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MusikwissenschaftlerinWarum hören wir als Ältere keine neue Musik mehr?

Lesezeit 2 Minuten
Ein älterer Mann hat Kopfhörer auf und hört entspannt Musik.

Je älter wir werden, desto besser wissen wir, was uns gefällt und womit es uns gut geht.

Mit dem Alter hören wir auf, neue Musik zu entdecken und hören lieber Bekanntes. Nachvollziehbar, sagt Musikwissenschaftlerin Melanie Wald-Fuhrmann.

Ob wir Rap, Metal oder Klaviersonaten mögen, entscheidet sich früh im Leben. Unser erster musikalischer Einfluss ist die Familie. Hier kommen wir mit verschiedenen Musikstilen in Berührung. Ganz nebenbei lernen wir auch die Muster und Gesetze dieser Genres kennen, ihre Instrumente, ihre Themen, ihre Darbietungsformen. Und was wir kennen und verstehen, finden wir ein Leben lang ansprechend.

Bekanntes verarbeitet das Hirn leichter

Denn unser Gehirn kann Bekanntes leichter verarbeiten und reagiert darauf mit einer positiven Empfindung. Außerdem vermitteln Eltern oder Geschwister eine musikalische Wertigkeit. Sie spielen ihre Lieblingsmusik vor und berichten von Konzerterlebnissen oder positiven Emotionen.

In der Pubertät verliert das Elternhaus an Bedeutung, und die Peer Group wird wichtiger. Dieser Abnabelungsprozess findet auch musikalisch statt. Wir wenden uns überwiegend der aktuellen Unterhaltungsmusik zu, die den Zeitgeist trifft und dabei meist bewusst die Auseinandersetzung mit der Elterngeneration sucht.

Musik ist ein wichtiger Teil der Identitätsbildung in dieser Lebensphase. Viele Jugendliche setzen sich intensiv mit „ihrer“ Musik auseinander. Auch der Besuch von Konzerten nimmt einen hohen Stellenwert ein.

Studium, Job, Familie: Andere Dinge werden wichtiger

Diese intensive Phase endet bei den meisten mit Mitte zwanzig. Plötzlich werden andere Dinge wichtiger, das Studium, der Berufseinstieg und die Familiengründung. Es kommt zu einer Art musikalischer Erstarrung. Wir bleiben unserem Musikgeschmack treu, hören die Songs aus unserer Jugend und folgen weniger Trends. Auch die Auseinandersetzung mit Musik nimmt meist ab. Sie wird zum Nebenbei-Medium, beim Sport, beim Autofahren oder bei der Arbeit. Oder positiv ausgedrückt: Wir wissen, was uns gefällt und womit es uns gut geht. Warum sollten wir uns noch auf die Suche nach neuer Musik machen?

Daran hat auch die größere und leichtere Verfügbarkeit von Musik durch Streamingdienste wenig geändert. Im Gegenteil: Die Algorithmen schlagen uns Musik auf Basis unserer Vorlieben vor und so bewegen wir uns letztendlich in Genregrenzen wie in den Zeiten von Plattenläden und CD-Abteilungen.

Je nach Persönlichkeitstyp können Menschen aber bis ins hohe Alter hinein neue Musik für sich entdecken. Manchmal sind es intensive Begegnungen mit bisher unbekannter Musik, die uns – vorübergehend – aus unserer musikalischen Erstarrung befreien. Von solchen musikalischen Schlüsselerlebnissen berichten mir auch Gesprächspartner jenseits der 70.

Protokoll: Birk Grüling


Dieser Text gehört zur Wochenend-Edition auf ksta.de. Entdecken Sie weitere spannende Artikel auf www.ksta.de/wochenende.