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Nach der Flut ist vor dem WinterIm Ahrtal zählt jetzt jede Heizung

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Die Heizung funktioniert bei Claudia Schulzki (l) und ihrer Mutter Ilse in ihrem Fachwerkhaus im historischen Ortskern von Ahrweiler.

Ahrtal – Anfangs habe er sich wie ein Pastor gefühlt, sagt Paul Ngahan. „Wenn man das gesehen hat, diese Zerstörung, diesen Schlamm. Ich stand vor Menschen, die haben geweint, weil sie nicht wussten, wie es nach dieser Katastrophe weitergehen soll. Da muss man zuhören, trösten, erklären, die Ruhe bewahren.“

Knapp vier Monate nach der Flut treffen wir uns vor einem Container, den die kleine Gemeinde Rech im oberen Ahrtal an der Durchgangsstraße aufgestellt hat. Seit Wochen dient er als Beratungsstelle für die Dorfbewohner. Hier laufen alle Fäden zusammen.

Der Nebel hat sich verzogen, ein klarer Novembertag bricht an. Es lässt sich erahnen, wie kalt es im Winter werden könnte.

Das Versprechen: Keiner muss im Winter frieren

Als Paul Ngahan, Projektleiter der Energieagentur Rheinland-Pfalz (EVM) Ende Juli zum ersten Mal ins obere Ahrtal kommt, haben er und seine Kollegen einen klaren Auftrag in der Tasche. „Die Landesregierung von Rheinland-Pfalz hat den Menschen versprochen, dass keiner frieren muss, der den Winter in seinem Haus verbringen möchte.“

Die Einsatztruppe zieht also los. Mit 80 freiwilligen Helfern. Die Hochschule Trier und der Helferstab springen ihr zur Seite. Gemeinsam versuchen sie zu klären: Wo sind die Menschen, die unsere Hilfe brauchen? Die Lage ist unübersichtlich. Es geht um 22 Gemeinden. Die Infrastruktur ist zerstört, ein Fortkommen kaum möglich. „Wir sind von Straße zu Straße, von Tür zu Tür. Ist Ihr Haus noch bewohnbar? Ist die Heizung kaputt oder nur defekt? Brauchen Sie eine Notlösung für den Winter? Haben Sie Interesse an einer Beratung für eine langfristige Lösung?“, erzählt Ngahan. Bei der ersten Begehung im August treffen die Helfer viele Menschen nicht an, müssen immer wieder zurück, nachhaken. Doch mit jedem Hausbesuch lässt sich das ganze Ausmaß der Flutkatastrophe immer konkreter in Zahlen fassen.

Mitte November veröffentlicht die Energieagentur einen Zwischenbericht auf der Basis von fast 1500 Haushalten, die von Ngahan und seinen Mitstreitern aufgesucht wurden.

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Der Winter kann kommen: Paul Ngahan und Katharina Engels kümmern sich in der Ahrgemeinde Rech darum, dass alle Häuser Heizungen haben.

43 Prozent der Gebäude im Ahrtal sind noch bewohnbar, elf Prozent nicht mehr zu retten. 65 Prozent der Hausbesitzer melden einen Totalschaden bei ihren Heizungsanlagen, elf Prozent glauben, dass ihre Heizung noch zu retten ist. 31 Prozent wünschen sich eine Übergangslösung für den Winter, 24 Prozent können den Bedarf nicht einschätzen.

Das Smartphone klingelt ununterbrochen

Die Energieagentur räumt ein, dass die Erhebung keine vollständige Gesamtschau der Schäden abbilde. Viele Hausbesitzer hätten die Reparatur ihrer Heizung selbst organisiert oder seien immer noch nicht erfasst worden, weil sie ihre Häuser nicht mehr bewohnen.

Paul Ngahans Smartphone klingelt ununterbrochen. Wie viele Notlösungen er bereits organisiert, mobile Elektroheizungen herangeschafft hat und welche Probleme es noch gibt, beschäftigt ihn bis zu zwölf Stunden am Tag. Im Gemeindecontainer muss er mit Katharina Engels diese Fragen für die Gemeinde Rech klären, noch schnell an einem Haus vorbeischauen, in dem die Notheizung mehrfach ausgefallen ist. „Ich bin immer zu spät dran“, sagt er. „Weil immer etwas dazwischenkommt.“

Dorfwärme-Konzepte für die Zukunft

Es ist jetzt halb elf. In einer halben Stunde hat er einen wichtigen Termin bei der Kreisverwaltung. Dort warten die Bürgermeister jener Gemeinden auf ihn, die er bisher noch nicht angetroffen hat, weil sie bis über den Hals in Arbeit stecken.

Mit ihnen will Ngahan darüber sprechen, wie die Energieversorgung der Dörfer in der Zukunft aussehen könnte. Man wolle die Flutkatastrophe dazu nutzen, die Gemeinden über Möglichkeiten einer nachhaltigen und klimafreundlichen Wärmeversorgung zu informieren. „Wir wollen Dorfwärme-Konzepte erarbeiten“, sagt Ngahan. „Ich mache Veranstaltungen und informiere über die Möglichkeiten, die es gibt. Nahwärmenetze zum Beispiel. Wir liefern auch Wirtschaftlichkeitsberechnungen. Fünf Gemeinden sind schon eingestiegen, zwei sind schon in der Vorplanung, das sind Marienthal und Kreuzberg. Ich war auch schon in Mayschoß, Rech und Dernau.“

Manchmal ist es für Nachhaltigkeit zu spät

Fast alle Ortsbürgermeister seien im Prinzip dafür, das Problem ist nur, „dass ich keine Termine kriege. Jeder Tag ist ein verlorener Tag, weil sich Menschen einen neuen Gastank und eine Gasheizung kaufen. Wenn ich dann zwei oder drei Wochen endlich komme und möchte, dass wir über Nachhaltigkeit sprechen, bekomme ich die Antwort: ‚Warum kommen Sie erst jetzt?‘“

Das könne er nachvollziehen, sagt Ngahan. Wenn der Dachstuhl brennt, sei es schwer, die Menschen davon zu überzeugen, gleichzeitig den Keller aufzuräumen.

Hilfe bei allen Anfragen

Der Abgleich bei Katharina Engels im Gemeindecontainer fällt an diesem Morgen kurz aus. In Rech sind die meisten Fragen geklärt. Die 35-Jährige hört jeden Morgen zuerst den Anrufbeantworter ab, auf dem die Menschen ihre Belange, Sorgen und Wünsche hinterlassen haben. Sie muss die Dringlichkeit beurteilen und ständig improvisieren. Und das, obwohl sie vor ein paar Wochen noch nicht ahnen konnte, überhaupt für die Gemeinde in dieser Krisensituation zu arbeiten. „Ich bin auf einem 70. Geburtstag mit unserem Bürgermeister Dominik Gieler ins Kontakt gekommen. Jetzt kümmere ich mich um alle Anfragen.“

„Zum Glück bin ich selbst nur indirekt betroffen. Meine Schwester wohnt in Dernau, hat das ganze Ausmaß der Katastrophe erlebt und auch alles verloren. Meine Arbeit ist eine Herzensangelegenheit“, sagt die Automobilkauffrau. Anfangs sei es um Aufräumarbeiten gegangen, um Helfer die gebraucht wurden. Jetzt stehe der tägliche Bedarf und der Wiederaufbau im Mittelpunkt. „Die Menschen hier leben von Tag zu Tag. Was heute ist, kann morgen schon wieder anders sein“, sagt sie. „Mit viel Hoffnung, Zeit und Zuversicht werden wir es schaffen.“

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Die Heizung läuft wieder. Paul Ngahan dokumentiert seine Arbeit.

In der Kreisverwaltung warten die Ortsbürgermeister auf Paul Ngahan. Der ist in Rech vom Gemeindecontainer noch schnell in ein paar Häuser gehuscht, um nach der defekten Notheizung zu sehen. Sie läuft längst wieder. Doch auch dieser Termin ist kein verlorener, denn in den fünf Minuten im Heizungskeller konnte er den Hausbesitzer aufklären, wie er bei künftigen Defekten vorgehen soll. Reparieren lassen, die Rechnung an die Kreisverwaltung schicken. Dort werde alles mit der Energieagentur geklärt.

Den Auftrag der Landesregierung für einen warmen Winter an der Ahr werde man erfüllen. Da ist Ngahan sicher.

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Bürgermeister Walter Radermacher muss das Handwerkerproblem lösen

Auch Walter Radermacher, Bürgermeister von Ahrbrück, scheint überzeugt davon, dass man nachhaltige Konzepte für die Wärmeversorgung der Dörfer auf den Weg bringen müsse. Den Winter, sagt Radermacher, habe man im Griff. „Der ein oder andere hängt schon mal ein bisschen durch, aber das liegt in der Natur der Sache. Grundsätzlich gebe es nichts zu jammern.“

Angst vor dem Handwerkermangel

Das Handwerkerproblem werde man bis zum Frühjahr hoffentlich auch gelöst haben. „Wir werden Handwerkerdörfer und Übernachtungsmöglichkeiten schaffen und ziehen den Zirkel bei der Suche schon ein bisschen weiter, gehen auch ins benachbarte Ausland“, sagt er.

„Ich bin selbst betroffen und sage mir, vor dem Frühjahr wird hier nichts geschehen. Ich habe Handwerker gefunden, hinter Solingen und Köln. Die kommen natürlich nicht allein zu mir.“ Man müsse Geduld aufbringen, auch wenn das schwerfalle. „Wer Weihnachten wieder in seiner Hütte sein wollte, bei dem sammelt sich natürlich Frust an, denn das wird nicht zu schaffen sein“, sagt Radermacher.

Alle wollen vor Weihnachten helfen

Weihnachten – das ist auch so ein Thema. Auch wenn es komisch klinge, aber die Hilfsbereitschaft in der Vorweihnachtszeit sei kaum mehr zu bewältigen. „Das ist im Prinzip ja wunderbar, wir sind auch alle sehr dankbar dafür. Aber meine Leute berichten mir von der Anfrage des fünfzehnten Weihnachtsmanns, des zwanzigsten Christkinds und der zehnten Weihnachtsfeier, die jemand für uns ausrichten möchte. Das ist so, als ob jemand durch die Wüste gekrochen kommt und plötzlich vor einem superfetten Buffet steht. Ich will das weder geringschätzen oder runtermachen, aber das können wir nicht gebrauchen.“

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Radermacher bemüht sich, die Hilfsbereitschaft und „diese wunderbaren Angebote in Geldspenden zu transformieren“. Am Donnerstag hat der Gemeinderat beschlossen, eine dritte Auszahlung an Betroffene anzuweisen. 500.000 Euro stünden dafür noch zur Verfügung. „Wir sind bestrebt, das Geld sehr schnell auszuzahlen, damit die Menschen die Lücke ein wenig schließen können, bis die Entschädigungen anlaufen.“ Auch die Vereine könnten Unterstützung dringend gebrauchen. „Wir haben allein bei uns drei Vereinsheime, die ganz oder teilweise zerstört sind.“

Ein paar Kilometer weiter, in Schuld, das von der Flut besonders heftig erwischt wurde, treffen wir auf einen optimistischen Bürgermeister. Helmut Lussi macht der Winter keine Sorgen. Alle seien irgendwie versorgt. Selbst aus der Schweiz seien viele Holzöfen gespendet worden. Die Häuser seien entkernt und in der Trocknungsphase, drei oder vier müssten aber doch noch abgerissen werden.

Konkrete Pläne für den Wiederaufbau

In Schuld haben sie schon konkrete Pläne für den Wiederaufbau. Für den Bäcker, den Metzger und die Pizzeria. „Es geht weiter. Wir haben schon ein Planungsbüro eingeschaltet.“ Jetzt müsse es nur noch gelingen, ein Baugebiet für die Flutopfer auszuweisen, deren Häuser auf den alten Grundstücken nicht mehr errichtet werden können. „Wir haben eine große Leistung erbracht“, sagt Lussi. „Das ganze Dorf ist aufgeräumt. Jetzt gehen wir frischen Mutes daran, den Ortskern neu zu gestalten. Auch der Dorfbrunnen soll wieder errichtet werden.“

Für das Dorfgemeinschaftshaus hat der Gemeinderat schon einen neuen Platz im Blick, der den neuen Flutrichtlinien entspricht. Einen Weihnachtsmarkt wird es auch geben. Drei Freiwilligen-Organisationen werden ihn aufbauen. Am Freitag, 26. November, wird die Gemeinde im Ortskern an der Ahr einen großen Weihnachtsbaum aufstellen und die Dorfbewohner einladen. Es wird Grillgut geben und Glühwein.