Kölner Lehrerin über Corona-Krise„Es läuft grandios schief an den Schulen“
- Online-Unterricht von heute auf morgen und katastrophale Hygienekonzepte: Corona hat Lehrer vor immense Herausforderungen gestellt.
- Eine Lehrerin aus Köln, die anonym bleiben möchte, berichtet, wie sich die Belastung auf sie und ihre Kollegen auswirkt und über das, was ihr in der Pandemie am meisten zu schaffen macht.
- Ein Gastbeitrag.
Ich kann die Stimmen schon hören: „Was stellt ihr euch so an? Dafür habt ihr ja auch die Hälfte des Jahres Ferien!“ / „Für euch konnte es doch nichts Besseres als Corona geben – vier Monate bezahlter Urlaub!“
Um es direkt vorweg zu sagen: Ich weiß, dass ich in unsicheren Zeiten einen sicheren Job habe. Ich weiß, dass ich im Vergleich zu anderen (sozialen) Berufen gut verdiene. Ich weiß, dass verbeamtet zu sein mit vielen Privilegien einher-geht, die nur wenige genießen dürfen. Ich weiß auch um die Ferien. Ich weiß, ich weiß, ich weiß. Und ich weiß das sogar sehr zu schätzen. Und trotzdem kann das meiner Meinung nach kein Schweigegeld für all das sein, was gerade grandios schief läuft an unseren Schulen. Und drumherum.
Hintergrund
Sicher ist Ihnen aufgefallen, dass wir unsere Artikel zum Thema Schule zumeist mit Symbolfotos bebildern. Der Grund dafür sind die streng geschützten Persönlichkeitsrechte von Kindern. Unsere Fotografen dürfen Schüler und Schülerinnen nicht ohne weiteres fotografieren, dafür bedarf es der eindeutigen Zustimmung der Eltern.
Auch Lehrern und Lehrerinnen steht nach dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zu, selber darüber zu entscheiden, welche Informationen über ihre Person an die Öffentlichkeit gelangen. Daher steht den Lehrkräften, die bei uns über ihre Situation an den Schulen berichten zu, das anonym zu tun.
Ich bin seit mehreren Jahren im Schuldienst und war insgesamt an drei verschiedenen Gymnasien tätig. Von durchschnittlich vielleicht 70 bis 80 Kolleginnen und Kollegen, kann ich diejenigen, die dem gesellschaftsfähigen Vorurteil des faulen, mittags Feierabend machenden, ständig in den Urlaub fahrenden und unvorbereiteten Lehrers entsprechen, an einer Hand abzählen. Im Gegenteil kenne ich praktisch niemanden, der nicht oft bis spätabends noch am Schreibtisch sitzt, um nach acht Stunden Unterricht noch die Arbeitsblätter für den nächsten Tag fertigzustellen. Der nicht, wenn er oder sie erkrankt ist – im Übrigen auch an Corona –, trotzdem Material zusammenstellt, damit die vertretende Lehrkraft nicht mit leeren Händen dasteht und die Kinder trotzdem weiterlernen können. Oder die Ferien durchkorrigiert. Keine Frage, ganz bestimmt gibt es in unserer „Branche“ schwarze Schafe, die weit von dem entfernt sind, wie ein guter Lehrer sein sollte. Ich behaupte allerdings, solche faulen Eier gibt es in jedem Berufszweig – nicht nur und wahrscheinlich nicht mal in signifikant höherem Maße unter LehrerInnen.
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Ich erwarte kein Lob oder besondere Anerkennung für meinen Job – es würde schon reichen, dafür nicht mehr ständig blöde Sprüche kassieren zu müssen. Und wenn ich mir noch was wünschen dürfte, würde ich auch gerne auf die Leute aus gänzlich anderen Berufsgruppen verzichten, die mir meinen Job immer mal wieder erklären wollen.
Erst vor kurzem musste ich mich vor einer Mutter erklären, die die Klassenarbeit ihres Sohnes unaufgefordert in einer anderen Farbe ko-korrigiert hat und mir in aller Deutlichkeit zu erklären versuchte, dass die Note ganz offensichtlich eine 2 und keine 4 ist. Ich hätte ihr gerne gesagt, dass ich mir auch nicht rausnähme, ihr zu erklären, dass die Statik des von ihr geplanten Gesundheitszentrums nicht funktioniert – weil ich davon schlichtweg keine Ahnung habe. Aber dann habe ich ihr doch – nicht ohne mir noch ein paar Mal mehr oder weniger unterschwellig meine Inkompetenz bescheinigen lassen zu müssen – freundlich lächelnd erläutert, warum die Note leider doch eine 4 ist. Die regelmäßigen Anwaltsdrohungen wegen vermeintlich ungerechtfertigter Notenvergaben rund um die Zeugnisvergabe wollen wir hier gar nicht erst weiter ausführen. Selbstredend sind längst nicht alle Eltern so drauf, und doch frage ich mich, wie es sich überhaupt einschleichen konnte, dass sowas gesellschaftsfähig geworden ist.
An ihrer Schule läuft es gut – oder etwas gewaltig schief? Schreiben Sie uns!
Sie unterrichten an einer Schule und wollen, dass wir über Missstände oder ein besonders gut laufendes Projekt berichten? An der Schule ihres Kindes passiert seit einer Ewigkeit nichts in Sachen Fortschritt?
Für alle Fragen, Themenanregungen und Kritik rund um das Thema Schule jeglicher Schulform haben wir ein offenes Ohr! Schreiben Sie uns an schule@dumont.de und wir prüfen, ob und wie wir darüber berichten. Auf Wunsch selbstverständlich anonym.
Dass nicht nur für Eltern, sondern auch für die Politik eine qualitativ hochwertige Bildung unserer Kinder das höchste Gut ist und aus dem Grund ja auch von jeglichen Lockdown-Maßnahmen verschont wird, wird man in diesen Zeiten nicht müde zu betonen. Dann frage ich mich allerdings, wieso die Institution Schule in der öffentlichen Debatte, aber auch aus finanzieller Perspektive nach wie vor kaum Wertschätzung erfährt? Wie kann es dann sein, dass sich in einigen Räumen unserer Schule die Fenster nicht (mehr) öffnen lassen, weil in unserer aus allen Nähten platzenden Schule die Kellerräume provisorisch als Klassenzimmer umfunktioniert wurden und in dem Zuge kostengünstige Deckenlampen angeschraubt wurden, die nun den Fenstern im Weg sind? Dass die SchülerInnen sich teilweise den Klogang verkneifen, weil die Toiletten so abgerockt sind, dass man sich diese Pein zu ersparen versucht? Dass eine von den wenigen Lehrertoiletten für die ca. 70 KollegInnen gefühlt über Wochen gesperrt bleiben musste, da der Hausmeister, der nämlich gleichzeitig noch an zwei Grundschulen aushelfen muss, einfach nicht dazu kommt, sie zu reparieren? Dass wir in bestimmten Räumen keinen Feuer- oder Amokalarm hören können? Dass wir Lehrer uns seit Jahrzehnten mit den immer gleichen Vorurteilen konfrontieren lassen müssen? Dass wir uns – auch in diesen Zeiten – alle digitalen Endgeräte, ohne die wir diesen Job inzwischen nicht mehr machen könnten, privat anschaffen müssen, genauso wie unseren Mund- und Nasenschutz? Denn nein, bislang bekommen wir diesen nicht von unserem Arbeitgeber gestellt. Schon gar keine FFP2-Masken. Es steht lediglich eine vom Land finanzierte Masken-Notfallbox im Sekretariat, die aber dringend für diejenigen SchülerInnen zurückgehalten werden muss, die morgens ohne oder mit viel zu großer oder mit kaputter Maske in die Schule geschickt werden. Und warum gibt es dann für diese gesellschaftlich so wichtigen Orte in diesen Zeiten keine vernünftigen und zumindest halbwegs sicheren Pläne, um trotz Corona und ohne Schulschließungen durch den Winter zu kommen?
An dieser Stelle des Textes werden vermutlich viele denken: „Ach guck mal, war ja klar, die will letztlich nur für Schul-schließungen plädieren, damit sie es sich zu Hause wieder gemütlich kann.“ Aber nein danke, das will ich gar nicht! Der Lockdown war meinem Empfinden nach beinahe stressiger als die normale Schulzeit, denn tatsächlich fühlte ich mich vor allem zu Beginn echt überfordert mit der Verantwortung, die Kids nun digital beschulen zu müssen. Schließlich wurde ich in meinem fünfjährigen Studium und der anschließenden Referendariatszeit zwar darin ganz passabel ausgebildet, Kindern mit möglichst abwechslungsreichen Methoden und Arbeitsblättern Lernziele näherzubringen und Gespräche sinnvoll zu strukturieren und anzuleiten. Aber wie nachhaltiger Digitalunterricht aussehen könnte und ob Videokonferenzen, Lernvideos oder Telefonate der beste Weg zum Ziel sind, ist nie Thema gewesen.
Aber auch (oder eher gerade?!) in dieser Zeit ließen die Vorwürfe nicht lange auf sich warten: Die Lehrer würden ihrer Verantwortung nicht nachkommen, ließen SchülerInnen und Eltern im Stich, machten sinnlosen Digitalunterricht und würden die Kinder überfordern. Möglich. Zumindest am Anfang. Aber dass mit keinem Wort darauf hingewiesen wurde, dass auch wir überfordert waren, weil wir schlicht nicht dafür ausgebildet wurden, sinnvollen Digitalunterricht zu machen, vermisste ich sowohl in der öffentlichen Berichterstattung als auch in der Wahrnehmung einiger Eltern.
Illegal aussortierte Gerätschaften
Stattdessen kamen schon in der zweiten Lockdown-Woche, in der ich offen gesagt noch vorrangig damit beschäftigt war, für Kinder aus weniger gut situierten Elternhäusern halb illegalerweise aussortierte Gerätschaften aus der Schule zu entführen und diese inklusive Arbeitsblattpaketen mit dem eigenen Auto auszuliefern, erste Mails mit aufgebrachtem Inhalt: Für die einen waren die Aufgaben zu umfangreich und zu schwer, die Videokonferenzen zu selten, die Arbeitsblätter nicht selbsterklärend und das Feedback für eingereichte Aufgaben nicht individuell genug. Für die anderen bedeuteten Videokonferenzen den totalen Stress, weil alle drei Kinder theoretisch gleich-zeitig an dem einen Computer oder Tablet hätten sitzen müssen, reichten die Aufgaben nicht, um das Kind den ganzen Vormittag zu beschäftigen und waren Abgabefristen generell unzumutbar. Wie man's machte, machte man's falsch. Nichts Neues.
Sinnvolles Hygiene-Konzept
Also nein danke, Schulschließungen müssen nicht sein. Stattdessen wünsche ich mir ganz schlicht und ergreifend das, womit sich die nun überall schon wieder geschlossenen Restaurants und Kultureinrichtungen in ausgiebiger Kleinstarbeit und häufig unter hohem Kapitaleinsatz eigentlich so gut gerüstet hatten: Ein sinnvolles Hygienekon-zept. Ich wünsche mir, dass wenn ich mich tagtäglich in eine Menschenmenge von 1500 Leuten schmeißen muss, von denen ich mindestens 40 bis 50 täglich so nah kommen muss, dass ich sie oder sie mich anstecken könnten, nicht die einzigen Schutzstrategien ein und dieselbe Einmalmaske, Stoßlüften und Wollpullis sind, um die einstelligen Temperaturen im Schulgebäude auszuhalten. Angeblich wurden die bestehenden Hygienekonzepte nach den Som-merferien überarbeitet, aber davon ist in der Praxis nichts zu spüren: Keine Versorgung von SchülerInnen und LehrerInnen mit vernünftigen Masken, keine Raumdurchlüfter als Ersatz für das ständige Lüften, keine kleineren Lern-gruppen. Von einer sinnvollen Mischung aus Digital- und Präsenzunterricht ganz zu schweigen. Dass dadurch die Arbeit nicht weniger, sondern wohl eher mehr würde, ist mir bewusst.
Angst vor Ansteckung
Aber würden solche Maßnahmen nicht dennoch bestenfalls dazu beitragen, dass sich nicht nur wir LehrerInnen, sondern auch die teils merklich verunsicherten SchülerInnen eventuell etwas wohler fühlen würden? Und sich bestenfalls auch – wie im Falle einer Kollegin – der eigene Partner, der sich eine aus der Schule nach Hause eingetragene Ansteckungsgefahr aus beruflichen Gründen nicht leisten kann, nicht vorübergehend zu seinen Kumpels ziehen müsste, sondern sich wieder nach Hause trauen könnte?
Am wichtigsten wäre mir aber, von der Politik nicht länger zum Narrengehalten zu werden. Mir und einem Großteil meines Kollegiums ist klar und wir verstehen gut, warum die Schulen um jeden Preis geöffnet bleiben sollen. Aber uns weis machen zu wollen, dass Schulen kein Ansteckungsort seien, obwohl ein Großteil der Ansteckungen nicht mehr nachverfolgt werden können und eine Vielzahl aller Schulen schon mehrere Corona-Ausbrüche erlebt hat, ist wahrlich unnötig. Stattdessen könnte man doch einfach zugeben, dass in Schulen natürlich im Moment ein höheres Risiko herrscht und LehrerInnen sowie SchülerInnen derzeit sicher zu den eher gefährdeteren Bevölkerungs- bzw. Berufsgruppen gehören, aber dass das im Moment leider einfach so ist. Und gerade halt so sein muss. Darin würde praktischerweise sogar schon ein klein wenig Wertschätzung und Anerkennung stecken. Das würde ja schon reichen. Aber scheinbar sorgt sich die Politik zu sehr vor der Kritik, den doch eh so faulen LehrerInnen nur wieder in die Karten zu spielen, wenn sie in den Schulen zumindest halbwegs passable Hygienekonzepte etablieren würden. Anders kann ich mir dieses Nicht-Handeln nicht erklären.
Wettern gegen eine Berufsgruppe
Aber bevor Eltern oder sonst jemand gegen eine ganze Berufsgruppe wettern, sollten sie doch vielleicht nochmal kurz innehalten und das machen, was ich meinen Fünftklässlern tagtäglich versuche beizubringen: empathisch zu sein. Sich in LehrerInnen reinzuversetzen. Sich zu fragen, ob man selbst, ohne je darin ausgebildet worden zu sein, sofort gewusst hätte, wie perfekter Online-Unterricht aussieht. Ob man sich selbst wohl dabei fühlen würde, in diesen Zeiten jeden Tag ohne vernünftige Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz mit 1500 Menschen zusammenzukommen, bei gefühlten Minustemperaturen durch zig verschiedene Lerngruppen zu wandern und sich dann noch weis machen lassen zu müssen, dass es in Schulen praktisch keine Ansteckungsgefahr gäbe. Oder sich ständig dumme Sprüche anhören zu wollen.
In Anbetracht der frustrierten und teilweise resignierten Stimmung in meinem Kollegium befürchte ich, dass nicht wenige sich – weniger aus Überzeugung, sondern eher aus Trotz oder Frustration – entsprechend der Theorie der selbsterfüllenden Prophezeiung irgendwann einfach doch in das faule, überbezahlte Lehrermonster verwandeln, das man in der Öffentlichkeit ja eh schon ist. Oder irgendwann einfach gar keine Lust mehr auf diesen Job haben.