Vertikale FarmenSo wächst das Gemüse jetzt direkt im Supermarkt
Aachen/Berlin – Der Acker auf dem ehemaligen Bauernhof von Sascha Henkes Eltern wird heute nicht mehr bewirtschaftet. Dabei baut Henke auch heute noch Gemüse an. Doch anders als seine Eltern es vor ihm getan haben, braucht der Chemieingenieur dafür kein Feld, sondern Wassertanks und Fische.
„Wir müssen die Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion neu definieren“
Mit seinen Freunden Michael Moll, ebenfalls Chemieingenieur, und dem Raum- und Luftfahrttechniker Peter Becker hat Henke auf dem Gut bei Aachen 2015 das Aquaponik-Start-up Aixponic gegründet. Die Aquaponik ist eine neuartige landwirtschaftliche Methode im Rahmen des sogenannten Vertical Farming, eine Technologie, bei der Gemüsepflanzen auf der Grundlage technisch optimierter Prozesse bei minimalem Platzverbrauch erzeugt werden. „Wir sehen uns mehr als Technologieunternehmen als als Landwirte, obwohl wir natürlich auch der Grunderzeugung von Nahrungsmitteln und somit der Landwirtschaft zuzurechnen sind,“ sagt Henke. „Wir befinden uns auf einer Schwelle, an der wir Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion neu definieren müssen.“
Das hat auch der Leverkusener Chemiekonzern Bayer unlängst erkannt. Im Rahmen der Impact-Investment-Einheit Leaps by Bayer investiert der Konzern in alternative Anbaumethoden. „Wir stehen vor der großen Herausforderung, wie wir im Jahr 2050 ungefähr zehn Milliarden Menschen mit dem vorhandenen Ackerland ernähren können,“ erklärt Jürgen Eckhardt, Leiter von Bayers Investmentarm.
Hinzu kommen die zunehmenden Herausforderungen des Klimawandels für die Landwirte: Dürre und Starkregenereignisse schmälern seit 2018 auch hierzulande die Erträge der Äcker. Und die fortschreitende Urbanisierung der Gesellschaft wirft weitere Fragen auf: Wie soll auf immer weniger Platz genug Nahrung für immer mehr Menschen angebaut werden?
Die Technologie der Vertikalen Farmen bietet Antworten. So entwickelt etwa Bayers Partner Unfold speziell auf die neue Technologie zugeschnittenes Gemüsesaatgut. „So lässt sich Obst und Gemüse je nach Sorte mit 70 bis 90 Prozent weniger Wasser- und bis zu 90 Prozent weniger Flächenbedarf produzieren,“ sagt Eckhardt. Außerdem ganz ohne Erde, ohne Pestizide und mitten in der Stadt, unabhängig von der Jahreszeit.
Gemüseanbau in Lagerhallen und Schiffscontainern
Deutschlands Vorreiter in dem Gebiet der vertikalen Landwirtschaft ist das Berliner Start-up Infarm. Gegründet wurde es 2013 von den drei Israelis Osnat Michaeli und den Brüdern Erez und Guy Galonska . Seitdem ziehen sie Gemüse, Salate und Kräuter in regalartigen Konstrukten, die sich vertikal die Wände hinaufziehen. Die Methode dahinter nennt sich Hydroponik. Dabei werden die Pflanzen direkt in Bewässerungssystemen gezogen, die über spezielle Nährlösungen die Mineralien, die sie zum wachsen benötigen, zu den Wurzeln transportieren, LED-Lampen versorgen sie mit Licht.
Lebensmittel können so autark an jedem beliebigen Ort angebaut werden, etwa in Lagerhallen, Hochhäusern, in Schiffscontainern oder vor Ort im Supermarkt. Licht, Temperatur, Luftfeuchtigkeit - alle Umgebungsfaktoren werden technisch gesteuert und optimiert, um die Erträge der Pflanzen zu steigern. Und das ganz ohne Gentechnik.
In Aachen haben die drei Gründer sich für eine etwas andere Methode entschieden. Die Aquaponik verbindet die Hydroponik mit einer Aquakultur, also der Fischzucht. Durch die Verbindung der beiden Segmente entsteht ein in sich geschlossener Stoffkreislauf: Die Ausscheidungen der Fische enthalten Ammoniak. Ein Bio-Filter wandelt sie in Nitrate um, ein Nährstoff, den Pflanzen zum Wachstum benötigen. Die Wurzeln der Pflanzen entziehen dem Wasser die Nitrate und reinigen es so auf natürliche Art und Weise. Am Ende des Kreislaufs wird das saubere Wasser zurück zu den Fischen gepumpt und es beginnt von vorn. Auf diese Weise muss allein das Fischfutter von außen hinzu gegeben werden.
Noch ist der Anteil der Vertikalen Farmen in Deutschland recht gering. Einer Studie durch Allied Market Research zufolge wird der Markt bis 2026 jedoch um fast 25 Prozent wachsen. Die Gründe dafür sind nicht allein der Klimawandel und das Bevölkerungswachstum. Die Bedürfnisse der Konsumenten an sich verändern sich. Immer mehr Menschen fordern qualitativ hochwertige und nachhaltig produzierte Lebensmittel.
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Die Lösung sind geschlossene Kreisläufe
So ist etwa ein Problem konventioneller Landwirtschaft und Fischzucht die Übersäuerung und Überdüngung der Böden und Gewässer. Ganze Ökosysteme kippen um. Für Moll liegt die Lösung in geschlossenen Kreisläufen: „Wir wollen einen Fisch großziehen, der keine Antibiotika benötigt, der sich wohl fühlt, weil das Wasser sauber ist. Aber wir wollen gleichzeitig auch die Nährstoffe, die der Fisch unweigerlich ausscheidet, nutzen um wiederum Pflanzen zu kultivieren.“ Demnächst wollen Henke, Moll und Becker eine größere Anlage in Betrieb nehmen und an den Markt gehen.
Das Gemüse von Infarm hat es derweil bereits in die Supermarktregale geschafft. In einigen Edeka- und Metrofilialen stehen gleich die vertikalen Farmen selber. Näher am Endverbraucher kann Gemüse wohl allenfalls im eigenen Garten wachsen.