AboAbonnieren

Sechs Monate allein im Wald„Stress war ein absolutes Fremdwort für mich“

Lesezeit 6 Minuten
Waldhütte

Leben in einer einsamen Hütte im Wald - was macht das mit einem?

  1. Zwar wirkt die Hektik des Alltags aufgrund der Corona-Pandemie aktuell vielleicht etwas weiter weg als sonst. Immerhin ist das Leben außerhalb der eigenen vier Wände deutlich reduziert.
  2. Doch vor allem wer in der Stadt lebt, bekommt Lautstärke, Stress und Unruhe mit. Wolfgang Büscher hat sich dem entzogen. Und zwar schon bevor er ahnen konnte, das ein Virus auf uns zukommt.
  3. 2019 hat er mehrere Monate alleine in einer Hütte im Wald verbracht und ein Buch darüber geschrieben. Im Interview berichtet er von seinen Erfahrungen.

Herr Büscher, Sie haben 2019 mehrere Monate in einer Hütte im Wald in Nordhessen verbracht und darüber ein Buch geschrieben. Wie kam das?Ich komme aus der Gegend. Sie war mir sehr vertraut. Als Junge habe ich dort eine Waldhütte nach der anderen gebaut. So schloss sich mit dieser Rückkehr ein Lebensbogen. Meine früheren Reisebücher entstanden meist in der Ferne. Einmal habe ich ganz Deutschland umrundet für ein Buch. Aber irgendwie blieb davon ein Gefühl des Unbefriedigtseins zurück. Jetzt weiß ich, warum. Ich bin immer um die Sache drumherum gelaufen. Aber nicht zum Kern vorgedrungen.

Den Kern haben Sie dann im Wald der Heimat gefunden?

Ja. Die Fürstenfamilie, die dort Wald besitzt, bot mir an, für ein halbes Jahr in ihrer Jagdhütte zu wohnen. Dann wurde meine Mutter schwer krank, sie konnte in ihrem Haus nicht mehr weiterleben. Auch hier schloss sich ein Kreis. Weil ich dort in der Jagdhütte war, konnte ich in ihrer Nähe sein.

WolfgangBüscher

Wolfgang Büscher hat das Buch „Heimkehr“ geschrieben.

Allein auf Reisen waren Sie vorher häufig, das Gefühl des Alleinseins war Ihnen also bekannt. War die Einsamkeit im Wald trotzdem noch einmal was anderes?

Auf jeden Fall. Mitten im Wald ist man schon sehr auf sich allein gestellt. Ich kann mich gut an meinen ersten Abend erinnern. Ich habe Feuer gemacht, bin in meinen Schlafsack gekrochen, um mich herum tauchte der Wald im Nebel ab. In der Nacht lag ich wach und habe ich den Geräuschen gelauscht. Da knackt ein Ästchen, ein Kauz schreit. Der Wald fährt runter und man strengt sich an, um jedes noch so leise Rascheln zu hören. Es dauert lange, bis so ein Wald zur Ruhe kommt. Aber dann ist es plötzlich ganz still. In der Großstadt erlebt man das ja nie. Völlige Stille. Völlige Dunkelheit.

Das könnte Sie auch interessieren:

Wie darf ich mir die Hütte vorstellen?

Sehr einfach. Von außen ein hübsches Häuschen mit bemoostem Spitzdach unter hohen Buchen. Drinnen aber nicht viel Komfort. Ein Bollerofen aus Emaille, ein Holztisch für zehn Leute, ein Küchenschrank aus den 20er Jahren mit zusammengewürfeltem Geschirr, Besteck und Dingen zum Feuermachen. Nebenan steht eine noch etwas rohere Hütte, eine Art Scheune, in der ich anfangs geschlafen habe, weil sie mehr Sonne hatte und es deshalb etwas wärmer darin war.

Mussten Sie die ganze Zeit auf Kommunikation und Kontakt zu Menschen verzichten?

Das interessanterweise gar nicht. Ich habe mich in der gesamten Zeit im Wald nie mit jemandem verabredet. Aber trotzdem habe ich ständig Leute getroffen. Denn im Wald ist mehr los, als man denkt: Da sind die Waldarbeiter, die Leute aus dem Dorf, die dort Holz für ihren Ofen zu Hause sammeln, der Förster, der Mann, der die Wildsäue füttert. Das erinnerte mich sehr an meine Kindheit. Da hat man sich auch nie verabredet und trotzdem dauernd Leute getroffen. Man ist einfach irgendwo vorbei gegangen. Dieses einfache Leben ohne Hilfsmittel tat mir gut. Vor allem fühlte ich mich sehr frei.

Heimkehr

„Heimkehr“ von Wolfgang Büscher

Was haben Sie mit dieser Freiheit gemacht?

Die einzige Struktur von außen, die man im Wald annehmen muss, ist der Tag-Nacht-Rhythmus. In der Großstadt macht man ja ständig die Nacht zum Tag. Im Wald passt man sich schnell an. Ich bin mit dem ersten Tageslicht erwacht und dann auch aufgestanden. Ich habe mir Kaffee gebrüht und meine Vorräte ausgepackt, die ich nachts zum Schutz vor Mäusen und anderen Tieren an einen Haken nach oben gehängt hatte. Dann habe ich mich aufgemacht zu meinem Gang durchs Revier. Ich bin häufig lange durch die Gegend gewandert. Saß bis zum frühen Abend auf dem Hochsitz und habe Tiere beobachtet. Am fortgeschrittenen Abend dann wieder: Feuer machen, Vogelstimmen lauschen, zusehen, wie die Nacht beginnt.

Wie ging es Ihnen gesundheitlich?

Ich hab mich gut gefühlt. Wandern und Holzhacken – das bekommt dem Körper besser als im Büro sitzen. Stress war in dieser Zeit ein absolutes Fremdwort für mich.

Die Zeit im Wald fiel auch zusammen mit einem sehr traurigen Ereignis. Ihre Mutter ist während Ihres Aufenthalts gestorben. Konnte Ihnen der Wald in dieser Situation Trost spenden?

Irgendwie schon. Jedenfalls war es besser, als wenn ich in dieser Zeit zwischen Berlin und Hessen hin und her gependelt wäre. Da draußen in der kühlen Frühluft, im Sommerwind, nah an der Erde, da spürte ich: Das Vergehen und Sterben gehört genauso wie das Werden und Wachsen zum Leben dazu. Meine Mutter liebte den Wald. Wenn ich sie besuchte und bei ihr saß, roch sie den Wald. Das ist ein schöner Gedanke.

Sie schreiben in Ihrem Buch auch von einem Urnenwald in der Nähe.

Ja, das fand ich seltsam. Sie müssen sich vorstellen, da bleibt von dem Verstorbenen am Ende zur Erinnerung nicht mehr als ein briefmarkengroßes Schildchen an einem Baum. Die Auflösung dieser Bestattungskultur, die einem da gewahr wird, war nichts für mich. Meine Mutter habe ich dann auch ganz traditionell auf dem Dorffriedhof beerdigen lassen.

Auch das Sterben des Waldes haben Sie vor der eigenen Hüttentür beobachten müssen.

Das war unglaublich. Erst kam der Sturm und riss riesige Lichtungen. Überall stieß man auf Brachflächen. Aber das war nur das Vorspiel. Das Hauptdrama kam mit dem Borkenkäfer. Die Fichtenkronen verdörrten und wurden braun, die Borke bröckelte. Der Förster hat den Kampf aufgenommen, wieder und wieder. Alle befallenen Bäume wurden gefällt und rausgeholt. Aber am Ende hat er den Kampf verloren. Heute ist der Fichtenbestand des Waldes – und der machte immerhin 40 Prozent aus – weitgehend erledigt. Der Wald heute hat mit dem Wald vom April 2019 nichts mehr gemein. Das ist schon erschreckend.

Was ist nun zu tun?

Einfache Lösungen gibt es wohl nicht. In den 80er Jahren war das weniger komplex. Da baute man Filter in die Kraftwerke ein, die den sauren Regen verhinderten und die Bäume konnten wieder gesund werden. Heute ist das nicht so schnell zu heilen. Wir brauchen neue Baumarten. Aber bis die zu einem Wald werden, dauert es natürlich mindestens ein Menschenleben.

Und wenn man den Wald einfach mal eine Weile sich selbst überließe?

Ich bin da kein Freund von. Wir müssen anerkennen, dass der Wald in Deutschland immer ein Wirtschaftswald gewesen ist. Wir alle wollen Holzmöbel haben und Eichenparkett, das muss aus irgendwas gemacht werden. Heimisches Holz ist da allemal besser als ein Import aus Brasilien. Aber natürlich muss der Wald auch ökologisch in der Balance bleiben. Monokulturen gehen da gar nicht. Aber sowas will ja auch niemand mehr ernsthaft aufbauen. Alle wissen: Der Wald muss zukunftsfähig werden.

Nach Ihrer Rückkehr in Ihr stressiges Leben in Berlin: Haben Sie etwas verändert?

Ja. Ich habe meinen Ressortleiterposten an den Nagel gehängt. Ich habe das fünf Jahre lang gemacht und diese Aufgabe forderte den ganzen Mann. Da blieb nicht mehr viel Zeit. Nicht für Freunde, nicht für die Familie, nicht für mich. Heute bin ich nur noch Autor. Diese Entscheidung war genau richtig. Ich bin dadurch viel freier und autarker geworden.