Köln – Trotz steigender Corona-Neuinfektionen hält die NRW-Landesregierung weiter an ihrem Beschluss zu weiteren Schulöffnungen fest. Ab diesem Montag soll an den weiterführenden Schulen in Nordrhein-Westfalen der Präsenzunterricht wieder im Rahmen eines Wechselmodells starten. Jüngere Schüler bis zur Klasse vier und Abschlussjahrgänge hatten schon am 22. Februar den Anfang gemacht. Eltern und Gesundheitsexperten äußern heftige Kritik an dem Zeitpunkt der Rückkehr zum Präsenzbetrieb an den Schulen und zeigen sich besorgt.
Eltern rufen in den sozialen Medien zu Boykott auf
In sozialen Netzwerken haben einige Eltern bereits zum „Schulboykott“ aufgerufen oder Anträge auf Unterrichtsbefreiung für ihre Kinder eingereicht. Auch aus der Opposition im Landtag schlagen der NRW-Schulministerin scharfe Töne entgegen. So kritisiert etwa die Grünen-Fraktionsvorsitzende Josefine Paul: „Einmal mehr zeigt sich, dass Schulministerin Yvonne Gebauer ohne Plan und ohne Voraussetzungen zu schaffen, Schulöffnungen verantwortungslos vorantreibt. Während die Infektionszahlen steigen und das Robert-Koch-Institut eindringlich vor der Ausbreitung der Virus-Mutation B1.1.7 unter Kindern und Jugendlichen warnt, soll der Wechselunterricht ab Montag auch an den weiterführenden Schulen auf alle Jahrgänge ausgeweitet werden, obwohl die Voraussetzungen dafür nicht geschaffen wurden.“
Ähnlich sieht es Thomas Preis, Vorsitzender der Kölner Apotheken: „Unter den jetzigen Umständen halte ich die Entscheidung zum Präsenzunterricht zurückzukehren für falsch.“ Besorgniserregend seien nicht nur die aktuell wieder stark steigenden Zahlen an Corona-Neuinfektionen, sondern auch, dass derzeit die Infektionen unter sehr jungen Kindern stark zunähmen.
„Die höheren Infektionszahlen unter Kindern sind vermutlich auf die britische Virus-Variante B.1.1.7. zurückzuführen“, sagte er dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Während Kinder weniger stark betroffen waren als Erwachsene, beobachte man bei der vom Robert-Koch-Institut (RKI) erhobenen demografischen Verteilung der Corona-Infektionen eine starke Zunahme bei den unter 14-Jährigen. So haben in der vorletzten Woche die Neuinfektionen bei null- bis vierjährigen um 25 Prozent zugenommen. Bei den fünf bis neunjährigen erfolgte im selben Zeitraum sogar eine Zunahme von 33 Prozent, bei den zehn bis vierzehnjährigen um zwanzig Prozent.
Stadtschulpflegschaft Köln fordert Aussetzen der Präsenzpflicht
Vor diesem Hintergrund fordert die Stadtschulpflegschaft Köln ein Aussetzen der Präsenzpflicht, ähnlich wie in den Wochen vor den Weihnachtsferien. „Seit dem 22. Februar sehen wir eine Explosion der Indexfälle an Schulen und Kitas, die ungleich höher ist, als der Anstieg des Inzidenzwertes“, sagt Nathalie Binz von der Stadtschulpflegschaft. Sie beobachte eine große Sorge unter vielen Eltern, auch weil nicht wenige von ihnen zu Risikogruppen gehörten: „Die psycho-sozialen Folgen, wenn die Familie zuhause FFP2-Masken tragen müsste, weil sich das Kind wegen der Präsenzpflicht dem Infektionsrisiko im Klassenzimmer aussetzen muss, sind unvorstellbar.“
Natürlich habe auch der Lockdown und die damit verbundene Schulschließung emotionale Folgen für die Kinder, fügt Binz hinzu, doch die Stadtschulpflegschaft Köln wolle dies keineswegs zur Legitimation einer unkontrollierten Öffnung der Schulen nutzen. Entscheidend seien vor allem effektive Schutzmaßnahmen in den Schulen.
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Doch zu den Sorgen kommen auch Zweifel, ob die bestehenden Hygienekonzepte ausreichend für einen effektiven Gesundheitsschutz im Klassenzimmer – und auf dem Weg dorthin – sind. Zu dem Konzept gehört unter anderem die regelmäßige Testung von Schülern und Schülerinnen mithilfe von Schnelltests. Diese sollen in Köln ab Dienstag zur Verfügung stehen. „Ich halte die Anwendung von Schnelltests im Klassenzimmer für einen sehr riskanten Prozess“, warnt dagegen Preis.
Kölner Apotheker warnt vor Schnelltest-Gebrauch in Schulen
Die Produkte würden normalerweise von medizinisch geschultem Fachpersonal verwendet, maximal geschützt mithilfe einer sterilen Umgebung und spezieller Schutzausrüstung. Wenn ein Kind schließlich im Klassenzimmer positiv getestet würde, befinde sich potenziell hochinfektiöse Substanz an dem Test. Wenn damit nicht fachgerecht umgegangen würde, könnten sich Kinder und Lehrpersonal damit infizieren. Zudem sei es wenig sinnvoll, die Kinder vor Ort zu testen. Besser wäre es, sie testeten sich zuhause und könnten bei einem positiven Ergebnis direkt in Quarantäne gehen, ohne dass die gesamte Klasse sich ebenfalls isolieren müsste, erklärt Preis.
In der Stadt Düren liegt die Sieben-Tages-Inzidenz derweil bei 240. Einen Antrag auf das Aussetzen der weiteren Schulöffnungen bis zu den Osterferien hat das NRW-Schulministerium am Freitag abgelehnt. „Die Landesregierung sollte die Ängste und Sorgen vor Ort auch ernst nehmen“, kommentiert Thomas Kutschaty, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag NRW die Vorgänge.
„Wenn eine Kommune für sich entscheiden will, bei nicht vorhandenen Tests und steigenden Inzidenzwerten über 100 die weiteren Schulöffnungen vorerst noch auszusetzen, dann sollte sie im Sinne der aktuell geltenden Beschlüsse diesen Bedenken auch stattgeben anstatt sie pauschal abzulehnen.“