Gemüse direkt in der Großstadt anbauen: regionaler geht es kaum. Das Start-up Hydrofarms will deshalb im Kölner Westen eine vertikale Farm aufbauen.
Kölner Start-up probiert's aus Was ist nachhaltig daran, Gemüse in der Senkrechten anzubauen?
Noch ist die Industriehalle bei Pulheim karg und grau. Doch schon bald sollen hier bis zu 300.000 Grünpflanzen wachsen – jeden Monat. Verschiedene Kopfsalate, Kräuter wie Minze oder Basilikum, Pak Choi und Mangold. Ohne Sonnenlicht, ohne Erde, stattdessen auf 1500 Quadratmetern in Regalen, sieben Meter hoch, bis zur Decke. So will das Start-up Hydrofarms ab April das Vertical Farming in den Kölner Westen bringen – Landwirtschaft in der Senkrechten.
Ihr Konzept, Gemüse in Regalen anzubauen, basiert auf der Hydroponik. „Im Prinzip besteht das System aus Regalen, durch die Röhren verlaufen, in denen wiederum die Pflanzen wachsen, in den sogenannten Slots“, erklärt Timon Scholz, Gründer des Kölner Start-ups. „Durch die Röhren wird Wasser mit einer Nährstofflösung so direkt an die Wurzeln der Pflanzen geleitet. Von oben werden die Pflanzen künstlich beleuchtet.“ Durch Niedrigwatt-LEDs soll der Energieverbrauch möglichst gering gehalten werden.
Warum ist Vertical Farming nachhaltig?
Lebensmittelproduktion, die in jeder Hinsicht auf Effizienz ausgerichtet ist. Der Raum wird bis in die Höhe ausgenutzt, die Transportwege bleiben so kurz wie möglich, der CO₂-Fußabdruck der Lebensmittel dadurch gering. Weil bedarfsgerechter produziert werden kann, werden zudem Lebensmittelabfälle reduziert. Auf Pestizide wird vollständig verzichtet. Hinzu kommt die enorme Wasserersparnis, denn nur das Wasser, das von den Pflanzen aufgenommen wird, entweicht dem Kreislauf. „Auf die Weise können in unserem System 85 Prozent Wasser gespart werden“, sagt Hydrofarms-Gründer Timon Scholz. Ein Faktor, der aufgrund des Klimawandels schon heute zunehmend Bedeutung in der klassischen Landwirtschaft erhält, besonders in typischen Exportländern wie Spanien oder Portugal, aber auch hier in Deutschland.
Antworten auf die Klimakrise halten die urbanen Indoor-Farmen somit gleich in mehrfacher Hinsicht bereit: Sie reduzieren den CO2- und Ressourcenverbrauch, sie tragen in der Theorie zur Artenvielfalt bei, da bislang landwirtschaftlich genutzte Flächen renaturiert werden könnten und keine umweltschädlichen Ackergifte mehr zum Einsatz kommen müssen, und sie sind klimaresilient: In ihrem geschlossenen System sind die Pflanzen vor zunehmenden Dürren und Stürmen besser geschützt als draußen auf dem Feld. Zudem können sie ganzjährig regional angebaut werden.
Lebensmittel sollen wieder so nah wie möglich beim Endverbraucher erzeugt werden
Neu ist die Idee, Pflanzen senkrecht übereinander anzubauen, nicht. Weltweit werden bereits einige vertikale Farmen in zum Teil enormen Größen betrieben. Die größte Indoor-Farm der Welt steht in Dubai: Auf 33 Hektar produziert Emirates Crop One (ECO1) dort nach eigenen Angaben jährlich etwa 900 Tonnen Blattgemüse. Das Potenzial solcher Anlagen ist also groß. Vorreiter des Vertical Farmings in Deutschland ist das Berliner Start-up Infarm. Statt Masse geht es um Regionalität: die Lebensmittelerzeugung so nah wie möglich zum Endverbraucher zurückzubringen. In die Großstädte, oder auch direkt in den Supermarkt.
An Infarm lassen sich die Chancen, wie auch die Risiken des Indoor-Farmings exemplarisch ablesen. Seit der Gründung im Jahr 2013 gab es für das Unternehmen nur eines: Wachstum. 2021 erreichte Infarm schließlich sogar den Einhorn-Status und wurde erstmals mit einer Milliarde US-Dollar bewertet. Mit Beginn des Ukraine-Kriegs Anfang 2022 und der daraus resultierenden Energiekrise fingen dann die Probleme an. Weil Infarm stark auf Hightech-Lösungen setzt, ist der Energieverbrauch entsprechend hoch. Zu hoch und mittlerweile schlicht zu teuer. Ende letzten Jahres gab Unternehmenschef Erez Galonska bekannt, dass er sich aufgrund der hohen Energiekosten, sowie der schwierigen Situation an den Kapitalmärkten gezwungen sehe, die Hälfte seiner Belegschaft zu entlassen. 500 Angestellte mussten gehen.
In Köln stehen Energieeffizienz und die Klimabilanz im Fokus
Für den Kölner Gründer Timon Scholz und sein aktuell sechsköpfiges Team ist das einer von zwei Gründen, weshalb sie bei Hydrofarms einen anderen Weg gehen wollen. Statt auf kosten- und energieintensive Hightech-Lösungen zu setzen, verfolgt das Start-up einen Lowtech und Low-Cost-Ansatz. Heißt: Wo andere vertikale Farmen auf vollständige Automatisierung setzen, gehe es bei ihnen in erster Linie darum, „den CO₂-Fußabdruck unserer Pflanzen so gering wie möglich zu halten. Die CO₂-Ersparnis im Vergleich zu importiertem Salat ist umso größer, je weniger Energie unsere Anlage verbraucht“, erklärt Yannick Hoyer, bei Hydrofarms zuständig für die Bereiche Marketing, Sales und Design. Es gebe ein sehr verbreitetes Bild von Vertical Farming, sagt Timon Scholz, das sehe so aus: „Das ist das System der Zukunft, deshalb muss es auch entsprechend futuristisch aussehen. Alles ist vollautomatisiert, überall fahren Roboter umher und solche Dinge.“ Der 24-Jährige sieht das ganz anders: „Wenn wir es so machen würden, ist es nicht mehr nachhaltig. Deshalb haben wir angefangen, unsere Systeme so zu bauen, dass sie eine möglichst nachhaltige Alternative bieten.“
Gebaut hat Scholz die Systeme gemeinsam mit seinem Bruder, Lukas Scholz. Timon Scholz stieß in seinem Logistikstudium auf die Probleme der globalisierten Landwirtschaft: „Die ganzen Lieferketten dahinter sind eigentlich total überholt und in Zeiten des Klimawandels nicht mehr wirklich effizient“, kritisiert er. Lukas Scholz als Maschinenbau-Student tat sich daher Ende 2021 mit seinem Bruder zusammen. Gemeinsam bauten sie in ihrem Heimatdorf, in Rheinkassel im Norden von Köln, einen Prototyp für ihre Anlage. Daraus soll nun die produktionsreife Indoor-Farm entstehen.
Schon ab April sollen die ersten Regalsysteme aufgestellt werden. Ende Juni sollen schließlich die ersten Salatköpfe und Kräuter wachsen. Erste Abnehmer gibt es bereits, verrät Yannick Hoyer. Kleinere Betriebe und Restaurants gehören zu ihren ersten Kunden. Es sind genug, um bereits zu Beginn etwa 30 Prozent der Anlage auszulasten. Bis die volle Kapazität von bis zu 300.000 Pflanzen pro Monat ausgeschöpft werden kann, soll es möglichst nur etwa ein Jahr dauern. Dann, sagen Timon Scholz und Yannick Hoyer, sei das langfristige Ziel, auch die großen Supermärkte in Köln und der Region zu beliefern. Bis zu 20 Prozent des Marktanteils wollen sie in Köln einmal erreichen. Mit der klassischen Landwirtschaft wird ihre urbane Farm dann nicht mehr viel gemeinsam haben, sagt Scholz. „Statt mit Gummistiefeln und Schaufel auf dem Feld zu stehen, lesen wir im Schutzkittel Diagramme zu Nährstoffkonzentrationen aus.“ Futuristisch bleibt das Vertical Farming also auch ohne Hightech-Ausstattung.