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Phänomen „Tradwives“Warum wollen diese Frauen wieder so leben wie in den 50er Jahren?

Lesezeit 6 Minuten
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Lippenstift auflegen, bevor der Mann nach Hause kommt. Tradwives geben sich wie Hausfrauen aus den Fünfzigerjahren.

  1. In den Sozialen Medien sorgen Tradwives in den USA und England derzeit für Aufmerksamkeit.
  2. Die prominenteste Vertreterin der Bewegung, Alena Kate Pettitt, polarisiert mit ihren Aussagen, die überkommene Rollenbilder vom starken Mann und der unterwürfigen Frau propagieren.
  3. Die Soziologin Helma Lutz erkennt gefährliche Ähnlichkeiten zum Frauenbild der Nationalsozialisten.

England – Alles glänzt. Die ordentlich geschrubbten Fußleisten, die frisch gewaschenen Gardinen, die akribisch gewienerte Haustür. Nun hat Alena Kate Pettitt Zeit, im schwingenden 50er-Jahre-Blumen-Kleid mit akkurat sitzender Frisur selbst gebackene Scones mit Marmelade und ein Tässchen Tee zu genießen, und via Instagram zu fragen: „Was hast du schon im Haus geschafft heute?“

Tradwives zelebrieren die klassische Rollenverteilung

Tja. Die Bettlaken sind seit Wochen nicht gewechselt, in der Küche stapelt sich das dreckige Geschirr und zum Mittagessen gibt es Tiefkühlpizza. Einen Platz in der „Tradwives“-Community kann ich mir damit wohl abschminken. Im Leben der traditionellen Ehefrauen, wie es etwa von der besonders umtriebigen Britin Pettitt, Mutter eines siebenjährigen Sohnes, in den sozialen Medien vorgeführt wird, sind putzen, bügeln, Wäsche aufhängen, kochen, backen und altmodische Kleider anziehen entscheidend für eine glückliche Ehe im trauten Familien-Heim. Tradwives leben freiwillig so, sie sind voller Hingabe für ihren Ehemann und legen frischen Lippenstift auf, bevor er nach Hause kommt.

Vor allem in den USA und Großbritannien ist es kein neues Phänomen, dass Frauen sich den Lebensstil aneignen, zu dem ihre Urgroßmütter einst gezwungen waren. Sie zelebrieren die klassische Rollenverteilung, der Mann gibt den Versorger, die Frau hütet Haus und Kinder und bereitet ihm ein behagliches Heim. Versehen mit einem Hashtag und in Verbindung mit enervierenden Kitschbildern von Petticoat-Kleidern, selbst gebackenem Brot und bunten Blumen-Arrangements sind die #Tradwives neuerdings auch zu einer Selbstdarstellungs-Spielfläche bei Facebook und Instagram geworden. Und damit sorgen sie aktuell für einige Aufmerksamkeit.

Gefährdet der Trend die Errungenschaften der Emanzipation?

Alena Kate Pettitt als eine der offensivsten Vertreterinnen der Tradwives-Gemeinde geht so weit, in ihrem Blog „Darling Academy“ zu schreiben: „Dein Ehemann steht an erster Stelle, und er muss wissen, dass es so ist.“ Es gelte zuallererst, ihn zu verwöhnen, zu umsorgen, Tag für Tag mit ihm zu flirten als sei die Liebe noch ganz frisch. Und der Sohn? Ja, Pettitt liebe natürlich auch ihren Sohn. „Aber ohne ihn (den Ehemann), hätte ich kein Kind. Er sorgt dafür, dass mein Sohn und ich sicher sind und es uns an nichts fehlt.“

Die Britin polarisiert. Auf ihren Social-Media-Seiten hat sie einige Tausend Anhänger(innen). Aber macht das die Tradwives zu einem ernst zu nehmenden Trend? Ist zu befürchten, dass die Errungenschaften der Emanzipation in Putzmittel ertränkt werden, von jungen Frauen, die gern Blumenkleider tragen und Rezepte für hausgemachten Apfelkuchen tauschen?

Wissenschaftliche Studien zu den Aktivitäten der Tradwives im Netz gebe es bislang nicht, sagt Helma Lutz, Professorin für Frauen- und Geschlechterforschung an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Im deutschsprachigen Internet finde sich wenig zum Thema. „Aber in den USA und in Großbritannien scheinen einzelne Anhängerinnen dieses Modells mittlerweile Blogs, digitale Tutorials und auch face-to-face-meetings zu organisieren und daraus ein Geschäftsmodell zu entwickeln.“

Alena Kate Pettitt hat das Hausfrauen-Blogging en vogue gemacht

Geld verdienen mit dem Hausfrauen-Habitus, das ist so widersprüchlich wie geschickt. Mama-Bloggerinnen gibt es viele, Hausfrauen-Bloggerinnen kaum. Alena Kate Pettitt schreibt gerade an ihrem dritten Buch. Wie sie zwischen Interviewterminen, Fotosessions und ihren Schreib-Aktivitäten noch zum Fußleisten schrubben kommt, bleibt ein Rätsel. Bevor sie zu Europas Tradwives-Frontfrau wurde, arbeitete sie in London als Marketingmanagerin in der Kosmetikbranche. Sie weiß also, wie es geht.

Entsprechend engagiert bringt Pettitt ihre Ansichten in Umlauf. Etwa diese: „Er (der Ehemann) ist besser im Geldverdienen und Drachentöten, dafür kann ich besser kochen, auf dem Spielplatz smalltalken und ich liebe es tatsächlich, zu bügeln – es ist also eine Win-Win-Situation. Plus: Ich vergöttere diesen Mann.“

Besorgniserregende Parallelen zu nationalsozialistischer Propaganda

Die Soziologin Helma Lutz vergleicht die Vernetzungs-Aktivitäten der Tradwives mit Tupperware-Partys der 1950er/60er Jahre. Es gehe den Frauen darum, „eine Welt unabhängig von der Männerwelt zu etablieren“. Anders als in der Zeit ihrer Urgroßmütter, die ohne die Einwilligung ihres Ehemannes keinen Führerschein machen, kein Bankkonto eröffnen und keiner bezahlten Arbeit nachgehen durften, leben die Tradwives von heute angeblich ganz freiwillig in überholten Rollenmustern. Lutz erklärt das so: „Der Begriff der ‚Wahl‘ scheint dabei ein Wort zu sein, das genutzt wird, um sich über die Vereinnahmung eines feministischen Kernbegriffs der feministischen Kritik entgegenzustellen.“

Pettit verteidigt ihr Lebensmodell mit Verve: „Ein Tradwive erkennt die natürliche Ordnung an und ist dennoch überzeugt, ebenso wichtig zu sein wie die männliche Version ihrer Art. Sie ist anders erschaffen und findet das gut. In einer modernen Welt, die uns in eine Geschlechter-Neutralität zwingen will, weiß sie, dass das gegen die Gesetze der Natur ist und verweigert sich dem.“

Dass die Tradwives-Bewegung aktuell ein so großes Medien-Echo auslöst, hat auch mit Aussagen wie dieser zu tun. „Der ‚selbstgewählte‘ Lebensentwurf der Hausfrau und Mutter korrespondiert mit der in rechten Netzwerken und Parteien vertretenen Auffassung, dass (weiße, ethnisch deutsche) Frauen sich grundsätzlich an diesem Entwurf orientieren sollen“, erklärt Helma Lutz. Ob sie nun wollen oder nicht – Pettit wehrt sich vehement gegen diese Assoziationen und Vergleiche –, die Tradwives entsprechen dem Bild der Frau, wie es im Nationalsozialismus propagiert wurde.

Eine angemessene Gleichstellungspolitik der Geschlechter gibt es bis heute nicht

Pettitt und ihre Mitstreiterinnen streuen aber auch hausgemachtes Kräutersalz in eine schwelende Wunde des modernen Familienlebens. Der „heimliche Geschlechtervertrag“, der von der Frauenbewegung in den 1970er Jahren skandalisiert und in jahrlangen Kämpfen ausgehebelt wurde, sei im 21. Jahrhundert durch das „Erwachsenen-Berufsarbeitsmodell“ ersetzt worden, erklärt Lutz. Heißt in der Theorie: Männer und Frauen teilen sich Berufs-, Betreuungs- und Hausarbeit. Und bedeutet in der Praxis sehr oft: Frauen machen alles. Geld verdienen, Kinder hüten, mit selbstgebackenem Brot für einen heimeligen Duft im Haus sorgen.

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„Alle Zeitverwendungsstudien der letzten Jahrzehnte zeigen, dass Frauen, selbst wenn sie ganztags berufstätig sind, immer noch den Löwenanteil an Haus- und Betreuungsarbeit übernehmen“, sagt Geschlechterforscherin Lutz. In 45 Prozent der in Deutschland lebenden Paarfamilien mit Kindern unter 18 Jahren arbeitet die Frau Teilzeit und der Mann Vollzeit, das hat das Statistische Bundesamt für 2018 festgestellt. 27 Prozent der Paarfamilien leben das von den Tradwives bevorzugte Modell: Er Vollzeit, sie Vollzeit-Hausfrau. In beiden Lebensmodellen nehmen Frauen negative Auswirkungen auf ihre Rente in Kauf, um das Klo zu putzen und den Nachwuchs zum Sport zu fahren. Gehen sie einem Beruf nach, droht die Überforderung. Bleiben sie ganz zu Hause, ein finanzielles Desaster. Denn oft haben Mütter heute gar keine Wahl. Die Familie käme ohne ihr Einkommen nicht über die Runden.

„Die Gesellschaft hat bei der Gleichstellungspolitik der Geschlechter bis heute keine angemessene Antwort auf die Frage gefunden: Wer macht die Arbeit zuhause, wenn alle berufstätig sind?“, sagt Helma Lutz. Ein gemütliches Heim, in dem sich die Familie bei gutem Essen zum harmonischen Miteinander trifft, gilt wie eh und je als unbedingt erstrebenswert. „Der Wunsch von Frauen, sich auf eine Sache konzentrieren zu können, ist daher nachvollziehbar und sehr bequem für ihre Partner“, betont Lutz. „Aber soziologisch gesehen ist das selbstschädigend.“ Und Drachen tötende Ehemänner mit herausragend gut bezahlten Jobs sind ebenso rar wie mit Freude die Fußleisten schrubbende Ehefrauen.