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Nach der Rente ins JobsharingDas könnte die Lösung für den Fachkräftemangel sein

Lesezeit 4 Minuten
Illustration: Zwei Frauen arbeiten in einem Labor

Das Netzwerk Generation Ü plädiert für freiwillige Jobsharing-Modelle nach dem Renteneintritt.

Unternehmen suchen qualifizierte Beschäftigte. Stattdessen könnten sie auch erfahrene Kolleginnen und Kollegen auf innovativem Wege an die Firma binden.

Zahlreiche Branchen leiden bereits unter dem Fachkräftemangel. Nicht nur, weil die demografischen Folgen längst spürbar sind. Sondern auch, weil sich im Zuge der Pandemie viele Beschäftigte unzufrieden und erschöpft aus ihren Berufen zurückgezogen haben. Sie halten Ausschau nach besseren Arbeitsbedingungen und einer größeren Work-Life-Balance. Diese Entwicklung wird oft Great Resignation genannt – das große Kündigen.

Der viel größere Rückzug, der bereits als Great Retirement bezeichnet wird, steht allerdings noch bevor: Der massenhafte Renteneintritt älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. In den nächsten 15 Jahren werden sich die zahlenmäßig stärksten Jahrgänge in Deutschland in den Ruhestand verabschieden. 12,9 Millionen Erwerbstätige, so hat es das Statistische Bundesamt kürzlich berechnet, werden in dieser Zeit in Rente gehen. Das entspricht fast 30 Prozent aller Erwerbspersonen, die dem deutschen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.

Doch könnten diese Menschen nicht auch ein Teil der Lösung werden?

Arbeiten im Ruhestand gewinnt zunehmend an Bedeutung

Davon ist Christian Ege überzeugt. Der ehemalige Staatssekretär für Wirtschaft des Saarlandes ist Gründer des Netzwerks Generation Ü, das Jobs für Menschen im Ruhestand vermittelt. „Wir wollen einen Beitrag zur Lösung des Fachkräftemangels und des demografischen Wandels leisten“, sagt Ege. Das Netzwerk vermittelt in ganz Deutschland unter anderem Privatchauffeure, Produktionshelfer, Bürokaufleute, Hausmeister, Zahnarzthelferinnen, Lernbegleiterinnen und Dozenten für den Schulunterricht, die der Generation Ü angehören. Dazu zählt Ege Menschen ab Mitte 50 bis Ende 70.

„Wir haben ein völlig falsches Altersbild. Früher konnte man sich nicht vorstellen, dass man im Ruhestand noch was tun will. Die Realität ist inzwischen eine völlig andere.“ Tatsächlich gewinnt das Arbeiten im Ruhestand seit Jahren an Bedeutung. Der Anteil der deutschen Erwerbstätigen ab 65 Jahren hat sich von 2010 bis 2019 nahezu verdoppelt, wie aus dem aktuellen Arbeitszeitreport der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin hervorgeht.

Christian Ege plädiert zwar nicht dafür, das Rentenalter weiter zu erhöhen. Menschen im Ruhestand sollten aber freier entscheiden können, was sie noch tun wollen. „In unserer Klientel werden wir keine Dachdecker mehr finden. Schwere körperliche Arbeit und Pflege sind schwierig zu besetzen.“ Vollzeitmodelle kämen ebenfalls selten infrage. „Bis zu 20 Stunden pro Woche, mit Flexibilität, sind für viele ältere Menschen ideal.“

„Bei Menschen ab 60 Jahren steigt das Bedürfnis, etwas Wertvolles zu hinterlassen“

Arbeitszeit ist also ein entscheidender Faktor, wenn es um die Einbindung älterer Menschen in den Arbeitsmarkt geht. Eine ideale Lösung könnte in sogenannten Jobtandems bestehen, glaubt Esther Himmen. Die Organisationsentwicklerin ist Expertin für Jobsharing und gemeinsame Führung.

„Bei Menschen ab 60 Jahren steigt noch einmal das Bedürfnis, etwas Wertvolles zu hinterlassen. Sie wollen noch etwas bewirken und auch ihren wertvollen Erfahrungsschatz weitergeben“, sagt sie. Viele Beschäftigte in diesem Alter seien auf der Hierarchieebene weit oben angekommen. Sie hätten allerdings nur noch geringes Interesse, dauerhaft 60 Stunden in der Woche zu arbeiten. „Sie wägen die Vorteile für sich sorgsam ab, weil sie auch wissen, dass ihnen die überlangen Arbeitszeiten gesundheitlich schaden könnten.“

Jobsharing, also eine zwischen zwei oder mehreren Personen geteilte Stelle, könnte deshalb eine Möglichkeit sein – sowohl für ältere Beschäftigte als auch für Jüngere, die bereits in Teilzeit arbeiten oder ihre Arbeitszeit verringern möchten. Die Aufteilung kann dabei variieren. Klassisch ist eine Aufteilung, bei der beide Beschäftigte gleich viel arbeiten. Aber auch andere Verteilungen sind möglich. Der Umfang kann auch eine 100-Prozent-Stelle übersteigen, etwa dann, wenn Führungspositionen mehr Arbeitszeit erfordern. Dann gibt es auch die Möglichkeit, dass beide Tandempartner jeweils eine volle Stelle mit rund 40 Stunden besetzen.

Altersdiverse Teams treffen bessere Entscheidungen

„Weil weniger Fach- und Führungskräfte nachkommen, braucht es ein gutes Nachwuchsmanagement“, sagt Esther Himmen. Dazu gehöre auch der Wissenstransfer, der aber für die Organisationsentwicklerin nicht in der bloßen Überlieferung irgendwo dokumentierter Erfahrungen und Anleitungen besteht. Am besten sei der unmittelbare Austausch im Unternehmen. „Wir sind deshalb ein großer Fan altersdiverser Tandems“, sagt Himmen, die mit ihrem Unternehmen Joynt Leading andere Firmen bei der Umsetzung von Tandemmodellen begleitet.

Altersdivers bedeute, dass ein Altersunterschied von mindestens zehn Jahren besteht, bei dem ein Erfahrungsvorsprung einer Person erkennbar ist. „Daneben gibt es aber auch noch eine Seniorität im Fach.“ Etwa dann, wenn zwei Gleichaltrige zusammenarbeiten, einer der beiden aber bereits deutlich länger in dem Fachgebiet tätig ist. „Auch da können beide stark voneinander profitieren“, sagt Himmen. Bereits seit Jahren beobachtet sie ein wachsendes Interesse in Unternehmen und großen Konzernen an Jobsharingmodellen. Zufriedenere Angestellte, bessere Entscheidungen, vielfältigere Perspektiven und ein größerer Bewerberpool werden häufig als die größten Vorteile von Jobsharing genannt.

„Jeder Arbeitgeber ist gut beraten, sich um die ehemalige Mitarbeitergruppe zu kümmern“, sagt Christian Ege von Generation Ü. „Die Üs bringen Tatkraft und Erfahrung mit, wenn man sie danach fragt. Sie geben ihr Wissen gerne weiter.“ Die gegenseitige Wertschätzung sei von großer Bedeutung. Dabei gehe es allerdings auch um finanzielle Wertschätzung, zumal für viele Menschen das Arbeiten im Ruhestand eine ökonomische Notwendigkeit sei. Andere würden sich noch einen finanziellen Wunsch verwirklichen wollen. Ein warmer Händedruck reiche dafür nicht aus. (RND)


Dieser Text gehört zur Wochenend-Edition auf ksta.de. Entdecken Sie weitere spannende Artikel auf www.ksta.de/wochenende.