Kaum ein Tier hat einen so miesen Ruf wie die Wespe. Völlig zu Unrecht, sagt eine Forscherin. Kann sie uns helfen, mit Wespen gnädiger zu sein?
Wespen-ForscherinWir sollten Wespen bestaunen und von ihnen lernen, statt sie zu hassen
Ein Grillabend auf der Terrasse, alle sitzen gemütlich zusammen, auf dem Tisch ist Leckeres angerichtet. Doch bevor die erste Gabel zum Mund geht, surrt es auch schon. Eine Wespe kreist um die Würstchen. Und schon geht das große Verscheuchen los. Der eine fuchtelt, der andere flieht und der dritte holt die Fliegenklatsche. Wenn es um Wespen geht, verstehen viele keinen Spaß. Die Tiere gelten als lästig oder sogar gefährlich. „Wespen werden total verkannt“, sagt dagegen die britische Verhaltensökologin und Wespen-Expertin Seirian Sumner. Passend dazu hat sie ihr Buch „Wespen – eine Versöhnung“ genannt. Ein Gespräch.
Ich kenne viele Menschen, die Wespen regelrecht hassen. Was würden Sie ihnen antworten?
Seirian Sumner: Ich frage sie, ob sie Bienen mögen. Normalerweise sagen sie dann „Ja“. Und ich erinnere sie daran, dass auch Bienen stechen, genau wie Wespen. Dann würden sie wahrscheinlich sagen: „Aber Bienen sind nützlich, weil sie Bestäuber sind“. Darauf würde ich erwidern, dass auch Wespen sehr nützlich sind. Ich glaube, viele mögen keine Wespen, weil sie nicht wissen, was die alles können und tun. Sie haben so viel mehr zu bieten, als nur die lästigen Störer bei Picknicks zu sein. Wir sollten viel mehr lernen über die Naturgeschichte, Ökologie und Evolution von Wespen, dann würden wir sie auch viel mehr wertschätzen.
Gut, dann klären Sie uns auf! Warum sind Wespen so wichtige und faszinierende Tiere?
Erst einmal sind Wespen wohl die vielfältigsten und artenreichsten Insekten der Welt. Es gibt über 100.000 Wespenarten! Nur ein kleiner Teil davon, etwa 70 Arten, sind jene, die die Menschen als störend empfinden, zum Beispiel die Yellowjacket-Wespen oder Hornissen.
Und was tun Wespen genau?
Wespen sind zum einen große Schädlingsbekämpfer. Ein einzelnes Nest Yellowjacket-Wespen entfernt jede Saison rund 3,5 Kilogramm Insektenbeute. Das sind unglaublich viele Blattläuse, Raupen, Fliegen, Rüsselkäfer und Spinnen. Wespen regulieren die Schädlingspopulation. Mit Wespen in der Nähe braucht man weniger böse chemische Schädlingsbekämpfungsmittel. Wir sollten Wespen als Teil unserer nachhaltigen, pestizidfreien Zukunft sehen. Und dazu mit ihnen zusammenarbeiten, ihre Schädlingskontrollmechanismen genauso nutzen wie wir auch Bienen nutzen – und ihnen deshalb auch Futter und Nistplätze zur Verfügung stellen.
Was leisten Wespen noch für die Natur?
Sie sind Bestäuber. Es gibt allein über 800 Spezies von Feigenwespen, die sich zusammen mit 800 Arten von Feigen entwickelt haben – Tiere und Pflanzen sind voneinander abhängig und haben ihren Lebenszyklus aufeinander abgestimmt. Grundsätzlich sind Wespen aber nicht auf bestimmte Pflanzen spezialisiert, sie besuchen etwa 780 verschiedene Pflanzenarten. Manche Studien zeigen, dass Wespen bei der Bestäubung genauso effektiv sein können wie Bienen.
Welche Rolle spielen sie darüber hinaus für das Ökosystem?
Wespen helfen auch beim Zersetzen, sie fressen Aas, etwa gestorbene Vögel oder tote Insekten und übernehmen dadurch wichtige Säuberungsaufgaben in der Natur. Wespen leisten insgesamt so viel – das reicht hoffentlich aus, dass wir sie in Zukunft weniger hassen.
Können wir sogar etwas von Wespen lernen?
Wir können uns tatsächlich von ihnen abschauen, wie man ein soziales Leben führt. Etwa 1200 Wespenarten leben sozial, also in Kolonien, in denen sie Aufgaben verteilen. Normalerweise gibt es eine Königin, die Eier legt, wie eine Honigbiene, die anderen sind die Töchter, die gemeinsam die Brut aufziehen. Beobachtet man die Verhaltensweisen und Interaktionen sozialer Wespen, lässt sich viel darüber lernen, warum sich Sozialität, Altruismus und die Superorganismen der Wespen entwickelt haben.
Wie sollten wir uns im Umgang mit Wespen verhalten, damit das Zusammenleben positiver wird?
Das nächste Mal, wenn eine Wespe bei einem Essen angeflogen kommt, sollten wir nicht nach ihr hauen, sondern sie lieber genau beobachten. Es ist faszinierend, wie sie ein Stück vom Hühnchen oder Schinken-Sandwich abbeißt. Sie ist überhaupt nicht an den Menschen interessiert, sondern nur am Essen. Erwachsene Wespen sind eigentlich Vegetarier. Wenn eine Wespe auf Nahrungssuche nach Protein ist, dann weil sie die Brut in der Kolonie ernähren will.
Haben Sie einen Tipp, wie man die Wespen gut vom Tisch weglenkt?
Wenn sie draußen wirklich zur Unannehmlichkeit werden, ist es ratsam, ihnen ein kleines Wespenangebot zu machen und dafür eine kleine Portion der Speisen, die sie angezogen haben, etwas weiter weg aufzustellen. Gut ist hier auch ein Köder aus irgendeinem stinkenden Fisch – das wird die Wespen bald von unserem weniger stinkendem Essen weglocken, sie werden fröhlich hin- und herfliegen und wir können in Ruhe weiter essen.
Buchtipp: Seirian Sumner: „Wespen – Eine Versöhnung“, Verlag Harper Collins, 432 Seiten, 24 Euro