#CoronaElternJetzt entlädt sich die Wut der überlasteten Familien
- Jeden Tag berät die Politik über die Corona-Krise – aber wer hört eigentlich die Familien?
- Die Berliner Journalistin Mareice Kaiser hat den Hashtag #CoronaEltern ins Leben gerufen – und stößt damit auf viel Resonanz.
- Was dahinter steckt, warum sich Politik eben nicht immer in die Praxis umsetzen lässt und wieso sich viele Eltern durch die Aktion verstanden fühlen.
Köln – Es gibt da so wunderbare Illustrationen von Müttern, die so viele Arme haben wie Tintenfische. Jeder Arm hat eine Aufgabe, der eine rührt in der Bolognese auf dem Herd, der andere hält das Handy zum Telefonieren mit der Chefin, einer wickelt das Baby, der nächste bringt dem Kleinkind Laufradfahren bei, und noch ein weiterer korrigiert die binomischen Formeln des Größten im Homeschooling.
Was von Familien verlangt wird, ist nicht machbar
Leider haben echte Mütter und Väter in Wahrheit gar nicht so viele Arme. Und das führt dazu, dass sich Protest regt – und zwar richtig lauter. Am Anfang dieses Protestes stand ein Tweet der Berliner Journalistin Mareice Kaiser, in dem es hieß:
Die Resonanz auf diese Worte war so groß, dass Kaiser als Chefredakteurin von EDITION F einen Kommentar mit dem Titel #CoronaEltern: Heulend auf dem Küchenboden verfasste, in dem sie darüber schreibt, „wie fahrlässig Familien von der Politik in der Krise vernachlässigt werden“ und dass das eben auch daran liege, dass Frauen mit Kindern in der Politik unterrepräsentiert seien.
Coronakrise: „Eigentlich müssten alle Eltern streiken“
Tatsächlich fühlen sich die meisten Familien in Zeiten der Coronakrise komplett von der Politik übersehen. Arbeiten? Können Eltern ja jetzt alle im Homeoffice. Beschulen und betreuen? Können sie ihre Kinder doch einfach nebenbei. Hilfen? Können sie dabei aber leider bislang nicht erwarten. Denn Rettungsschirme werden zurzeit nur für die Wirtschaft gedacht.
„Mein Gedanke: Wir müssten eigentlich alle streiken. Unsere Kinder auf die Straße setzen und Lohnarbeit und Care-Arbeit einfach bestreiken. Aber: geht ja nicht. Und demonstrieren auch nicht.“ Wie also konnte sie Öffentlichkeit schaffen für die Geschichten überforderter und von der Politik nicht beachteter Familien? Sie erschuf das Hashtag #CoronaEltern.
Zusammen mit anderen Zusammenschlüssen wie #elterninderkrise und mobilisierenden Müttern auf Instagram wollte sie das Unsichtbare sichtbar machen. Vom ersten Moment dieser Idee an sei die Resonanz riesig gewesen. „Das erkläre ich mir vor allem mit dem Leidensdruck, den Eltern gerade haben“, sagt sie.
MarleneHellene schrieb schon vor Erfindung des Hashtags: „Gleichzeitig Home-Officeing, Home-Schooling, Home-Haushalting und Home-Bespaßungsclowning. Ergibt Home-Nervenzusammenbruching.“
Dreifachmutter Kerstin Neumann twittert: „Ich finde meine Kinder übrigens nicht unzumutbar und verbringe gerne Zeit mit ihnen. #CoronaEltern Ich darf trotzdem sagen, dass effizientes/fokussiertes Arbeiten mit drei KLEINEN! Kindern drumherum eine extreme Herausforderung ist. Denn das ist es.“
Anna Aridzanjan schreibt: „#CoronaEltern brauchen mehr als Notbetreuung für systemrelevante Berufe und Alleinerziehende. Sie brauchen eine Gesellschaft, in der das physische und psychische Wohlergehen von Familien mindestens so viel zählt wie Wirtschaftskraft – und die kreative Lösungen in der Krise sucht.“
Elena Pieper gibt zu bedenken: „Die Situation von #CoronaEltern verdeutlicht ein grundsätzliches Problem unserer Arbeitskultur: Arbeit, die zu Hause gemacht wird, wird nicht als „richtige“ Arbeit gewertet. Daher kommt die fatale Vorstellung, das Homeoffice und Kinderbetreuung gleichzeitig möglich sind.“
Und Patricia Cammarata hat gar die inoffizielle Hymne zu #CoronaEltern gefunden und teilt sie mit ihren Followern:
Eltern in der Krise: Homeschooling, Homeofficing, Homezusammenbreching
Und diese Tweets repräsentieren nur einen kleinen Teil der Eltern, die sich nicht gesehen fühlen. Was ist mit Alleinerziehenden, die nun auch noch um ihren Job fürchten müssen, weil die Kinder in die Telefonkonferenz reinrufen und sie am Rande des Burnouts stehen?
Was ist mit den Kindern selbst, die eben noch nicht bei Twitter unterwegs sind, die seit Wochen keine Freunde mehr treffen können? Die in kleinen Wohnungen ohne Balkon und Garten sitzen und deren Eltern sich im Homeoffice oder im systemrelevanten Job draußen zerreiben und dadurch nicht die Zeit für sie haben, die sie bräuchten?
Auch für sie war dieser digitale Aufschrei in Corona-Zeiten gedacht, denn neben dem Aufzählen der vielen Probleme und dem Wunsch nach Entlastung von Familien kommen unter dem Hashtag #CoronaEltern eben auch viele konstruktive Lösungsvorschläge zur Sprache.
Konstruktive Lösungsvorschläge für berufstätige Eltern
„Ich fordere ein Corona-Elterngeld. Ich fordere eine Ausweitung der Notbetreuung. Ich fordere, dass sich Politiker*innen nicht nur über qm von Läden unterhalten, sondern auch über kreative und flexible Lösungen für Familien. ‘Mama macht das schon‘ ist kein Konzept“, twittert die Digitalredakteurin der Süddeutschen Zeitung, Barbara Vorsamer, bevor sie in der Sendung „Hart aber Fair“ als einzige Frau unter Männern das Problem von „Homeoffice mit Kind“ sichtbar macht.
Auf den Vorschlag einer Leserin bei Twitter, dass alle Diskutierenden ihre Kinder doch mit ins TV-Studio nehmen sollten, antwortet sie: „Also meine hätten Zeit gehabt. Meine Tochter hätte die ganze Zeit Nein gesagt und mein Sohn ins Studio gepullert.“
Allein diese eine imaginäre Szene zeigt: Nein, es lässt sich eben nicht alles vereinbaren in der Praxis. Das System der Familien kollabiert. Und es ist ungewiss, wie lang das noch gehen soll. Es bringt Familien über ihre Belastungsgrenze hinaus.
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Familien müssen gehört und ernst genommen werden
„Mir war einfach wichtig, einen Raum zu erschaffen, in dem Familienstimmen gehört werden“, sagt Mareice Kaiser. Und das hat funktioniert. „Ich fühle mich das erste Mal seit Wochen gehört und verstanden“, schrieb ihr eine Mutter über Instagram. „Nun liegt es an der Politik, diese Stimmen, die so relevant sind, zu hören und dementsprechend zu handeln.“