damit, dass die Gründerin studierte Apothekerin ist. Sie wollte nicht nur ein schickes Produkt auf den Markt bringen, sondern kennt sich mit Tabletten und Pillenboxen aus.

Start-up im Rentenalter

Persönliche Erfahrungen prägen auch die Geschichte von Elke Jensens Unternehmen. Die Hamburgerin, ehemalige Galeristin und Dozentin an der Akademie Mode & Design, stellte mit fortschreitendem Alter eine Produktlücke fest: Es gebe Hackenporsche, wie Einkaufstrolleys meist genannt werden, und es gebe Rollatoren für Menschen mit starken Mobilitätseinschränkungen – „doch dazwischen fehlte etwas“, sagt sie. Vor einigen Jahren begann die heute 73-Jährige damit, diesen fehlenden Artikel zu entwickeln.

Das Ergebnis nennt sich City Caddy und ist eine Art Dreirad, auf das man sich stützen kann und an dem sich eine Einkaufstasche anbringen lässt. Und, Jensen ist schließlich Produktdesignerin: Gut aussehen sollte ihr Produkt auf jeden Fall. In einem Alter, in dem andere in Rente gehen, gründete sie ein Start-up, um ihre Idee umzusetzen. Seit zwei Jahren ist ihr Caddy auf dem Markt. Die Verkaufszahlen steigen laut Jensen stetig; in der Gewinnzone sei sie aber noch nicht.

Dass auch Ältere ein Bedürfnis nach attraktiven Alltagsprodukten haben, steht für Jensen außer Frage. Ebenso, dass es da noch großen Nachholbedarf gibt. Eigentlich verwundert es, dass sich in diesem Bereich bislang nicht schon viel mehr getan hat. Die Bevölkerung in Deutschland und nahezu allen anderen Industrieländern wird immer älter. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes ist hierzulande die Zahl der 65-Jährigen und Älteren seit 1991 von zwölf Millionen auf 18,4 Millionen im Jahr 2022 „deutlich gestiegen“. Und: Der Anteil dieser Altersgruppe wird in den kommenden Jahren zunehmen.

Viele dieser Männer und Frauen sind, anders als oft noch ihre Eltern und Großeltern, mit 70 oder 80 relativ gesund. Und ein großer Teil von ihnen verfügt auch über die finanziellen Mittel, ihr Leben gut zu gestalten – eben auch mit gut gestalteten Hilfsmitteln. Manche wollen Einschränkungen oder Hilfsmittel lieber verbergen. Produkte wie der „Hörschmuck“ des Münchner Unternehmens Eora zielen auf diese Gruppe. Die Firma entwickelt Hörgeräte, die man nicht als solche identifiziert, weil sie in Ohrschmuck eingearbeitet sind.

Grundsätzlich tut sich nach Meinung von Elke Jensen in diesem Bereich zwar einiges – „es ist aber immer noch zu wenig“. Auch wenn Marketingplattformen und -agenturen, die sich auf solche Themen spezialisiert haben, schon länger existieren. Die Hamburgerin plädiert für mehr Begegnungen zwischen Produktdesignern und -designerinnen mit Älteren, damit die Experten deren Bedürfnisse verstehen. Auch die nach Schönheit. (RND)


Dieser Text gehört zur Wochenend-Edition auf ksta.de. Entdecken Sie weitere spannende Artikel auf www.ksta.de/wochenende.