Der Gender-Pay-Gap in Deutschland ist vergleichsweise hoch. Damit sich das ändert, brauchen wir nicht nur bessere Gesetze, sagt die Journalistin Birte Meier.
Interview mit Birte MeierWas Frauen tun können, die glauben, zu wenig zu verdienen
Sondern auch Frauen, die dieses Recht auf gleiche Bezahlung einfordern. Im Schnitt 18 Prozent verdienen Arbeitnehmerinnen in Deutschland laut Statistischem Bundesamt weniger als Arbeitnehmer, umgerechnet sind das 4,31 Euro Bruttostundenverdienst. Auch bei vergleichbarer Qualifikation und einer vergleichbaren Tätigkeit bleibt diese Lohnlücke bestehen, sie sinkt allerdings auf sieben Prozent. Der Equal-Pay-Day, der dieses Jahr am 7. März stattfindet, markiert symbolisch den Tag, bis zu dem Frauen seit dem 1. Januar rein rechnerisch umsonst gearbeitet hätten, wenn ihnen die gleiche Bezahlung zustehen würde. Was also muss passieren, damit sich diese Lohnlücke schließt? Darüber haben wir mit der Journalistin Birte Meier gesprochen.
Frau Meier, Sie haben das Buch „Equal Pay Now!“ veröffentlicht, über den „größten Lohnraub der Geschichte“. Wie sieht der aus?
Birte Meier: Wir reden über den Gender-Pay-Gap häufig so, als handele es sich um einen bedauernswerten Missstand, den Frauen selbst zu verantworten hätten. Weil sie wahlweise den falschen Beruf wählen, in die Teilzeitfalle tappen oder sich zu lange um die Kinder kümmern. Tatsächlich ist aber in diesem Gender-Pay-Gap ein sehr großer Anteil an Lohndiskriminierung enthalten. Eine Frau verdient dann weniger als ein Mann, ohne dass es einen sachlichen Grund dafür gibt. Und über diesen Anteil reden wir zu wenig.
Sie haben das ZDF auf Lohngleichheit verklagt. Wie haben Sie diese Auseinandersetzungen erlebt?
Ich hatte zu Beginn länger versucht, eine interne Einigung anzustreben. Wer möchte schon gegen seinen Arbeitgeber klagen? Solche Verfahren können ja sehr unangenehm werden. Kein Unternehmen lässt den Vorwurf der Frauendiskriminierung gerne auf sich sitzen. Wenn man sich wie ich dann dazu entscheidet, in der Sache offiziell Beschwerde einzureichen, landet man schon aufgrund der knappen Fristen schnell bei einer Klage. Danach ist erst mal lange wenig passiert, abgesehen von mühseligem Schriftverkehr. Zwei Jahre später fand dann die erste Verhandlung vor dem Berliner Arbeitsgericht statt. Was sich dort abgespielt hat, hat mir die Schuhe ausgezogen.
Inwiefern?
Weil ich niemals damit gerechnet hätte, wie unverblümt der Richter sein Weltbild offenlegt. Frauen würden schlechter verhandeln, mutmaßte er. Und sie könnten ja auch schwanger werden. Dass ich keine Kinder hatte, hat ihn nicht interessiert. Das alles hat zu Murren bei den Frauen auf den Zuschauerrängen geführt und eine rief auch: „Das ist ja wie im Mittelalter!“ Was der Richter mit dem Satz „Ruhe auf den billigen Plätzen!“ kommentierte. Wir reden über das Jahr 2016, das muss man sich mal vorstellen! Und es ging nicht um irgendeine Lappalie, sondern um ein Grundrecht.
Was hat das damals mit Ihnen gemacht?
Ich habe mich doppelt gedemütigt gefühlt. Erst die Lohndiskriminierung und dann das Erlebnis im Gerichtssaal. Der Richter hat ja in diesem Moment nicht nur sehr unsachlich Partei ergriffen, sondern mich als Klägerin zusätzlich klein gemacht.
Viele Frauen trauen sich auch aufgrund solcher Demütigungen nicht, sich öffentlich zur Wehr zu setzen. Auch Sie haben in der Sache lange geschwiegen.
Weil das Thema tabuisiert ist. Bis hin zu Arbeitsverträgen, die ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern untersagen, über Gehälter zu sprechen. Ob das rechtens ist, sei dahingestellt. Hinzu kommen Rollenbilder, die über Jahrhunderte gewachsen sind, die Frau als Zuverdienerin, der Mann als Hauptverdiener. Was ich in Gesprächen zu dem Thema sehr häufig erlebt habe: Frauen zweifeln massiv an sich selbst und trauen sich gar nicht, das Thema Gehalt anzusprechen. Es fällt ihnen schwer, zu sagen: Ich bin das aber wert! Stattdessen überlegen sie dann, ob sie wirklich gleich gut sind – oder ob der Kollege nicht vielleicht doch die bessere Ausbildung hat. Sie suchen den Fehler also als Erstes bei sich selbst. Das heißt, diese internalisierten Rollenklischees und die erwarteten Demütigungen lassen eine innere Hürde entstehen, die Frauen erst mal überwinden müssen.
Ist die Sorge der Frauen vor den Folgen einer solcher Beschwerde nicht auch berechtigt?
Selbstverständlich, viele Frauen ahnen sehr wohl, was auf sie zukommt. Sie sehen, wie zermürbend sich der Weg durch die Instanzen bei den wenigen Klägerinnen in Deutschland gestalten kann. Ich hatte Glück, aber ein solcher Prozess kann natürlich auch ruinieren. Und nicht alle Frauen haben die Zeit, die Kraft, das Geld und auch die Netzwerke, so etwas durchzuziehen.
Deutschland zählt in Europa bis heute zu den Schlusslichtern in Sachen Lohngleichheit. Was bremst den Fortschritt aus?
Wir haben auf EU-Ebene inzwischen ein sehr fortschrittliches Regelwerk und eine ebenso fortschrittliche Rechtsprechung seitens des Europäischen Gerichtshofs. Bloß haben die Bundesregierungen diese Richtlinien nicht ausreichend umgesetzt. Die gesetzliche Grundlage ist hierzulande also so ungenügend, dass jedes Unternehmen bei einer Lohndiskriminierung sehr leicht davonkommt.
Was erstaunlich ist, weil die Forderung „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ja etwas ist, womit sich Politikerinnen und Politiker gerne schmücken.
Ja, aber ein funktionierendes Gesetz haben wir bis heute nicht. Das Entgelttransparenzgesetz nennen Juristinnen „Veräppelungsgesetz“. Die Arbeitgeber haben den Gesetzentwurf damals aus wirtschaftlichen Interessen so zerrieben, dass nur noch ein zahnloser Tiger übriggeblieben ist. Selbst wenn eine Frau erfuhr, dass sie weniger verdient als männliche Kollegen, musste ihr Gehalt nicht etwa angehoben werden. Diesen Mangel im Wortlaut hat jetzt immerhin das Bundesarbeitsgericht korrigiert.
In Island wurde 2018 ein Lohngleichheitsgesetz eingeführt. Seither werden Unternehmen daraufhin überprüft, ob sie Frauen ohne Begründung schlechter bezahlen als Männer. Wenn das der Fall ist, erhalten sie kein Gleichstellungs-Zertifikat. Unternehmen, die dieses Zertifikat nicht bekommen, müssen täglich umgerechnet über 300 Euro Strafe zahlen. Ist die deutsche Wirtschaft für solche Schritte bereit?
(lacht) Nein, das glaube ich nicht. Das Bemerkenswerte an dem isländischen Modell ist, dass es die Last von den Schultern der Frauen nimmt. Es ist also nicht mehr unsere Verantwortung herausfinden, ob und warum wir grundlos schlechter bezahlt werden. Sondern es ist die Aufgabe der Unternehmen, sich zertifizieren zu lassen, dass die Löhne fair sind. Auch auf europäischer Ebene steht eine neue Richtlinie für mehr Lohntransparenz kurz vor der endgültigen Verabschiedung. Die hat das Potenzial, ein Equal-Pay-Turbo zu werden.
Wieso?
Wenn diese Richtlinie voraussichtlich im Frühling verabschiedet wird, haben die Mitgliedstaaten drei Jahre Zeit, entsprechende nationale Gesetze zu erlassen. Frauen könnten ihre Gehälter dann unter anderem drei Jahre rückwirkend einklagen. Arbeitsverträge dürfen keine Verschwiegenheitserklärungen zum Gehalt mehr enthalten. Und Unternehmen müssen ihre geschlechtsspezifischen Lohnlücken veröffentlichen.
Es hat gerade ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts gegeben: Arbeitgeber dürfen die schlechtere Bezahlung von Frauen nicht mehr damit begründen, sie hätten schlechter verhandelt. Ein Meilenstein?
Ja. Durch dieses und vergleichbare Urteile aus den vergangenen Jahren ist das Rechtsrisiko für Unternehmen deutlich größer geworden – sie kommen nicht mehr mit einer so einfältigen Ausrede davon. Ob Frauen dadurch insgesamt weniger abgeschreckt sind, vor Gericht zu ziehen, wird man erst noch sehen.
Frauen werden eher Kauffrau als Mechatronikerin. Sie wählen also einen schlechter bezahlten Beruf. Liegt die Verantwortung für die Lohnlücke damit nicht auch bei den Frauen selbst? Bei vergleichbarer Tätigkeit schrumpft der Gender-Pay-Gap auf sieben Prozent.
Natürlich bedeutet die Forderung „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ nicht, dass eine Sekretärin das Gleiche verdienen soll wie ein Chirurg. Aber es stimmt einfach nicht, dass Frauen der Lohnlücke entkommen, wenn sie sich für ein besser bezahltes Berufsfeld entscheiden. Wenn eine Frau aus einem weiblich dominierten, tendenziell schlechter bezahlten Berufsfeld in ein männlich dominiertes, tendenziell besser bezahltes Berufsfeld wechselt, dann verdient sie trotzdem weiterhin schlechter als die Männer. Mal ganz davon abgesehen: Ob es jetzt sieben, zehn oder 18 Prozent sind – jeder Prozentpunkt ist einer zu viel. Und wir müssen uns als Gesellschaft ohnehin fragen, warum uns der Automechaniker mehr wert ist als die Frau, die uns die Zähne reinigt. Die Wirtschaft und auch die Politik haben sich viel zu sehr daran gewöhnt, dass Frauen für weniger, manchmal sogar für gar nichts arbeiten.
Was raten Sie Frauen, die ahnen, dass ihnen mehr Lohn zusteht?
Als Erstes würde ich ausrechnen, wie viel Gehalt jedes Jahr verloren geht. Das Ergebnis kann nämlich schockierend sein. Und dann würde ich anwaltlichen oder gewerkschaftlichen Rat einholen. Oder bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes anrufen, um eine rechtliche Einschätzung zu erhalten. Wenn das Unternehmen unter das Entgelttransparenzgesetz fällt, kann man gefahrlos eine Anfrage stellen, was Mitarbeiter mit einer vergleichbaren Stelle im Median verdienen. Und dann müssen sich Frauen sehr genau fragen, ob sie sich den Beschwerdeweg zutrauen. Ich kann nur sagen: Das Gefühl, sich zu wehren, ist viel wert.
Inzwischen arbeiten Sie als Chefreporterin im Investigativen für RTL. Wissen Sie, was die Kollegen auf vergleichbarer Position verdienen?
Ich sage es mal so: Dieses Problem habe ich für mich gelöst.
Zur Person
Birte Meier ist Chefreporterin Investigativ bei RTL News. Zuvor hat sie viele Jahre als Redakteurin für die ZDF-Sendung "Frontal21" gearbeitet und wurde für ihre Recherchen vielfach ausgezeichnet.
Zum Buch
Birte Meier: „Equal Pay Now! Endlich gleiches Gehalt für Frauen und Männer“, Goldmann Verlag, 240 Seiten, 16 Euro