RechtsfrageMüssen neue Winterreifen nach 50 bis 100 km wirklich nachgezogen werden?
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In unserer Serie „Recht und Ordnung“ befassen wir uns mit juristischen Themen aller Art - und verschaffen Ihnen mehr Durchblick im Paragrafen-Dschungel.
Dafür befassen sich eine Staatsanwältin, ein Rechtsanwalt und eine Jura-Professorin in ihrer Kolumne regelmäßig mit einem konkreten Fall.
Diesmal klärt Rechtsanwalt Martin W. Huff die Frage, ob es rechtliche Konsequenzen hat, wenn man neue Winterreifen nicht nachzieht.
Köln – Auf der Rechnung meines Reifenhändlers nach dem Aufziehen der Winterräder steht „Nachziehen nach 50 bis 100 km“. Welche rechtliche Bedeutung hat das?
Werden bei Ihrem Fahrzeug neue Reifen aufgezogen, zieht die Werkstatt – wenn sie ordentlich arbeitet – die Radmuttern an den vier Rädern mit einem Drehmomentschlüssel auf den vorgegebenen Wert fest. Dieser Wert ergibt sich aus der Bedienungsanleitung des Wagens. Allerdings ist es in seltenen Fällen trotzdem möglich, dass sich die Radmuttern langsam lösen. Ein Nachziehen nach 50 bis 100 Kilometern ist im Hinblick auf Ihre Sicherheit und die anderer Verkehrsteilnehmer generell sinnvoll. Nach Auskunft von Sachverständigen bemerkt es der Fahrer oder die Fahrerin selber, dass sich die Radmuttern lösen, etwa durch einen unruhigen Lauf.
Eine Verpflichtung des Autofahrers ergibt sich nur bei einem deutlichen Hinweis
Martin W. Huff, geboren 1959 in Köln, ist seit 2008 Geschäftsführer und Pressesprecher der Rechtsanwaltskammer Köln. Er war lange Jahre Mitglied der Wirtschaftsredaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Chefredakteur der Neuen Juristischen Wochenschrift, der größten Fachzeitschrift für Juristen. Er befasst sich als Rechtsanwalt in der Kanzlei LLR Rechtsanwälte intensiv mit dem Medienrecht und dem Recht der Freiberufler. Er ist zudem Mitglied der Expertenrunde Recht der Stiftung Warentest.
All das müssen Sie aber als Autofahrer nicht wissen. Daher ist der Reifenhändler verpflichtet, Sie deutlich auf die Notwendigkeit des Nachziehens hinzuweisen. Dies ergibt sich aus dem Werkvertrag, den er mit seinen Kundinnen und Kunden abschließt. Dieser Hinweis muss sehr deutlich erfolgen. Es reicht nicht aus, so haben es die Gerichte schon entschieden, wenn der Hinweis klein auf der Rechnung steht. Denn diese wird nicht immer ausreichend intensiv gelesen. Daher bringen sehr viele Werkstätten eigens einen Aufkleber im Auto an.
Eine Verpflichtung des Autofahrers ergibt sich nur bei einem solchen deutlichen Hinweis. Und als Kundinnen und Kunden sollten Sie dieser Pflicht auch nachkommen. Das Nachziehen ist mit einem Radmutterschlüssel oder einem Drehmomentschlüssel möglich – und auf das genaue Einhalten der Kilometergrenze kommt es dabei nicht an. Es ist ja in der Praxis auch nicht immer möglich.
Nach einem Unfall kann ein Mitverschulden des Autofahrers teuer werden
Doch wer haftet dafür, wenn es tatsächlich einmal zu einem Unfall aufgrund loser Radmuttern kommt? Dabei kommt es auf die konkreten Umstände an. Es muss festgestellt werden, ob und wie die Radmuttern sich gelöst haben. Dazu sind Sachverständige sehr gut in der Lage, wie sich etwa aus einem Urteil des Landgerichts München II vom 9.4.2020 (Aktenzeichen 10 O 3894/17) ergibt. Die Experten können meist klären, ob die Radmuttern von Seiten der Werkstatt nicht richtig angezogen waren. War dies nicht der Fall, trifft die Haftung in der Regel die Werkstatt. Sie muss beweisen, dass sie die Muttern ordnungsgemäß angezogen hat – etwa durch ein Arbeitsprotokoll ihres Mitarbeiters.
Allerdings gehen die Gerichte davon aus, dass den Autofahrer, der den deutlichen Hinweis zum Nachziehen nicht befolgt hat, ein Mitverschulden nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs trifft, hier konkret des Paragrafen 254. Und dies kann, wie Gerichtsurteile zeigen, richtig teuer werden. Beim Mitverschulden setzen etwa das Landgericht München II oder das Landgericht Heidelberg (Urteil v. 27.7.2011 – 1 S 9/10) 30 Prozent der gesamten Schadensumme an. Hierunter fallen auch etwaige Mietwagenkosten und die Wertminderung des Fahrzeugs.
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Um ein Mitverschulden vor Gericht auszuschließen, ist es Sache des Autofahrers, nachzuweisen, dass er die Radmuttern nachgezogen hat. Ein Zeuge oder eine Zeugin ist dafür natürlich sehr hilfreich. Es ist also in jeder Hinsicht sinnvoll, dem Hinweis der Werkstatt zu folgen – und auf den ersten Kilometern nach dem Reifenwechsel auf den Lauf des Wagens zu achten.