„Mutig, nicht perfekt“Warum Frauen wenig wagen – und Männer sich ins Risiko stürzen
- Nur jede fünfte Führungsposition in Deutschland ist mit Frauen besetzt. Nur vier Prozent der Startups werden von Frauen gegründet. Oft ergattern sich männliche Kollegen begehrte Jobs. Warum ist das so?
- Frauen fehle der Mut, sagt die US-amerikanische Autorin Reshma Saujani. Während Männer sich ins Risiko stürzten, hätten sie viel zu viel Angst zu scheitern.
- In ihrem Buch „Mutig, nicht perfekt“ geht sie der Frage nach, woher das kommt. Und was das mit Klettergerüsten in der Kindheit zu tun hat.
Köln – Es ist eine exemplarische Szene aus der Arbeitswelt: Eine Frau und ein Mann sind gleichermaßen qualifiziert und gelten als Anwärter für die Leitung eines neuen Projekts – doch noch bevor frau sich versieht, ergattert der männliche Kollege den Auftrag. Ganz häufig gehe es so aus, der Mann mache das Rennen, sagt die US-amerikanische Anwältin und Autorin Reshma Saujani. Und der Grund dafür sei ebenso klar: „Frauen sind einfach nicht mutig genug!“
Während die Frau noch zögere, ob sie der neuen Aufgabe überhaupt gewachsen sei, habe der Mann längst gewagt, sich die Stelle einfach mal zu schnappen. Kein Wunder, so Saujani, denn genau so hätten sie es beide als Kinder gelernt. „Mädchen werden von klein auf dazu erzogen, keine Risiken einzugehen“, schreibt sie in ihrem Buch „Mutig, nicht perfekt“. Die Jungs dagegen „erfahren Zustimmung und Lob für die Wagnisse, denen sie sich stellen, egal wie sie ausgehen“.
Mädchen lernten, so perfekt wie möglich zu sein
Während Jungen also darin bestärkt würden, Dinge zu erforschen und Risiken einzugehen, so Saujanis These, würden Mädchen vor allem dazu erzogen, so perfekt wie möglich zu sein. Man motiviere sie, nach Bestnoten zu streben, an andere zu denken, keine Fehler zu machen und sich beim Klettern nicht zu hoch hinauf zu wagen. Sie sollten „still sitzen und artig sein, hübsch aussehen, liebenswürdig und beliebt sein.“ Mit der Zeit erhöhe sich sogar der Perfektionsanspruch noch, so Saujani: „Wir versuchen, perfekte Schülerinnen zu sein und später dann perfekte Mitarbeiterinnen, perfekte Ehefrauen und perfekte Mütter.“
Zu viel Angst vor Scheitern und Blamage
Erwachsene Frauen stellten sich dann, um ja niemanden und vor allem nicht sich selbst zu enttäuschen, nur solche Aufgaben, die sie auch bewältigen könnten. „Weil wir von Kindesbeinen an für Perfektion belohnt werden“, so Reshma Saujani, „werden wir zu Frauen, die Angst vorm Scheitern haben.“ So würden Frauen aus Furcht vor Blamage, Rufschädigung, Ausgrenzung oder Entlassung oft keine Wagnisse eingehen. Stattdessen aber vor jeder Entscheidung „jede kleine Facette analysieren, diskutieren und abwägen“ und es oft am Ende ganz sein lassen.
Frauen bleiben hinter ihren Möglichkeiten zurück
Dieser Drang, alles perfekt machen zu wollen, schade den Frauen nicht nur persönlich, weil es sie unglaublich viel Energie koste und ihre Selbstachtung darunter leide, er bremse sie auch massiv aus. „Viele Frauen bleiben deshalb ihr Leben lang unter ihren Möglichkeiten.“ Saujani sieht darin sogar einen Grund dafür, warum überall auf der Welt Frauen auf Vorstandsebenen, in Sitzungsräumen und in Plenarsälen unterrepräsentiert seien.
Auf dem Weg nach oben, in der Ausbildungszeit, würden Frauen noch für Perfektion belohnt, in der echten Welt zählten aber Durchsetzungskraft und Risikobereitschaft: „Damit unsere Arbeit anerkannt wird und wir es nach oben schaffen, dafür brauchen wir Mut“, sagt Saujani. Dabei bedeute Mut nicht, dass man immer das Größte, Gewagteste, Widerständigste tut. „Manchmal ist es sogar mutiger, sich selbst zu erlauben, nicht zu tun, was von einem erwartet wird.“
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Reshma Saujanis Geschichte vom Scheitern
In ihrem Buch erklärt Reshma Saujani an vielen anschaulichen Beispielen, wie Mädchen in der westlichen Kultur die Perfektion täglich antrainiert wird, wie sie das als Erwachsene beeinflusst und was Mutigsein bedeuten kann. Außerdem gibt sie konkrete Tipps, wie man üben kann, weniger perfekt und dafür mutiger zu sein. Vieles im Buch hängt Saujani auch an ihrer persönlichen Geschichte auf, vor allem an der prägenden Erfahrung, als sie für den US-Kongress kandidierte und grandios scheiterte. Sie erzählt von eigenen Ängsten und teilt die Stories vieler Frauen und Mädchen, mit denen sie gesprochen hat.
Der Ton im Buch ist, typisch für viele US-amerikanische Ratgeber, leicht überzogen und nicht frei von „Du kannst es schaffen“-Theatralik. Der Hauptgedanke ist aber durchaus überzeugend. Dass Frauen im Beruf ihr Licht unter den Scheffel stellen, an sich zweifeln und aus Angst vor Bewertung weniger wagen, ist ein bekanntes Phänomen.
Frauen unterschätzen sich häufig
So zeigte eine Untersuchung aus dem Jahr 2019, dass sich gut ausgebildete Frauen häufig auf Stellen bewerben, die unter ihrer Qualifikation liegen, während Männer sich sogar öfter für Jobs anbieten, für die sie eigentlich unterqualifiziert sind. In einer anderen Studie hat sich gezeigt, dass Frauen im Arbeitsumfeld oft zu bescheiden sind, sich selbst unterschätzen und deshalb viel weniger Netzwerke nutzen, um im Beruf voranzukommen. Eine weitere Studie aus dem Jahr 2016 hat ergeben, dass nur 26 Prozent der Frauen sich überhaupt zutrauen, ein eigenes Unternehmen zu gründen.
Mädchen glauben, sie könnten kein Mathe
Dass der Grundstein für diese Verhaltensweisen schon früh durch unseren unterschiedlichen Umgang mit Mädchen und Jungen gelegt wird, kann man unter anderem an von Geschlechterklischees geprägtem Spielzeug und Kleidung erkennen. „Adventure-Boy“ (Abenteuerjunge) heißt es da auf Jungs-Shirts, während Mädchen mit Aufschriften wie „Sunshine-Girl“ (Sonnenscheinmädchen) zum Liebsein motiviert werden. Dass manchen Mädchen auch schon früh vermittelt wird, welche Bereiche nichts für sie sind, zeigt sich in Studien zum Thema Mathe. Mädchen trauten sich auf diesem Gebiet oft weniger zu. Selbst wenn sie so gut abschnitten wie Jungs, gaben Mädchen oft an, nicht gut in Mathe zu sein. Die Annahme: Im Rahmen bestimmter Rollenklischees würden Mädchen dazu erzogen, keine Mathe-Überflieger zu sein.
Frauen oft auch strukturell benachteiligt
Längst gibt es natürlich auch erfolgreiche Gegenbeispiele von Frauen, die sehr wohl mutig ihren Weg gehen und sich auch in technischen Berufen und Führungspositionen etabliert haben. Wenn man sie denn lässt. Denn gerade in der Führungsetage werden Frauen in vielen Unternehmen noch strukturell benachteiligt. Denn immer noch ist es so, dass Männer vor allem andere Männer befördern und ihnen in wichtige Positionen verhelfen – und gleichermaßen qualifizierte Frauen deshalb chancenlos bleiben. Ganz zu schweigen vom Gegenwind, den viele Frauen bereits im Vorstellungsgespräch erfahren, weil sie im gebärfähigen Alter sind oder bereits Kinder haben. Sie scheiden quasi allein wegen ihres Familienstands für alle verantwortungsvollen Jobs aus dem Rennen aus, bevor sie überhaupt beweisen konnten, wie viel sie können.
Es liegt also nicht allein daran, ob Frauen sich trauen. Dass die Gesellschaft ihnen Leistungen oft nicht zutraut, ist ein ernst zu nehmendes Problem. Es braucht deshalb weiterhin eine Debatte um Rollenbilder und Gleichberechtigung, damit sich etwas ändert. Und Eltern, die ihre Töchter darin bestärken, mehr zu wagen – nicht nur auf dem Klettergerüst.