StilkolumneWas tue ich, wenn sich Gäste am Nachbartisch unmöglich benehmen?
- Aber bitte mit Stil! In unserer Kolumne „Wie geht’s?“ dreht sich alles um das richtige Verhalten. Ob bei offiziellen Anlässen, beim Essen, im Gespräch oder vor dem Kleiderschrank.
- Protokollchefin i.R. Ingeborg Arians, Redakteurin und Modeexpertin Eva Reik, Restaurant-Chef Vincent Moissonnier sowie Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch schreiben abwechselnd über das richtige und stilvolle Auftreten.
- In dieser Woche: Sterne-Gastronom Vincent Moissonnier erklärt, wie Sie verhindern, dass Trubel am Nachbartisch Ihre Stimmung vergiftet.
Bei einem Restaurantbesuch beschwerte sich eine Frau am Nachbartisch die ganze Zeit völlig unverhältnismäßig und für uns unüberhörbar. Das hat eine Diskussion an unserem Tisch ausgelöst: Darf man sich als Gast einschalten, oder soll man „weghören“, was am Nachbartisch geredet wird?
Besserwisser, gescheiterte Gastro-Kritiker oder gar – Entschuldigung! – Randalierer sind nicht nur ein Problem für Wirtinnen, Wirte und ihren Service, sondern auch für die anderen Gäste. Wir hatten einmal einen Vater mit seiner Tochter bei uns, die sich über alles beschwerten. Eine andere Besucherin, die für einen Moment zum Rauchen rausgegangen war, erzählte mir anschließend, die beiden seien sich beim Verlassen des Restaurants lachend um den Hals gefallen: „War das ein Spaß!“
Zwei Varianten für eine Gesprächseröffnung
Dass das ein singuläres Vergnügen war, versteht sich wohl von selbst. Aber es kann, und das sei nicht verschwiegen, auch gute Gründe geben, sich zu beschweren. Gehen wir der Einfachheit halber mal von diesem Fall aus. Sie sitzen also an Ihrem Tisch, und der ganze geballte Ärger von nebenan schwappt herüber. Das vergiftet fast zwangsläufig auch hier bei Ihnen die Atmosphäre. Schon deshalb ist es Ihr gutes Recht, sich dagegen zu wehren. Vielleicht ja sogar Ihre Pflicht, wenn Sie Ihrer Begleitung und sich einen schönen Abend retten wollen.
Sie haben jetzt zwei Möglichkeiten. Variante 1: Sie beugen sich freundlich zu Ihren Nachbarn hinüber und sagen: „Ich verstehe Ihren Unmut, aber verstehen Sie bitte auch, dass wir gern davon verschont bleiben möchten. Wir können nämlich nichts dafür.“ Die Chance, dass sich die Leute dann beruhigen, steht 50:50. Wenn Sie Pech haben, geraten Sie nun selber ins Visier und dürfen sich anhören, dass Sie mindestens so ein Nichtsnutz sind wie der Küchenchef, und was Sie sich einbilden, sich einzumischen. Sie könnten dann noch auf Notwehr plädieren und sagen, dass Ihnen wegen des Wut- und Geräuschpegels gar keine andere Wahl geblieben sei. Kurz um: Mit Variante 1, so legitim sie ist, gehen Sie ein hohes Risiko ein.
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Deshalb rate ich zu Variante 2, die ich für gleichermaßen intelligent und situationsadäquat halte. Sie müssen dafür nur die Kunst der Konversation beherrschen. Sie beugen sich also wieder freundlich hinüber und sagen: „Entschuldigen Sie, was ist denn da bei Ihnen gerade so furchtbar schief gelaufen? Das ist ja unglaublich! Stellen Sie sich vor, mir ist so was auch schon passiert. Das war im Italien-Urlaub voriges Jahr. Sie ahnen ja gar nicht, wie schlimm dieses Essen war, was man mir da vorgesetzt hat. Stimmt’s, Schatz? Komm, sag mal, wie das war in diesem netten Restaurant am Rand von Florenz! Kennen Sie eigentlich Florenz?“
Mit ein bisschen Glück beginnen Sie so eine Plauderei zu viert, und das ganze Elend mit dem verkorksten Menü gerät in den Hintergrund. Der Service, wenn er auf Zack ist, wird die Situation sofort kapieren, möglichst unauffällig weiterarbeiten, Ihnen fürs Erste das Feld überlassen und Sie – wenn er noch mehr auf Zack ist – für einen Drink auf Kosten des Hauses vormerken.
„Wie geht’s?“
In unserer Kolumne beantworten vier Experten abwechselnd in der Zeitung Ihre Fragen zum stilsicheren Auftreten in allen Lebenslagen. Ingeborg Arians, Protokollchefin der Stadt Köln a.D., weiß, wie man sich bei offiziellen Anlässen richtig verhält. Journalistin Eva Reik kennt sich bestens aus mit Mode und der passenden Kleidung zu jeder Gelegenheit. Vincent Moissonnier, Chef des gleichnamigen Kölner Restaurants, hat die perfekten Tipps zu Tischmanieren ohne Etepetete. Und Anatol Stefanowitsch, Professor für Sprachwissenschaft, sagt, wie wir mit Sorgfalt, aber ohne Krampf kommunizieren. (jf)
Senden Sie uns Ihre Fragen bitte per Mail an:Stilkolumne@dumont.de
Die Sorge, dass Sie als Preis für Ihr Ablenkungsmanöver für den Rest des Abends die Nachbarn an der Backe haben, kann ich Ihnen nehmen: Spätestens wenn Sie Ihr Essen bekommen oder ein neues Getränk, entsteht eine Zäsur, nach der sich die Menschen nebenan auch wieder mit sich und ihrem Essen beschäftigen, aber entspannter und – leiser. (Aufgezeichnet von Joachim Frank)