Julia L. flüchtete schwanger aus Kiew„Habe meinen Mann seitdem nicht wieder gesehen“

Julia L. und Sohn Illia
Copyright: Julia L.
Berlin/Köln – Am 24. Februar sind wir in der Nacht von drei Explosionen geweckt worden. Kurz darauf wurde in Kiew Militäralarm ausgerufen – mein Mann arbeitet für das ukrainische Militär und musste sofort los. Ich habe ihn seitdem nicht mehr gesehen.
Ich war im vierten Monat schwanger damals. As wir erfahren haben, dass die russische Armee einmarschiert ist, habe ich eine Tasche gepackt, meinen dreijährigen Sohn Illia genommen und bin mit dem Auto mit ihm zu meinen Eltern nach Rivne in der West-Ukraine gefahren. Wir dachten, dort sei es sicher, aber am nächsten Tag gab es auch in Rivne Explosionen – Raketen schlugen am Flughafen ein.
Schwerste Entscheidung ihres Lebens
Ich wollte nicht raus aus der Ukraine: Wir hatten zwei Monate vorher eine neue Wohnung in einem Vorort von Kiew bezogen, aber mein Mann hat mich gedrängt: In der Ukraine seien wir nicht mehr sicher. Es war die schwerste Entscheidung meines Lebens, das Land zu verlassen – und ihn zurückzulassen. Ich habe selbst lange für das Militär gearbeitet. Ohne Kinder wäre ich geblieben, aber ich wollte unser zweites Kind nicht in einer U-Bahn-Station zur Welt bringen.

Julia L. mit ihren Kindern
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Meine Schwester lebt in Berlin, bei ihr sind wir zuerst untergekommen. Die ersten zwei Monate war ich wie erstarrt. Ich habe ständig auf die nächste Nachricht meines Mannes gewartet. Als er sich einen halben Tag nicht meldete, wurde ich noch ängstlicher. Illia ist fast vier, er vermisst seinen Vater.
Er versteht nicht, was los ist – und ist doch traurig. Er sieht seinen Vater nur im Chat und denkt: Papa muss arbeiten. Natürlich wollen wir uns treffen, aber im Moment ist es zu unsicher. Am Unabhängigkeitstag der Ukraine am 24. August ist mit einer Großoffensive der russischen Armee zu rechnen, in Belarus werden momentan russische Truppen zusammengezogen, auch Kiew könnte wieder angegriffen werden.
Die Zukunft steht in den Sternen
Wir können nicht planen, wie es weitergeht, das ist mit das schlimmste. Und dass Illia sich nicht wohl fühlt, zum Beispiel im Kindergarten. Er versteht die Sprache noch nicht gut, er will lieber bei mir bleiben. Und zurück nach Hause.
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Sein kleiner Bruder Artem wurde am 4. Juli in Berlin geboren. Er ist gesund, das freut uns sehr – die Zeit der Schwangerschaft war anstrengend. Ich hoffe, dass wir bald zurück können und Artem seinen Vater kennenlernen kann. Wann das sein wird, steht in den Sternen.