RechtskolumneIst eine Verjährung bei Kindesmissbrauch angemessen, oder nicht?
- In unserer Serie „Recht und Ordnung“ befassen wir uns mit juristischen Themen aller Art – und verschaffen Ihnen mehr Durchblick im Paragrafen-Dschungel.
- Dafür befassen sich eine Staatsanwältin, ein Rechtsanwalt und eine Jura-Professorin in ihrer Kolumne regelmäßig mit einem konkreten Fall.
- Diesmal beantwortet Jura-Professorin Frauke Rostalski die Frage, ob eine Verjährung bei Kindesmissbrauch angebracht und angemessen ist – und wieso.
Köln – In einer früheren Kolumne hatte ich dargelegt, aus welchen Gründen Mord keiner Verjährung unterliegt. Meine Argumentation nahm im Wesentlichen darauf Bezug, dass diese Straftat eine besondere Erschütterung des Rechts und der übrigen Gesellschaftsmitglieder nach sich zieht. Das Leben gehört zu den höchsten Gütern unseres Rechtssystems. Seine Auslöschung, beispielsweise aus Habgier oder zur Verdeckung einer anderen Straftat, wirkt verstörend und macht es für die Strafverfolgung erforderlich, selbst nach langer Zeit noch darauf zu reagieren.
Kindesmissbrauch: Verjährungsfristen zwischen fünf und zehn Jahren
Dies hat den einen oder anderen Leser zum Nachdenken über eine Parallele zum Straftatbestand des Mordes veranlasst, die ihrerseits ganz erhebliches Unrecht darstellt: Die Rede ist vom sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß Paragraf 176 des Strafgesetzbuchs. Die Verjährungsfristen betragen hier zwischen fünf und zehn Jahren, beginnend mit der Vollendung des 30. Lebensjahres des Opfers. Andere Straftaten aus dem Bereich des sexuellen Missbrauchs von Kindern wie Missbrauch mit Todesfolge weisen sogar Verjährungsfristen von 20 Jahren auf.
Dass die Verjährung bei diesen Delikten erst mit Vollendung des 30. Lebensjahrs beginnt, ist vergleichsweise neu. Die entsprechende Gesetzesänderung erfolgte erst 2015. Sie ist als Zugewinn an Rechtsstaatlichkeit zu betrachten, weil viele Opfer zu einem früheren Zeitpunkt keine Konfrontation mit dem Erlittenen durch ein entsprechendes Strafverfahren verkraften. Der späte Verjährungsbeginn ändert freilich nichts daran, dass überhaupt eine Verjährungsfrist besteht. Angesichts des Leids, das entsprechende Taten über das Opfer bringen, erscheint dies im Einzelnen als zu stark verkürzt, selbst wenn die Zeit bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres hinzugerechnet wird. Denn wie gesagt, ist das Opfer bis dahin häufig nicht in der Lage, sich so mit den Geschehnissen zu beschäftigen, dass es die Einleitung eines Strafverfahrens ertragen könnte.
Totschlag verjährt nach 20 Jahren
Wenngleich damit einige der Verjährungsfristen bei Kindesmissbrauch auch meiner Meinung nach zu knapp bemessen sind, erscheint es mir dennoch ratsam, auch hier nicht in Gänze von einer Verjährung abzusehen. Selbst der Totschlag (der im deutschen Recht vom Mord unterschieden wird) verjährt nach 20 Jahren. Mit dieser Feststellung soll nicht die Aussage verbunden sein, die Zeit heile alle Wunden.
Das könnte Sie auch interessieren:
Es ist jedoch eine etwas anders gelagerte Frage, ob das Strafrecht sich zeitlich unbefristet mit jedweder Straftat befassen muss. Dabei geht es nicht allein um die Reaktion auf den Schmerz, der dem Opfer zugefügt wurde. Vielmehr wird die Straftat als ein abweichendes Verhalten begriffen, das sich gegen die gemeinsamen gesellschaftlichen Normen wendet. Strafe erfolgt insbesondere aus dem Grund, dem Täter klarzumachen, dass er sich falsch verhalten hat und dass die Gesellschaft ihm hieraus einen Vorwurf macht. Wenn viel Zeit vergangen ist, verblasst die Notwendigkeit einer solchen Aussage – gleich einem lauten Ruf, der mit zunehmender Entfernung von der Echowand leiser zurückhallt.
Zu unserer Serie
Haben auch Sie eine Frage an unsere Experten? Schreiben Sie per Mail an:
recht-und-ordnung@dumont.deoder per Post an:„Kölner Stadt-Anzeiger“z.Hd. Joachim FrankStichwort „Recht und Ordnung“Neven DuMont Haus, 50590 Köln.
Das liegt daran, dass Täter und Gesellschaft mit dem Ablauf der Zeit weniger akut mit der Straftat befasst sind. Für das Opfer kann dies gewiss anders aussehen. Strafe ist aber eben nicht bloß an den berechtigten Belangen des Opfers bemessen, sondern muss die Perspektive der Gesellschaft und des Täters einbeziehen.