StilkolumneBeleidigungen unter befreundeten Männern – wozu soll das gut sein?
- Aber bitte mit Stil! In unserer Kolumne „Wie geht’s?“ dreht sich alles um das richtige Verhalten. Ob bei offiziellen Anlässen, beim Essen, im Gespräch oder vor dem Kleiderschrank.
- Protokollchefin i.R. Ingeborg Arians, Redakteurin und Modeexpertin Eva Reik, Restaurant-Chef Vincent Moissonnier sowie Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch schreiben abwechselnd über das richtige und stilvolle Auftreten.
- Diesmal erklärt Anatol Stefanowitsch, was es mit der oft derben Sprache unter Freunden auf sich hat.
Köln – Mein Mann und sein bester Freund sprechen sich gegenseitig mit „alter Sack“ und ähnlichen Beleidigungen an und machen sich häufig über den jeweils anderen lustig. Ich fühle mich dabei immer sehr unbehaglich – dieses geringschätzige Verhalten kenne ich von meinem Mann sonst nicht, und es entspricht nicht meinen Vorstellungen von zwischenmenschlichem Umgang. Ich habe bereits versucht, mit ihm darüber zu reden, aber er sagt, das sei alles nicht böse gemeint, sondern sei eine Sache zwischen ihm und seinem Freund. Haben Sie Argumente, mit denen ich ihn überzeugen könnte, seine sprachlichen Umgangsformen zu ändern?
Ich weiß nicht, ob ich Ihnen überzeugende Argumente liefern kann, aber ich kann zumindest das Verhalten Ihres Mannes und seines Freundes für Sie einordnen. Es handelt sich um ein Ritual, das sich in verschiedenen Formen in vielen Kulturen findet: In Freundschaften (vor allem Männerfreundschaften) oder Gruppen von Sportteams bis zu Straßengangs (vor allem, wenn sie aus Männern bestehen) belegen sich die Beteiligten gegenseitig mit Ausdrücken oder Aussagen, die den anderen beleidigen, lächerlich machen oder sogar herabwürdigen – häufig mit sehr viel drastischeren Worten als „alter Sack“.
Das tun sie aber gerade nicht, um Geringschätzung auszudrücken, sondern ganz im Gegenteil, um sich ihrer gegenseitigen Wertschätzung und Solidarität zu versichern. Das erscheint zunächst paradox, aber es erklärt sich, wenn wir uns den Akt der Beleidigung näher ansehen: Wir alle haben das Bedürfnis, von anderen Mitgliedern unserer Gemeinschaft als gleichwertig anerkannt und in unserem positiven Selbstbild bestätigt zu werden. Beleidigungen zielen darauf ab, dieses Bedürfnis bei anderen bewusst zu verletzen.
Gönnen Sie es ihnen und versuchen Sie nicht, Ihren Mann hier umzustimmen
Das hat normalerweise drastische Konsequenzen: Auf Beleidigungen folgen häufig nicht nur weitere Beleidigungen, sondern nicht selten die Androhung von Gewalt und sogar die Umsetzung dieser Androhungen. Es gibt aber eine Situation, in der Beleidigungen wirkungslos verpuffen: Wenn wir uns der Wertschätzung desjenigen, der sie äußert, so sicher sind, dass uns nichts in dieser Sicherheit erschüttern kann. Mit den (ritualisierten) Beleidigungen demonstrieren Ihr Mann und sein bester Freund einander diese Sicherheit.
„Wie geht’s?“
In unserer Kolumne beantworten vier Experten abwechselnd in der Zeitung Ihre Fragen zum stilsicheren Auftreten in allen Lebenslagen. Ingeborg Arians, Protokollchefin der Stadt Köln a.D., weiß, wie man sich bei offiziellen Anlässen richtig verhält. Journalistin Eva Reik kennt sich bestens aus mit Mode und der passenden Kleidung zu jeder Gelegenheit. Vincent Moissonnier, Chef des gleichnamigen Kölner Restaurants, hat die perfekten Tipps zu Tischmanieren ohne Etepetete. Und Anatol Stefanowitsch, Professor für Sprachwissenschaft, sagt, wie wir mit Sorgfalt, aber ohne Krampf kommunizieren. (jf)
Senden Sie uns Ihre Fragen bitte per Mail an:Stilkolumne@dumont.de
Das mag für Sie inakzeptabel sein – und ohne zu sehr in Stereotype zu verfallen, lässt sich sagen, dass Frauen sich ihre Zuneigung eher direkt durch Komplimente und andere Äußerungen von Wertschätzung zu verstehen geben und die Umwege der Männer über gegenseitige Beleidigungen befremdlich finden. Aber für die beiden funktioniert es offensichtlich sehr gut, also gönnen Sie es ihnen und versuchen Sie nicht, Ihren Mann hier umzustimmen.
Das bedeutet aber nicht, dass Sie diese gegenseitigen Beleidigungen immer und überall hinnehmen müssen. Es ist etwas ungewöhnlich, dass die beiden dieses Verhalten auch in Ihrer Gegenwart zeigen – Ihr Mann hat Ihnen ja zu verstehen gegeben, dass er Sie in diesem Fall als Außenstehende betrachtet, und vor Außenstehenden wird dieses sprachliche Ritual normalerweise nicht ausgelebt. Sie können ihn also durchaus bitten, es auf Situationen zu beschränken, in denen die beiden unter sich sind.
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Und natürlich hat auch dieses Ritual Grenzen. Es schlägt in manchen Fällen in die Abwertung Unbeteiligter um – etwa in sexistische, homophobe oder rassistische „Scherze“. Hier könnten Sie eingreifen und darauf hinweisen, dass es eine Sache ist, sich durch gegenseitige Abwertung als gleichwertig anzuerkennen, aber eine ganz andere, sich durch die Abwertung Dritter als überlegen darzustellen.