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Kompakt, mobil und nachhaltigWie lebt es sich in einem „Tiny House“?

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Mobile Immobilien ermöglichen einem, auch unterwegs zuhause zu sein. 

  1. Der Trend geht zum Minimalismus. Mit weniger auskommen, nachhaltiger sein – das heißt für viele auch: Auf kleinerem Raum leben, die Umwelt entlasten.
  2. In den letzten Jahren werden deshalb die Tiny Houses immer berühmter: Mobile Mini-Häuser auf Rädern, die heimeliges Wohnen auf kleinstem Raum versprechen.
  3. Sie sind günstiger als jedes Haus und sparen Ressourcen – aber wie lebt es sich in dieses winzigen Häusern? Wir blicken hinter die Vorhänge der Tiny Houses.

Köln – Etwas ab vom Schuss liegt sie, die Firma „Tiny House Diekmann“, das verrät schon der Name der nächstgelegenen Regionalzughaltestelle: Bahnhof Hamm-Bockum-Hövel. Tiefe westfälische Provinz. Tiny House Diekmann ist eine Firma, die es eigentlich nicht gibt. Und was sie produziert, Tiny Houses – zu Deutsch: Minihäuser –, gibt es hierzulande im Grunde auch noch nicht, zumindest was eine verbindliche Definition angeht. Beides zeigt: Da muss etwas ziemlich schnell gegangen sein.

Tiny Houses – bis vor 5 Jahren in Deutschland unbekannt

Tiny House: Darauf, was das ist, weiß weder das deutsche Baurecht noch der Duden eine Antwort. Meist versteht man darunter ein voll ausgestattetes Haus mit einer Grundfläche von etwa 15 bis 30 Quadratmetern, das auf einen Anhänger gebaut ist. Damit versucht das Tiny House, zwei Bedürfnisse zugleich zu befriedigen, die als Gegenpole gelten: das Zuhausesein und das Unterwegssein. Eine mobile Immobilie. Prädestiniert für Menschen, die sich nicht so richtig entscheiden können: Should I stay or should I go? Bis vor fünf Jahren gab es diese zwitterhafte Wohnform in Deutschland noch nicht. Kein Wunder, dass die Behörden darauf noch etwas ratlos reagieren.

Tiny House Diekmann: Hinter dem trendigen Namen steckt eigentlich die Schreinerei Heinz Diekmann GmbH, 1949 gegründet, Familienbetrieb in dritter Generation. Vom Bahnhöfchen Hamm-Bockum-Hövel ist man, einmal links, dann rechts, dann wieder links durchs Gewerbegebiet Römerstraße Süd, in Nullkommanix da. Die Werkhalle ist vollgestellt mit Minihäusern. Aus allen Ecken: Maschinendröhnen. Hämmern, Klopfen, Sägen. „Neun Tiny Houses werden gerade parallel gebaut“, erklärt Diekmann-Mitarbeiterin Vera Lindenbauer beim Rundgang. „Damit sind alle Fertigungsplätze belegt.“

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Firmenchef Stefan Diekmann

2015 übernahm Stefan Diekmann, damals 29, den elterlichen Betrieb. Bis dahin bestand das Kerngeschäft vor allem aus Fenstern, Türen, Wintergärten. Im selben Jahr, die Idee hatte er von einem Aufenthalt in Kanada mitgebracht, fertigte er einen Tiny-House-Prototypen. Mit Wänden aus Plastik, damit er nicht zu schwer wird für die Straße, dreieinhalb Tonnen sind das Maximum. Wurde trotzdem zu schwer. „Aber gut“, sagt Diekmann, „das gehört dazu.“

Anfang 2016 verkaufte Diekmann sein erstes Minihaus. Es war aus Holz – wie alle, die folgten. Damit war er einer der ersten Anbieter in Deutschland. 2018, als in Karlsruhe die erste deutsche Tiny-House-Messe stattfand, zählten die Veranstalter schon 25 Anbieter. Im selben Jahr nahm Tchibo im Rahmen einer Sonderaktion Tiny Houses ins Angebot auf. Ein „super Marketing-Effekt“, sagt Lindenbauer. „Das hat die Häuser deutschlandweit auf den Radar gebracht. Und unseren Namen bekannt gemacht.“ Denn Tchibo vermittelte nur. Hersteller der millionenfach beworbenen Häuschen war Diekmann.

Markt für Minihäuser wächst rasant

Im Oktober 2019 wurde der Tiny-House-Verband gegründet. Die Vorsitzende des Verbandes, Regina Schleyer, schätzt die Zahl der gewerblichen Tiny-Häuslebauer inzwischen auf mehr als 60. Diekmann ist der größte von ihnen. 40 bis 60 Häuser bauen sie hier inzwischen pro Jahr. „Sie sehen ja, die Halle ist ausgelastet“, sagt Lindenbauer. „Weiter wachsen können wir eigentlich nicht.“

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Ein Haus der Firma Tiny House Diekmann von innen, Wohnzimmer und Wohnkueche.

Im Jahr vier nach dem ersten verkauften Tiny House steuert die Minihausproduktion rund drei Viertel des Umsatzes bei. Auch gegen die Corona-Krise, die vielen Branchen derzeit zu schaffen macht, ist der Betrieb weitgehend immun. „Wir können mit voller Belegschaft weiter produzieren und sind nach wie vor gut ausgelastet“, so Lindenbauer. Lediglich die Vor-Ort-Besichtigungen von Interessenten sind seit einigen Wochen ausgesetzt.

„Wintergärten waren 30 Jahre lang unser Kerngeschäft“, sagt Stefan Diekmann. „Und das, was wir jetzt machen, sind im Prinzip Wintergärten auf Rädern.“ Er meint: beides Holzständerwerke. Sehr artverwandt. „Die Kompetenz dafür war da, die Maschinen, die Halle. Das hat einfach gepasst wie die Faust aufs Auge.“ Und so hat sich die Schreinerei Diekmann mal schnell eine neue Geschäftsgrundlage gezimmert.

Tiny Houses als Entlastung des Immobilienmarkts?

Wäre ja schön, aus Umwelt- und Naturschutzsicht, wenn der Tiny-House-Trend ein Vorbote für Wohnraumverkleinerung wäre. Weniger Flächenfraß, geringerer Energieverbrauch. Auch dem angespannten Miet- und Immobilienmarkt in Deutschland würde eine solche Entwicklung guttun.

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Das Innere eines Tiny Houses. In der Schreinerei von Stefan Diekmann werden die Mini-Häuser seit 2015 gebaut.

Zu den Ursachen dieser Anspannung zählen nicht nur die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank, der Zuzug von Geflüchteten und die missbräuchliche Vermietung von Wohnungen als Ferienappartements über Plattformen wie Airbnb. Wir beanspruchen auch immer mehr Wohnfläche pro Kopf. 1991 waren es noch etwa 35 Quadratmeter, heute sind es knapp 47 Quadratmeter – eine Zunahme um fast 35 Prozent.

Ein Grund ist die wachsende Zahl von Haushalten. Hierzu „tragen Singularisierung und Individualisierung wie zum Beispiel die spätere Ehe- und Familiengründung bei jungen Menschen bei“, so der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung (SRU) in seiner Stellungnahme zum Wohnungsneubau. Der SRU erwartet die Fortsetzung dieser Trends für die kommenden beiden Jahrzehnte.

Kleiner Preis, große Flexibilität

Für eine singularisierte, individualisierte Wohnwelt sind Tiny Houses wie gemacht. Man kann damit, theoretisch, beispiellos bequem seinen Wohnort wechseln. Neuer Job? Neue Liebe? Kein Problem. Das Zuhause ist zugleich der Umzugslaster. Diese Flexibilität ist einer der wichtigsten Beweggründe für den Kauf eines mobilen Minihauses. Ein weiterer sei der Preis, erklärt Vera Lindenbauer. „Ob ich für 500.000 Euro ein Einfamilienhaus kaufe, was selbst hier im Münsterland mittlerweile üblich ist, oder ein Tiny House für 60.000 Euro – das sind Welten.“

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Terrasse gefällig? Auch das können die Tiny Houses bieten.

Die Vorsitzende des Tiny-House-Verbandes Regina Schleyer glaubt, dass das Kleinheim-Konzept auch für sich genommen verfängt, unabhängig von der damit einhergehenden Ersparnis: „Der Minimalismus ist eine gesellschaftliche Entwicklung, die immer mehr Menschen überzeugt.“ Tiny Houses könnten in einer Überflussgesellschaft geradezu als Erholungsbereiche dienen, so Schleyer: „Es ist einfach schön, auf so einem begrenzten Platz alles vorzufinden. Wenn Tiny Houses intelligent montiert sind, sind sie wahre Raumwunder.“

Eine Ausnahmesituation wie die Corona-Krise könne den Trend zum Minimalismus sogar noch verstärken, glaubt Vera Lindenbauer vom Tiny-House-Marktführer Diekmann: „Gerade in solchen Zeiten besinnen sich ja viele Menschen auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben.“

Weniger Raum, weniger Ressourcen

Und natürlich spricht auch eine Reihe ökologischer Gründe für die Minihäuser. Etwa, dass für sie keine Flächen versiegelt werden müssen. Oder auch, wie Schleyer es auf den Punkt bringt: „Letztendlich weniger Energieverbrauch, da weniger Fläche.“ Die US-amerikanische Umweltplanerin Maria Saxton hat untersucht, um wie viel sich der ökologische Fußabdruck durch den Umzug in ein Tiny House verkleinert. Für ihre Doktorarbeit hat sie mit 80 „Downsizern“ gesprochen, Raumreduzierern, die seit mindestens einem Jahr in einem Minihaus leben. Im Durchschnitt war deren Fußabdruck um 45 Prozent geschrumpft.

Nun leben die Menschen in den Vereinigten Staaten im weltweiten Vergleich bekanntlich auf besonders großem Fuß, was Flächen- und Ressourcenverbrauch angeht. Ein Indiz für die Größenordnung, in der Tiny Houses zu einem nachhaltigeren Lebensstil beitragen können, liefert Saxtons Studie dennoch. Zumal sich zeigte, dass die Wohnungsverkleinerung nicht nur – was erwartbar war – zu Einsparungen bei der Heizenergie führte.

Darüber hinaus strahlte die neue Wohnsituation offenbar auf viele Bereiche des Alltags aus und führte zu einem bewussteren Lebensstil. Die Menschen ernährten sich beispielsweise umweltbewusster und reduzierten ihren Plastikverbrauch.

Haustraum mit Hindernissen

Wer allerdings davon träumt, in ein Tiny House zu ziehen und ein einfacheres Leben zu beginnen, wird bald feststellen, dass das in Deutschland gar nicht so einfach ist mit der Einfachheit. Anders als in den USA, dem Ursprungsland der Tiny Houses, sorgen die Kleinhäuser bei deutschen Behörden noch für große Ratlosigkeit. „Gemeinden wissen meist nicht, wie sie die beurteilen sollen“, so Regina Schleyer vom Tiny-House-Verband.

Klar ist: Als mobile Immobilien gilt für Kleinheime auf Rädern sowohl das Straßenverkehrs- als auch das Baurecht. Das macht es doppelt kompliziert. „Das Thema Tiny Houses ist generell mit viel Recherche verbunden“, sagt Michael Stachurski, der aus ebendiesem Grund zusammen mit seiner Partnerin auf seiner Webseite eine der übersichtlichsten Infosammlungen des deutschsprachigen Internets dazu zusammengetragen hat.

Was die Mobilität der Minihäuser angeht, kommt es, neben ihrem Gewicht (bei mehr als 3,5 Tonnen braucht man einen Lkw-Führerschein), auch auf die Maße an. „Um sie ohne Sondergenehmigung auf der Straße zu transportieren, dürfen sie höchstens 2,55 Meter breit, vier Meter hoch und zwölf Meter lang sein“, erklärt Stachurski. Daneben braucht es ein zugelassenes Fahrzeug und den entsprechenden Führerschein, Klasse BE.

Abenteuer Stellplatzsuche

Was Minihäuser als Immobilien angeht, kommt es darauf an, ob man darin nur ab und an mal übernachten oder sie als dauerhaften Wohnsitz nutzen möchte. „Letzteres ist mit deutlich mehr Hürden verbunden“, so Stachurski. Dann nämlich braucht man in der Regel ein erschlossenes Baugrundstück, das ans Strom-, Wasser- und Abwassernetz angeschlossen ist.

„Mit einem Tiny House verbindet man ja oft Naturnähe. Aber die Wiese eines Bauern reicht als Stellplatz nicht – selbst wenn er das erlaubt.“ Eine unkompliziertere Alternative zu Baugrundstücken sind Campingplätze. Allerdings gestatten nur wenige dauerhaftes Wohnen.

Anders sieht es auf einem Ex-Campingplatz im Fichtelgebirge aus, der 2017 zum ersten „Tiny House Village“ Deutschlands umgewidmet wurde. Dort, in Mehlmeisel, würden viele der bürokratischen Hürden entfallen, erklärt Stachurski: „Man pachtet einfach ein Grundstück und kann mit seinem Tiny House legal wohnen, es anmelden – alles total problemlos.“

Deutschlands Tiny-House-Hauptstädtchen

Gegründet wurde das Minihaus-Dorf von Stefanie Beck und Philipp Sanders; beide Mittzwanziger, beide gebürtige Münchner. Die oberfränkische Gemeinde Mehlmeisel, die sich in den Jahren zuvor schon ans Schrumpfen gewöhnt hatte, unterstützte das Pionierprojekt und trug dazu bei, es zum deutschen Tiny-House-Hauptstädtchen zu machen. Inzwischen stehen hier mehr als 20 Minihäuser, rund 30 Menschen leben dauerhaft darin. Es gibt bereits konkrete Erweiterungspläne: 35 Häuschen, 60 Dorfbewohner.

Tiny Houses selbst erleben

Es gibt inzwischen zahlreiche Möglichkeiten, in einem Tiny House zu übernachten – sei es als Kurzurlaub oder auch zum Probewohnen für Kaufinteressenten. Zum Beispiel hier:

Der PionierDieter Puhane war der erste, der in Deutschland kommerziell Tiny Houses fertigte. Seine Firma Tiny House Rheinau liegt in der Ortenau, zwischen Baden-Baden und Offenburg. Probewohnen kann man über das Wochenende (ab 180 Euro) oder gleich eine ganze Woche (300 bis 570 Euro). Tageweises Mieten ist nicht möglich. Zur Auswahl stehen drei Tiny Houses.

Tiny House Rheinau VermietungGrüneck 8, 77866 RheinauTel. 07844 / 914 826www.tiny-house-rheinau.de

Das Tiny-House-Dorf

Seit 2017 steht in der oberfränkischen Gemeinde Mehlmeisel, östlich von Bayreuth, Deutschlands erstes Tiny-House-Dorf. Drei der mittlerweile mehr als 20 Minihäuser kann man (für mindestens zwei Nächte) mieten. In der Nebensaison ab 190 Euro für zwei Nächte unter der Woche bzw. 250 Euro für das Wochenende bzw. 495 Euro für eine ganze Woche. Anreise ohne Auto: Zug bis Weidenberg, dann Bus 369 nach Mehlmeisel.

Tiny House VillageKlausenstraße 7, 95694 MehlmeiselTel. 0151 / 17 666 883E-Mail: hotel@tinyhousevillage.dewww.tinyhousevillage.de

Der Marktführer

Tiny House Diekmann, Deutschlands größter Hersteller von Minihäusern auf Rädern, vermittelt auf seiner Webseite Probewohn-Möglichkeiten an mehreren Orten in Deutschland:www.tiny-house-diekmann.de

Tiny-House-HeldenInformative, übersichtliche Internetseite zu Tiny Houses inklusive einer Herstellerübersicht: www.tiny-house-helden.de.

Anderswo aber haben Tiny-House-Fans zu kämpfen, sowohl mit der Rechtsunsicherheit als auch mit Vorurteilen. „Auch wenn die Häuser in ihrer Bauart mobil sind, haben diese nichts mit einem Campingwagen oder Gypsylager zu tun.“ Zu dieser Klarstellung sieht sich der Verein „Einfach gemeinsam leben“ mit Sitz im oberbayrischen Wolfratshausen auf seiner Homepage genötigt.

Der Plan des Vereinsvorsitzenden Thorsten Thane und seiner Mitstreiter: eine kleine Siedlung aus sieben Tiny Houses. „Eine generationenübergreifende, naturnahe Dorfgemeinschaft“, wie Thane es nennt. Doch hier im Stoiber-Stammland, 30 Kilometer südlich von München, nur ein paar imaginäre Transrapid-Minuten vom Starnberger See, gelten sie als Exoten, von vielen bestenfalls belächelt.

Nach mehr als zwei Jahren Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit hat der Verein zwar erreicht, dass viele der zuständigen Stadträte dem Projekt gegenüber inzwischen aufgeschlossen sind – doch den Ball der Verantwortlichkeit haben diese auf die höheren Verwaltungsebenen weitergespielt. Und dort liegt er nun.

Die Landesregierung, erzählt Thane, habe kürzlich argumentiert, dass Tiny Houses keine legal definierte Wohnform seien – und man deshalb dafür auch keine gesetzlichen Regelungen schaffen könne. „Wir müssen jetzt also erstmal gucken, wie wir die mobilen Kleinwohnformen in eine Definition überführen, mit der alle leben können.“

Ein Bauwerk für die Ewigkeit?

Neben der rechtlichen Unklarheit gibt es bei Tiny Houses einige weitere Haken, die man erst auf den zweiten Blick sieht – und die ihren Nachhaltigkeitsvorteil zumindest ein Stück weit relativieren. Dazu gehört die Lebensdauer der leichten, meist aus Holz gefertigten Häuschen. Schwer vorstellbar, dass sie in Wind und Wetter viele Jahrzehnte überdauern.

„Man muss schauen, wie das langfristig aussieht, da haben wir noch keine Erfahrungswerte“, sagt dazu Regina Schleyer vom Tiny-House-Verband. Zwar stehe einer langen Lebensdauer prinzipiell nichts entgegen, sofern das Haus den konstruktiven und bauphysikalischen Anforderungen genüge. „Aber Holz, das wissen wir alle, muss regelmäßig gepflegt werden.“

Zudem sind Minihäuser auf Rädern, um Gewicht zu sparen und Raum zu gewinnen, in der Regel nicht sehr gut gedämmt. Das macht sie im Winter, wenn Heizen nottut, zu einer zwar räumlich radikal reduzierten, aber auf die verbleibenden paar Quadratmeter gerechnet nicht eben energieeffizienten Wohnform (mit der Wahl der Energiequelle wiederum können Minihausbesitzer einen Teil dieses Ökonachteils kompensieren).

Nur was für Landliebhaber

„Tiny Houses sollten schon der Wärmeschutzverordnung entsprechen“, sagt Schleyer. Sie geht davon aus, dass Baumaterialen und Dämmstoffe in dieser Hinsicht weiter optimiert werden. Allerdings plädiert sie auch dafür, die Richtlinien so anzupassen, dass nicht allein der Energieverbrauch pro Quadratmeter, sondern der „gesamtökologische Aspekt eines Gebäudes“ bewertet wird.

„Von den verschiedenen Formen der Tiny-Häuser, die es gibt, sind diejenigen auf Rädern die unökologischsten“, ist Daria Kistner, Vorstandsmitglied von Transition Town Hannover, überzeugt. Wegen der dünnen Dämmung. Und weil sie von allen Seiten von kalter – oder im Sommer: heißer – Außenluft umgeben sind: „Je kleiner das Verhältnis vom Volumen zur Oberfläche, desto mehr Heiz- oder Kühlenergie muss man aufwenden.“

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Generell hält Kistner freistehende Minihäuser vor allem für ländlich geprägte Gebiete geeignet. Im urbanen Kontext indes zeigt sich ein weiterer Nachteil der Raumwunder: ihr Platzbedarf. Denn obwohl für die Wohnwürfel keine Flächen versiegelt werden, ist ihr Flächenverbrauch nicht zu verachten – wenn man sie mit mehrstöckigen Bauten vergleicht. „In einer Großstadt kann man eigentlich nicht eingeschossig bauen“, sagt Kistner. „Da muss man zwingend in die Höhe gehen.“

„Tiny Living“ am Stadtrand von Hannover

Daria Kistner weiß sehr gut, wovon sie spricht – wenn sie es zuvor noch nicht so gut gewusst haben sollte, hat sie sich dazu im vergangenen Jahr in sehr kurzer Zeit sehr viel Wissen angeeignet. Denn gemeinsam mit ihren Vereinskollegen von Transition Town hat sie ein Städtebauprojekt am Stadtrand von Hannover ins Rollen gebracht, das 2019 als „größte Tiny-House-Siedlung Europas“ Schlagzeilen machte.

Als der Verein im Januar letzten Jahres zu einem ersten Informationsabend lud, plante er zunächst mit vielleicht 30 Interessierten. Am Ende wurden es rund 300. „Die Menschen saßen auf dem Boden, standen in den Gängen, auch draußen vor dem Fenster“, sagt Kistner. „Es war richtig viel los.“

Ursprünglich war geplant, ein Schrebergarten-Areal vor einer konventionellen Bebauung zu retten und es in ein Tiny-House-Dorf umzuwandeln. Dieser Plan erübrigte sich zwar – dank vorübergehendem Baustopp wurden die Gärten vorerst gerettet – die Stadt Hannover bot aber später ein alternatives Baugrundstück an. Jetzt soll am Kronsberg, unweit des Expo-2000-Geländes, auf knapp 50.000 Quadratmetern ein „Ecovillage“ für 800 Menschen entstehen.

Kleinstwohnungen als Alternative

Und nicht nur beim Wohnort, auch bei der Wohnform gab es eine Änderung: Die meisten Ökodorf-Bewohner sollen nun in zwei- bis vierstöckigen Gebäuden unterkommen – das ist einerseits vom Bebauungsplan so vorgesehen, der für das Gebiet schon lange in der städtischen Schublade schlummert, andererseits ganz im Sinne Kistners.

Dank der Zauberformel des „Tiny Living“ wird das Ecovillage eine höhere Wohndichte haben als andere Neubauviertel – und trotzdem mehr Grün. Denn der Kern des Konzepts sind Kleinstwohnungen. Im Schnitt sollen jedem Bewohner nur 25 bis 30 Quadratmeter persönlicher Wohnraum zu Verfügung stehen. Plus Gemeinschaftsräume, die man sich stockwerks- oder häuserweise teilt.

Im Oktober wurde eine Ecovillage-Genossenschaft gegründet, mehr als 280 Mitglieder sind schon beigetreten. Seitdem ist es die Genossenschaft, die das Städtebauprojekt vorantreibt. 18 Arbeitsgruppen und Gremien gibt es inzwischen, Hunderte engagieren sich darin ehrenamtlich. „Das Ecovillage“, sagt Kistner, „war mal unser Baby. Mittlerweile ist es ein Teenager geworden.“ Ein Städtebauwettbewerb läuft bereits. Für den Baubeginn ist 2021, spätestens Anfang 2022 angepeilt.

Trotz des Schwenks von Tiny Houses hin zu „Tiny Living“ ist das Interesse am stadtnahen Ökodorf ungebrochen. Das zeigt sich bei einem „Seiteneinsteigertreffen“ für Ecovillage-Interessierte, das die Genossenschaft im Februar im Stadtteilzentrum Krokus unweit des Baufeldes veranstaltet.

Gemeinschaft statt Isolation

Kurz vor 19 Uhr, gleich soll’s losgehen, werden die Sitzplätze knapp. „Da oben aufm Schrank gibt es noch Hocker!“, ruft Elvira Hendricks, die einen schwarz-kunterbunten Schal um den Hals geschwungen hat, ihre Brille hat sie hochgesteckt ins kurze Haar. Hendricks ist im Vorstand der Genossenschaft.

Gemeinsam mit Ecovillage-Projektleiter Dennis Klose versucht sie an diesem Abend, das Interesse und die Fragen zu dem Stadtteil der Kleinheime zu kanalisieren. Charmant, aber bestimmt führen sie durch den Abend. Beide sind gelernte Sozialarbeiter – perfekt qualifiziert also für ein Graswurzelprojekt wie das Ecovillage, bei dem jede Stimme gehört werden soll.

Vor allem aber scheint Hendricks bestrebt, den Versammelten in den kommenden knapp zwei Stunden den Traum vom Tiny House auszureden, der dem Ecovillage-Projekt anfangs zu solch großer Aufmerksamkeit verholfen hatte.

„Ich bin über die Tiny-Häuser zu dem Ganzen gekommen“, sagt sie nach ein paar Minuten. „Ein Tiny House ist das, was ich auf keinen Fall möchte, hab ich inzwischen gemerkt. Ich möchte in einer Cluster-Wohnung leben.“ Einer jener Kleinstwohnungen also, die sich Gemeinschaftsbereiche mit anderen Kleinstwohnungen teilen. Das, sagt Hendricks, sei „geil“.

Tiny Houses dagegen: „Nicht so suffizient, wie sich das erstmal anhört.“ „65.000 Euro für nicht mal 20 Quadratmeter, wie bei einer Freundin von mir: Das ist nicht günstig.“

„Das Problem dieser Tiny-Häuser auf Rädern ist, dass sie Fahrzeuge sind.“ Was bedeute, dass sie leicht, kompakt und straßenverkehrstauglich – dabei aber für die Energieeffizienz dick gedämmt – zu sein haben. „Das alles ist kaum zu realisieren, wenn man nicht in einem sechs Meter langen Schlauch leben will.“ Und schließlich: „Es ist ein Unterschied, ob man mal ein leeres Tiny House besichtigt oder in einem lebt.“

Trotz aller Anti-Werbung drehen sich an diesem Abend in Hannover viele Fragen der potenziellen Seiteneinsteiger um Tiny Houses. Denn 50 bis 70 Minihäuser sollen auch im derzeit geplanten Ecovillage noch Platz finden. Damit würde es, Stand heute, Mehlmeisel als Deutschlands Tiny-House-Hauptstädtchen ablösen.