Homeoffice im Grünen„Ich weiß nicht, was wir ohne den Schrebergarten gemacht hätten“
Köln – Das Tor zum Glück ist noch kahl. Bei Familie Pelmer in Köln genauso wie bei den Magnonis in Bergisch Gladbach. „Im Sommer wuchert hier das Grün“, sagt Tamara Pelmer und zeigt auf die knorrigen Ranken, die sich um einen Kletterpflanzen-Bogen am Eingang ihrer Parzelle im Bienenweg des Kleingärtnervereins Blücherpark winden. Nicht mehr lange, und die ersten frischen Triebe werden sprießen. Marion Magnoni hat die Kletterrose vor Augen. Außen ist sie weiß, innen gelb. Es ist eine englische Sorte mit Namen „The Pilgrim“. In diesem Jahr soll sie endlich gepflanzt werden am Eingang zu ihrem grünen Reich im Kleingartenverein Birkerhof.Schrebergärten sind seit einigen Jahren zunehmend begehrt bei jungen Städtern ohne eigenes Grundstück. Und seit dem vergangenen Sommer, seit die Lockdown-Regeln in der Corona-Pandemie die eigene grüne Oase noch begehrenswerter machten, sind sie kaum noch zu kriegen. Michael Franssen ist Geschäftsführer des Kreisverbandes Kölner Gartenfreunde, der 115 Vereine mit 192 Kleingartenanlagen und 13.000 Kleingärtnern betreut und verwaltet. Schon in normalen Jahren hätte so mancher Verein 30 bis 40 Interessierte auf der Warteliste gehabt, bei nur drei bis vier Pächter-Wechseln pro Saison, berichtet der 61-Jährige.
Seit Beginn der Pandemie wollten nun noch mehr Menschen gern einen Garten pachten – gleichzeitig gäben aber immer weniger den ihren auf. „Normalerweise haben wir in Köln rund 900 Pächter-Wechsel pro Jahr“, sagt Franssen: „2020 waren es nur etwa 700.“ Das Resultat: Viele Wartelisten sind inzwischen geschlossen, weil man an deren Ende bereits bei Wartezeiten von weit mehr als zehn Jahren angekommen ist.
Homeoffice und Homeschooling auf der Terrasse
Die Pelmers und Magnonis hatten ihre Gärten schon, als Corona kam – und waren heilfroh. 300 Quadratmeter grüne Oase als privater Rückzugsort erwiesen sich im ersten Pandemie-Sommer als wertvolles Privileg. „Ich weiß nicht, was wir ohne den Garten gemacht hätten“, sagt Ingo Pelmer. Seine Frau und die Töchter Luzi (8) und Milena (10) waren oft den ganzen Tag dort, haben Homeschooling und Homeoffice auf der Terrasse erledigt, Mittagessen in der kleinen Campingküche in der Laube gekocht, im aufblasbaren Pool geplantscht und auf den Papa gewartet, der nach der Arbeit in den Garten kam.
„Wir haben hier fast den ganzen Sommer verbracht“, sagt Tamara Pelmer. „Für unsere Stadtkinder ist die Gartenanlage ein bisschen wie Bullerbü. Die flitzen im Badeanzug von Garten zu Garten, haben hier viele Freunde und bekommen etwas Natur mit: Vom selbst gebauten Bienenhotel bis zum selbst gepflanzten Gemüse.“
Der Familie steht nun der siebte Sommer im eigenen Schrebergarten bevor. Sie freuen sich drauf. Das Sonnensegel muss neu festgezurrt werden und wo im letzten Jahr der Pool stand, ist noch kein Rasen nachgewachsen. Aber die Gemüsebeete sind ordentlich geharkt und bereit für die Aussaat, Büsche und Bäume sind sauber gestutzt und das Projekt „gemauerter Grill“ ist vorbereitet und ganz oben auf der To-do-Liste eingetragen.
Hilfe von den Willes
Als die Pelmers die Parzelle übernahmen, gab es noch keine langen Wartelisten. Alles ging sehr schnell. Schneller gar als geplant. Die Kinder waren erst gut ein Jahr und drei Jahre alt, quirlige Wesen mit wenig Geduld für gartenarbeitende Eltern. Denn ab und zu mal vorbeikommen und in üppigem Grün die Füße hoch legen, während die Kleinen ein bisschen im Sand buddeln – so läuft das leider nicht mit einem Schrebergarten. „Wer denkt, man kommt einmal die Woche in den Garten und zupft Unkraut, der irrt sich“, sagt Tamara Pelmer. Ihr Mann fügt an: „Es ist schon sehr viel Arbeit, wir haben das anfangs unterschätzt.“
Aber sie hatten Glück. Denn Hilde und Dieter von nebenan sind kundige Gärtner – und zudem hilfsbereit und kinderlieb. Die Willes kümmern sich seit 33 Jahren täglich um ihren Schrebergarten. Ihr Mann liebe Rosen, sagt Hilde Wille: „Und ich mag alle Blumen.“ Springkraut allerdings gehört für die 83-Jährige ganz klar zu den Unkräutern: „Ich bin hinter dem Springkraut her wie der Teufel hinter der armen Seele!“ Wenn sie bei den Pelmers eines entdeckt, sagt sie Bescheid. „Ich hätte das nicht als Unkraut erkannt, es blüht ja ganz schön“, meint Tamara Pelmer und lacht. Willkommen im Sozialgefüge Schrebergarten-Kolonie. Die Ansprüche sind unterschiedlich. Und so harmonisch wie bei den Pelmers und Willes geht es nicht überall zu.
Generationenwechsel in den Schrebergärten
Für die Pächter gibt es klare Regeln. Unter anderem: Die rund 300 Quadratmeter Garten müssen in ein Drittel Nutzpflanzenanbau, ein Drittel Rasen und maximal ein Drittel Laube und Terrasse unterteilt sein. Wird die Laube zu hoch, zu groß, zu nah am Nachbarszaun gebaut, können die jeweiligen Vereinsverantwortlichen einen Rückbau verlangen. Wird der Garten vernachlässigt oder mit verbotenen Pflanzen gefüllt, droht Post vom Vorstand. Schlimmstenfalls kann der Pachtvertrag gekündigt werden. Kinderlärm muss inzwischen hingenommen werden, dazu gibt es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Streit zwischen quirligen Familien und ruhebedürftigen Pächtern ist dennoch keine Seltenheit.
Der Weg zum Kleingarten
Eine klassische Parzelle in einer Kleingarten-Anlage ist in der Regel rund 300 Quadratmeter groß. Die Ablösesumme variiert je nach Zustand des Gartens und kann von Null bis knapp 10 000 Euro reichen. Die laufenden Kosten für den Vereinsbeitrag, Strom und Wasser rangieren zwischen 300 und 400 Euro pro Jahr.
Eine Übersicht zu den Schrebergärten in Köln gibt es auf der Internetseite des Kreisverbandes Kölner Gartenfreunde. Weitere Informationen stellt auch der Landesverband Rheinland der Gartenfreunde bereit, dem 26 Kreis- und Stadtverbände angehören.www.kgv-koeln.dewww.gartenfreunde-rheinland.de
„Es findet ein schleichender Generationenwandel statt“, sagt Michael Franssen von den Kölner Gartenfreunden: „Seit fünf, sechs Jahren interessieren sich verstärkt junge Familien für einen Garten.“ Vorher war es eher die Generation 60 plus, die Zeit und Muße für die Pflege eines eigenen Grundstücks aufbrachte. „Aber Natur und Nachhaltigkeit spielen heute bei jungen Leuten wieder eine größere Rolle“, erklärt Franssen. Wenn dann das Rentner-Ehepaar mit Schachbrett-Gemüsegarten und die Familie mit ungemähter Bienenwiese und Planschbecken Zaun an Zaun aufeinandertreffen, käme es natürlich hier und da zu Konflikten.
Kann sein. Muss aber nicht. „Wir haben es gut getroffen, die Bedingungen sind hier auch für Familien sehr fair“, sagt Tamara Pelmer. Und die Nachbarn sind ein Segen. Hilde und Dieter halfen am Anfang nicht nur mit Rat und Tat bei Gemüseanbau und Gartenpflege, sie sprangen auch als Kindersitter für die Mädchen ein, wenn die Eltern mit einem Projekt mal richtig voran kommen wollten. „Unsere Enkelin ist hier bei uns im Garten groß geworden“, sagt Hilde Wille. Da habe es vonseiten einer Nachbarin gern mal geheißen: „Da kütt der Knatschpott wieder.“ So wollen Hilde und Dieter nicht sein. Sie mögen Kinder. Dieter hat für den Nachwuchs in den Gärten des gesamten Bienenwegs Vogelhäuser gezimmert. Die zwei von Luzi und Milena hängen im alten Mirabellenbaum.
Selbstständige Kinder im Kleingarten-Kosmos
Die Mädchen erinnern sich noch an die Anfänge im Garten. „Es sah hier wild und nicht so schön aus“, sagt Milena. Der Vorbesitzer hatte sich schon lange nicht mehr gekümmert. Der Garten musste erst mal entrümpelt und ein großer Baum gefällt und seine Wurzeln ausgebuddelt werden. Das war Schwerstarbeit. Heute sieht alles hübsch und gepflegt aus, der Gemüseacker ist ordentlich mit Mulchumrandungen in kleinere Beete unterteilt. „Ich liebe die monotone Arbeit hier, das ist ein schöner Ausgleich zum Büroalltag, man kann hier gut runterkommen“, sagt Ingo Pelmer. „Aber so ein Garten ist auch eine Verpflichtung.“
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Allerdings eine, die sich lohnt. Den Mädchen tue das Gartenleben gut. Sie seien dann viel entspannter als an Tagen ohne Radtour zur Parzelle. Diskussionen um Medienzeiten gäbe es viel weniger, sagt Tamara Pelmer. Im Türkis gestrichenen Kinderhaus Pläne machen für das eigene Café „MiLu Nr. 31“ ist dann doch spannender. Und selbstständig werden war im Kleingarten-Kosmos auch einfacher als in Ehrenfeld nahe der Subbelrather Straße. „Hier haben die Mädchen zusammen mit Kindern aus den anderen Gärten ihre ersten Alleingänge zum Eis kaufen an der Tankstelle gemacht“, erzählt Tamara Pelmer. Bullerbü für Stadtkinder eben.
Erfolg nach langer Wartezeit
Marion und Flavio Magnoni und ihre beiden Söhne Clemens (4) und Raphael (7) leben im beschaulichen Refrath in Bergisch Gladbach. Zu ihrer Wohnung gehört ein Gemeinschaftsgarten und der Wald ist nur wenige Gehminuten entfernt. Trotzdem lieben sie ihr kleines Reich in der Anlage Birkerhof. Schon vor den Kindern standen sie in Köln auf der Warteliste für einen Garten – ohne Erfolg. Nach dem Umzug nach Bergisch Gladbach dauerte es noch ein Jahr, dann konnte es endlich losgehen mit dem Gärtnern. „Ich hatte wenig Ahnung davon“, sagt Marion Magnoni, „ich lese ein bisschen in Büchern und probiere aus, man kann ja nicht wirklich etwas falsch machen. Entweder es wächst, oder es wächst nicht.“
Wo es lange Wartezeiten gibt, gibt es natürlich auch immer wieder Versuche, diese zu umgehen. Und je größer die Nachfrage, desto besser floriert der Schwarzmarkt. „Es wird versucht und manchmal klappt es, aber wir dulden das nicht“, sagt der Kölner Schrebergärten-Chef Michael Franssen.
Kommt es in einem der Kölner Vereine zu vermehrten Auffälligkeiten, wird den dort Verantwortlichen die eigenständige Verpachtung der Parzellen entzogen. Dann übernimmt bis auf weiteres der Verband. Aktuell sei das bei zwei Kölner Vereinen der Fall, sagt Franssen. Der Dachverband mischt sich auch ein, wenn ein Verein sich nach außen abschotten will. Die Kleingarten-Anlagen gehören zum öffentlichen Grün der Stadt, sie müssen frei zugänglich sein. Werden die Tore abgeschlossen, um Spaziergänger oder Jogger fern zu halten, ist das gegen die Regeln. „Wir drohen dann, die Tore auszubauen“, sagt Franssen. „Das mussten wir aber noch nie umsetzen.“
„Herkommen, abschalten, glücklich sein“
Der Garten der Magnonis war bis in den letzten Winkel zu gepflanzt und voll gestellt. „Nicht sehr familientauglich“, erklärt Marion. Heute gibt es im unteren Teil des Hang-Grundstücks ein bisschen Wiese. Neben der Sandkiste, die später mal einem Sitzplatz weichen soll, haben die Magnonis einen Haselstrauch gepflanzt. In ein paar Jahren soll er hier für ein schattiges Plätzchen sorgen. Erdbeeren, Himbeeren und Stachelbeeren gibt es auch schon. Ansonsten wartet noch viel Arbeit, der geplante Bauerngarten muss noch komplett angelegt werden. „Am Anfang haben wir gedacht, dass wir in einem halben Jahr schaffen, was wir jetzt in drei Jahren hin bekommen haben“, sagt Marion Magnoni.
„Die Idee, mit kleinen Kindern einen solchen Garten in Schuss bringen zu wollen, war aber auch etwas wahnwitzig“, gesteht sie. „Man muss halt damit leben können, dass das nach drei Jahren noch immer eine ziemliche Matschwüste ist.“ Flavio Magnoni, der aus Italien stammt, sagt „piano, piano“ und lacht. Nachdem sie sich im ersten Sommer Grill, Sandkasten und Sonnenschirm angeschafft hatten, seien alle glücklich gewesen. Nun kann es langsam Jahr für Jahr voran gehen. „Wenn erst mal alles schön angelegt ist, finden die Kinder das hier wahrscheinlich gar nicht mehr spannend“, sagt sie.
Die Laube der Magnonis erstrahlt in frischem Blau. Drinnen ist ein neuer Boden verlegt und die Wände sind weiß lasiert. Das ist das Resultat des vergangenen Sommers. Der Garten war für die Familie eine Art Parallel-Welt ohne Corona. Geschlossene Kindergärten und Homeschooling machten Marion Magnoni wie vielen anderen Müttern zu schaffen. Da war der Garten ihr Rettungsanker. Hier konnte sie mit den Kindern unbeschwerte Stunden verbringen. Und das Renovieren der Hütte war am Wochenende, wenn der Papa die Kinder übernahm, ihr Ausgleich für die Tücken des Corona-Alltags.
Nun sprießen im Gewächshaus bereits erste Salat-, Tomaten- und Kräuterpflänzchen. Der Plan für das Staudenbeet neben dem Eingang ist auch schon erstellt. Die Pilgrim-Rose ist ausgewählt. Für die vierköpfige Familie steht bereits fest, was sie auch in diesem zweiten Corona-Sommer so oft wie möglich tun will. Marion Magnoni formuliert es so: „Herkommen, abschalten, glücklich sein.“