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12 Vorsätze in 12 Monaten„Es war irre erleichternd, manche Vorhaben einfach zu streichen“

Lesezeit 7 Minuten
Eine Frau schreibt ihre Ziele für 2024 auf ein Blatt.

Viele Menschen nehmen sich zum neuen Jahr etwas vor.

Der Journalist Martin Wittmann wollte 2022 alle seine Vorsätze umsetzen. Nicht alles hat er geschafft – und ist froh darüber.

Herr Wittmann, wir führen dieses Gespräch, während Sie in Ihrem neuen Auto sitzen, einem E-Auto. Auf Ihrer Liste an Vorsätzen stand auch, dauerhaft auf das Auto zu verzichten. Offenbar hat das nicht geklappt. Eine Niederlage?

Martin Wittmann: Schon, und noch dazu eine, mit der ich nicht gerechnet hatte. Ich hatte mir vorgenommen, aus Klimaschutzgründen das Autofahren sein zu lassen. Ich dachte, das würde easy, ich hielt mich nie für einen großen Auto-Fan. Erst, als ich Abschied zu nehmen begann, habe ich gemerkt, wie eng meine emotionale Bindung zum Auto ist, wie sehr es für mich als ehemaligem Dorfkind schon seit meiner Jugend für Freiheit steht. Aber schließlich habe ich unseren alten Benziner schweren Herzens verkauft. Dieses E-Auto ist jetzt für mich ein Kompromiss. Also würde ich sagen: Aus der ursprünglichen Niederlage ist ein Unentschieden geworden.

Sie haben sich sehr viele unterschiedliche Sachen vorgenommen: Gesünder leben, Finanzen in Ordnung bringen, Gitarre spielen, kochen, boxen, tanzen und Spanisch lernen, ein Bett selbst schreinern, das Klima schützen und sozialer werden, mit dem Rad durch Deutschland reisen. Was davon hat es nach Ende des Versuchs dauerhaft in Ihren Alltag geschafft?

Einiges. Ich koche regelmäßig, esse weniger Fleisch als früher, fahre viel mit dem Rad, das ich mir eigentlich nur für eine Deutschlandreise, 500 Kilometer von Nürnberg nach Berlin, zugelegt hatte, und wir schlafen in dem Bett, das ich geschreinert habe. Alle sechs Wochen gehe ich weiterhin zum Blut spenden. Und die Gitarre, die davor jahrelang im Schrank verstaubt ist, steht jetzt im Wohnzimmer. Ich spiele nicht oft auf ihr und wenn, dann miserabel. Aber das ist eine der Einsichten, die ich mitnehme von diesem Selbstversuch: Ich muss eine Sache nicht sehr gut können, um sie sehr zu mögen.

Portrait von Martin Wittmann, Journalist bei der Süddeutschen Zeitung

SZ-Journalist Martin Wittmann wollte zwölf Vorsätze in zwölf Monaten umsetzen.

Boxen und tanzen beispielsweise sind zwei sehr unterschiedliche Tätigkeiten. Warum wollten Sie beides lernen? Sind das wirklich Ihre eigenen Wünsche oder wollten Sie eher eine Art Idealvorstellung von sich erfüllen?

So unterschiedlich sind die nicht! Für beide Disziplinen ist Rhythmusgefühl mitentscheidend, und weil mir das fehlt, bin ich wohl an beidem gescheitert. Und ja: Am Ende stellte sich heraus, dass ich wohl beides gar nicht wirklich machen wollte, sondern nur die Menschen bewundert habe, die es konnten.

Wie kam es zu dieser Erkenntnis?

Tanzen war tatsächlich das einzige Vorhaben, das ich erst gar nicht wirklich angegangen bin. Das war ein klares Zeichen: Wenn ich nun ein Jahr meinen Vorsätzen widme und alles mir Mögliche in die Tat umsetze und dann im Oktober immer noch nicht zum Tanzen gekommen bin, dann könnte der Grund dafür sein, dass ich es eigentlich gar nicht lernen will. Boxen dagegen habe ich ziemlich lange recht erfolglos durchgezogen. Nach einer letzten schmerzhaften Trainingsstunde habe ich damit aufgehört. Gut so. Ich würde speziell nach diesen Erfahrungen jeder und jedem empfehlen, sich genau zu fragen, ob die angestauten Vorsätze wirklich die eigenen sind und von Herzen kommen. Ob man eine Sache will oder ob man sie zu wollen nur glaubt. Weil man von außen das Gefühl vermittelt bekommt, man sollte es wollen.

Wie findet man das heraus?

Der anstrengende Weg ist sicher, es auszuprobieren, so wie ich es getan habe. Man kann sich seine To-do-Listen und Bucket-Listen, seine Vorsätze und Träume aber auch vorher einmal kritisch ansehen: Warum habe ich noch nicht damit angefangen, was hat mich bisher vorgeblich daran gehindert? Will ich das wirklich oder ist eher so, dass ich damit nur die Erwartung Anderer erfüllen würde? Ich denke, dass so mancher Eintrag dann einfach gestrichen werden kann, so wie bei mir das Tanzen. Das ist irre erleichternd.

Was ist für Sie die wichtigste Erkenntnis aus Ihrem Versuch?

Für mich hat sich in diesem Jahr auf lehrreiche Weise bestätigt, was uns allen eigentlich eh klar ist: Dass wir in einer Zeit leben, in der uns alles möglich ist. Und dass wir deshalb auch den Anspruch an uns und andere haben, ob direkt oder subtil, dass wir diese Möglichkeiten auch gefälligst nutzen. In der Folge überfordern und übernehmen wir uns heillos.

Wir sind nie zufrieden mit dem Erreichten, in der Soziologie gilt dieser Anspruch an uns als „systematischer Enttäuschungs-Generator“. Ich selbst habe das in dem Jahr auf die Spitze getrieben, und in den Phasen, in denen ich wirklich sehr viel geschafft habe und eigentlich stolz hätte sein müssen, war ich im Kopf immer schon beim nächsten Schritt, beim nächsten Ziel. Was ich gelernt habe über uns alle: Es gibt die Maximizer, die immer die beste Entscheidung treffen möchten. Und es gibt die Satisficer, die zufrieden sind mit Resultaten, die gut genug sind. Diese „Gut genug“-Typen sind tendenziell glücklicher als die Perfektionisten.

Was ist bei Ihrem Experiment ganz anders gekommen als erwartet?

Erstaunt hat mich wirklich, wie leicht es mir fiel, auf Fleisch zu verzichten. Meine Mutter hat früher in einer Metzgerei gearbeitet, ich bin mit Wurst und Braten aufgewachsen. Aber ich konnte meine Ernährung relativ leicht umstellen, ich habe zu anderen Lebensmitteln gegriffen, etwa zu den vielen Ersatzprodukten, die es mittlerweile gibt. Auch das frühe Aufstehen, das irgendwann nötig war, um meine vielen Pläne trotz Vollzeitjobs und sozialen Lebens umzusetzen, war kein Problem. Um 5 Uhr morgens war ich überraschend gut drauf.

Wie hat Ihr Umfeld auf Ihre Selbstoptimierung reagiert?

Einige wenige waren spontan genervt, weil sie das Gefühl hatten, ich würde ihnen mit meinem ehrgeizigen Lebensstil vorhalten, dass sie selbst es nicht hinkriegen, ihre Vorhaben anzugehen. Dabei habe ich wirklich keinen Hehl daraus gemacht, dass ich regelmäßig scheitere und dabei auch nicht immer beschwingt durch den Tag gleite.

Die meisten fanden es aber beneidenswert und interessant, zumindest haben sie mir gegenüber so reagiert. Einige habe ich vielleicht auch inspiriert, zum Beispiel zum Blut spenden oder zum Rad fahren. Unsere Tochter hat mich zu Hause beim Boxen gesehen und hat dann auch im Verein angefangen – und länger durchgehalten als ich. Meine Frau hat sich eine Ukulele besorgt und war natürlich bald besser als ich. Aber ein Bekannter, ein Psychologe, meinte auch, ich täte ihm leid. Weil er das Gefühl hatte, ich würde mich total überfordern.

Was haben Sie darauf geantwortet?

Ich sagte ihm, dass mir das aus wissenschaftlicher Sicht natürlich klar sei und es Teil meines Projektes sei, diese Überforderung zu schildern. Wir haben uns über die soziologischen Aspekte einer Gesellschaft unter Druck unterhalten. Aber mir hat seine Reaktion schon nochmal vor Augen geführt, dass man da ehrlich mit sich sein sollte: Das Umfeld mag die Selbstoptimierung des Einzelnen mit Respekt belohnen. Aber gesund ist sie deshalb nicht.

Welche Rolle spielt dieses Müssen, dieser Zwang, sich auf allen Ebenen zu verbessern?

Wir stehen morgens auf und überlegen, wie wir möglichst viel aus dem Tag machen können. Klappt das nicht, gehen wir abends ins Bett und denken, dass es ein verlorener Tag war, weil wir nicht alles aus ihm herausgeholt haben, nicht genug geschafft haben. Diesen Zeitgeist kann man als Einzelner nicht ändern. Aber man kann ihn erkennen und dann ein bisschen gnädiger mit sich und anderen sein.

Können Sie jetzt besser erkennen, was wirklich nötig ist und was vielleicht gar nicht der eigene Wunsch ist?

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin jetzt nicht frei von Druck, auch habe ich weiterhin den Wunsch, hier zu lernen und dort voranzukommen, und ich bin dankbar für die vielen Erkenntnisse aus diesem Jahr. Aber es fällt mir leicht zu akzeptieren, dass man nicht jedem Tag perfekt und supereffizient nutzen muss.

Dann haben Sie ja einen Wunsch aus dem Buch auf jeden Fall erreicht: mehr „sinnlosen“, wie der Kabarettist Gerhard Polt es formuliert hat.

Das wäre dann ehrlich gesagt auch der einzige Vorsatz, der mir nach einem Jahr Selbstversuch und einem Jahr Buchschreiben für das neue Jahr einfällt.

Zum Weiterlesen: Martin Wittmann: „Wie ich einmal alles schaffen wollte, was ich mir schon immer vorgenommen habe. 1 Jahr, 12 Vorhaben, 123 Einsichten“, Penguin-Verlag, 255 Seiten, 22 Euro