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Rollenverteilung„Alle wünschen sich Gleichberechtigung, aber keiner lebt sie vor“

Lesezeit 7 Minuten
Ein Vater macht die Wäsche mit einem Baby auf dem Arm.

Ein Vater, der selbstverständlich seinen Teil der Care-Arbeit übernimmt – gibt es davon wirklich viele?

Müssen wir wirklich immer noch über Gleichberechtigung reden – in Deutschland im Jahr 2022? Es wäre ein Leichtes, genervt abzuwinken und auf all die Gleichstellungserfolge zu verweisen. Dabei sind Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern immer noch fester Teil unseres Systems. In ihrem Buch „Wir sind doch alle längst gleichberechtigt!“ entlarvt die Journalistin Alexandra Zykunov die alltäglichen Mechanismen und zeigt, wie weit der Weg noch ist. Ein Gespräch.

Wir hatten eine Kanzlerin, es gibt die „Neuen Väter“ und die „50:50-Paare“. Es läuft doch eigentlich schon richtig gut mit der Gleichberechtigung, oder?

Alexandra Zykunov: „Wir hatten doch jetzt 16 Jahre eine Kanzlerin!“ Dieser Spruch fällt ja gerne. Mit solchen Argumenten tun wir so, als wären Frauen und Männer bei uns längst gleichberechtigt. Aber Fakt ist, dass Angela Merkel für den Feminismus nicht besonders viel getan hat. Und nur weil ein paar Frauen es an die Politikspitze geschafft haben, bedeutet das noch lange nicht, dass sie andere Frauen mitziehen. Repräsentanz ist super wichtig und es ist toll, dass es diese Frauen gibt – doch es sind bei weitem noch nicht genug. Oft ist es außerdem so, dass diese Frauen geschafft haben, innerhalb klassischer Strukturen mit männlichem Führungsstil nach oben zu kommen. Sie stützen damit häufig genau dieses patriarchale System.

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Das Patriarchat – die meisten würden heute eher behaupten, diese Zeiten sind vorbei…

Porträtbild von Alexandra Zykunov

Alexandra Zykunov ist Journalistin, Mutter von zwei Kindern und lebt in Hamburg.

Wir alle sind ja patriarchal sozialisiert. Das Patriarchat ist unter uns. Aber in Deutschland ist es subtil am Werk. Der größte Zaubertrick des Patriarchats ist, so zu tun, als wäre es längst ausgestorben. Denn wenn etwas nicht mehr da ist, ist es als Problem natürlich schwer zu greifen. Es heißt dann: „Ist doch gar nicht so schlimm, Frauen können doch heute alles werden!“ Und im Vergleich zu anderen Ländern, wo sie nicht einmal Auto fahren oder reisen dürfen, stimmt das ja auch.

Wenn man aber tiefer geht und Fragen stellt, fällt das Ganze in sich zusammen. Warum leben wir in einem Land, in dem Frauen noch finanziell abhängig sind von ihren Partnern? Mehr als unfassbare 60 Prozent aller verheirateten Frauen zwischen 30 und 50 verdienen heute weniger als 1000 Euro netto im Monat und sind von Altersarmut bedroht. Warum gehen denn immer noch nur 42 Prozent der Väter in Elternzeit? Warum sind 91 Prozent aller Bürgermeister im Land Männer? Warum sitzen bei einem CEO-Frühstück dreißig Männer und keine einzige Frau? Auch die Zahlen der Gewalt gegen Frauen sind hierzulande erschreckend hoch, jeden Tag versucht ein Mann eine (Ex)-Frau zu töten und jeden dritten Tag gelingt das auch – das ist etwas Urpatriarchales.

Es liegt also immer noch im System, Frauen klein und abhängig zu halten?

Buchtipp

Cover des Buches „Wir sind doch alle längst gleichberechtigt“

Alexandra Zykunov, „Wir sind doch alle längst gleichberechtigt!“, Ullstein Buchverlage, 2022

Absolut. Aber alles unter der Prämisse, dass Frauen ja selbst entscheiden können. Dann heißt es zum Beispiel: „Auch Mütter können ja mehr arbeiten, aber sie wollen eben nicht und lieber beim Kind bleiben.“ Und natürlich können sie eigentlich selbst entscheiden. Aber es gibt in unserer Gesellschaft eben auch bestimmte innere Gesetze, welche Ansprüche wir an Mütter und Väter haben. Eine Studie hat belegt, dass die gesellschaftlich anerkannte Elternzeitlänge bei einer Mutter drei Jahre und zwei Monate ist. Bei Vätern wird danach gar nicht erst gefragt, wie lange sie für ihr Kind aussetzen sollten, um ein „guter Vater“ zu sein.

Wenn es heißt, Frauen können alles, erwartet man von ihnen auch, dass sie alles können sollen. Sie sollen ja Karriere machen, aber so, als hätten sie keine Kinder. Und sie sollen Kinder kriegen, aber so tun, als hätten sie keine Karriere.

Warum reproduzieren auch junge Menschen heute noch alte Rollenmuster?

Weil sie von uns, der jetzigen Elterngeneration, klassisch-konservative Muster vorgelebt bekommen. Selbst emanzipierte, moderne Menschen von heute rutschen in traditionelle Rollenbilder ab, sobald sie das erste Kind bekommen. 96 Prozent aller Mütter nehmen zehn Monate und länger Elternzeit, aber nur acht Prozent der Väter, die große Mehrheit der Mütter bleibt auch danach in Teilzeit, während der Großteil der Väter weiterhin voll arbeiten geht. Und ihre Kinder schauen sich ab, dass immer Mama sie nachmittags abholt und betreut. Unser Aufschrei in den Köpfen ist groß, alle wünschen sich Gleichberechtigung, aber wir leben sie unseren Kindern nicht vor. Oft heißt es dann: „Ich finde Gleichberechtigung super, aber bei uns geht das leider nicht.“ Kein Wunder, dass in einer Umfrage des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo 58 Prozent der Mädchen angaben, dass sie später ihren Job für die Familie reduzieren wollen, aber nur 16 Prozent der Jungs.

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Auch in den Medien bekommen Kinder Traditionelles vorgelebt. In Kinderfilmen verfolgen Jungs die Weltrettung oder berufliche Ziele und Mädchen Ziele im privaten Raum wie Liebe, Freundschaft und Familie. Die Welt lebt ihnen auch vor, dass Jungs blau tragen und in Action sind und Mädchen pink mögen und Puppen pflegen. Selbst wenn Eltern ihren Kindern vermitteln, dass es diese Unterschiede nicht zwangsläufig gibt, bleibt das sehr verwirrend für Kinder, wenn sie in der Kita oder in ihren Schulbüchern täglich das Gegenteil sehen. Es ist ein Kampf gegen ein System, das so meilenweit davon entfernt ist, gleichberechtigt zu sein. Aber es darf auch nicht allein unsere Aufgabe als Eltern sein, das zu ändern. Am Ende können wir selbst wenig tun. Das macht zurecht wütend! Politik und Wirtschaft müssen etwas unternehmen.

Sie sprechen die ungleichen Rahmenbedingungen von Frauen und Männern an…

Ja. Es heißt ja oft, Frauen wollen keine Karriere machen oder müssten einfach besser verhandeln. Dabei gibt es erwiesenermaßen den so genannten „unconscious gender bias“, das heißt Frauen werden unbewusst wegen ihres Geschlechts diskriminiert und haben weniger Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Wenn sich also gleich qualifizierte Männer und Frauen auf einen Job bewerben, werden Frauen von Personalern eine Schulnote schlechter eingestuft. Bewirbt sich ein Mann für einen Job, ist es völlig egal, wie alt er ist. Eine Frau im zeugungsfähigen Alter wird dagegen viel seltener zu Gesprächen eingeladen – entweder weil sie schon Kinder hat oder weil sie keine Kinder hat, aber welche bekommen könnte. Es ist nicht so, dass ganze Generationen von Frauen keine Karrieren machen wollen. Das System will nicht, dass diese Frauen Karriere machen.

Sie zerlegen in Ihrem Buch oft gesagte Sätze wie: „Das Kind gehört eben zur Mutter.“ Was ist an dieser Aussage so fatal?

Sie ist einfach falsch. Und es gibt viele neurowissenschaftliche und evolutionsbiologische Untersuchungen, die das belegen. Ein Kind braucht keine Fürsorger mit weiblichen Geschlechtsorganen. Der Mutterinstinkt existiert nicht. Wenn Väter vier Monate am Stück mit ihrem Neugeborenen zusammen sind, belegt eine Studie, dann entwickeln sie dieselben Bindungshormone wie Mütter. Das Kind braucht einfach mindestens eine liebende betreuende Person – Geschlecht, Alter und Familienkonstellation sind da völlig egal. Die Aussage, dass das Kind zur Mutter gehört, setzt Frauen unter Druck und zwingt sie, sich mit der Mutterschaft komplett zu identifizieren und die Bedürfnisse des Kindes über alles zu stellen, auch über ihre eigenen. Die Folge ist eine Zeit kollektiver Mütter-Burnouts.

Was ist mit dem Satz: „Hast du ein Glück, dass dein Mann zuhause so viel mithilft.“ Klingt erstmal positiv, oder?

Auf den ersten Blick. Ja, Väter tun heute mehr, sie sind sichtbarer, sie wechseln Windeln und schieben einen Kinderwagen. Solche winzigen Schritte werden aber gefeiert, als hätten wir schon Gleichberechtigung. Der Satz oben entlarvt sich selbst schon durch seine eigene Formulierung, denn wenn der Mann „Helfer“ ist, wird automatisch suggeriert, dass die Frau eigentlich für den Haushalt verantwortlich ist. Der Satz sollte eher lauten: „Hast du ein Glück, dass dein Mann seinen Anteil im Haushalt übernimmt!“ Wobei die Aussage eigentlich überflüssig wird, denn warum sollte man jemanden dafür loben, dass er eine normale Aufgabe erledigt? Im Umkehrschluss würde nie jemand zu einem Mann sagen: „Hast du ein Glück, dass du eine Frau hast, die sich um ihre Kinder kümmert!" Der beste Trick, diese Sätze zu entlarven ist, ist, sie einfach umzudrehen. Dann kann die Diskussion beginnen…