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AfD-Stimmen als „Tabubruch“FDP-Politiker in Thüringen zum Ministerpräsidenten gewählt

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Kemmerich Thüringen

Thomas Kemmerich

Erfurt – Politisches Beben in Thüringen: Bei der Wahl zum Ministerpräsidenten ist überraschend der FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum Regierungschef gewählt worden. Er setzte sich bei der Abstimmung am Mittwoch im Landtag in Erfurt im entscheidenden dritten Wahlgang auch mit Stimmen von CDU und der AfD von Parteichef Björn Höcke gegen den bisherigen Amtsinhaber Bodo Ramelow (Linke) durch. Der von der AfD aufgestellte parteilose Kandidat Christoph Kindervater erhielt im dritten Wahlgang keine Stimme.

Die Entscheidung zwischen Kemmerich und Ramelow fiel denkbar knapp aus. Auf den bisherigen Regierungschef entfielen 44 Stimmen, Kemmerich erhielt 45 Stimmen. Es gab eine Enthaltung. Der Erfurter Politikwissenschaftler André Brodocz sagte am Mittwoch im MDR: „Das ist das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass ein Ministerpräsident mit den Stimmen der AfD ins Amt gewählt wurde.“

Juso-Chef Kevin Kühnert warf CDU und FDP vor, einen Tabubruch begangen zu haben. Der AfD „zu echter Macht verholfen zu haben“, werde für immer mit diesen Parteien verbunden sein, schrieb der SPD-Vize am Mittwoch auf Twitter. „Die Masken sind gefallen.“ Nun sei Wachsamkeit das Gebot der Stunde.

Linke-Landeschefin schmeißt Kemmerich Blumenstrauß vor die Füße

Die Linke-Landeschefin Susanne Hennig-Wellsow warf Kemmerich aus Protest einen Blumenstrauß vor die Füße. Was heute im Landtag passiert sei, sei „von langer Hand geplant“ gewesen, sagte sie im Erfurter Landtag. Mit einem Trick und Zockerei stelle die FDP nun den Regierungschef. Nun sei „ein Fünf-Prozent-Mensch“ Ministerpräsident, der sich mit den Stimmen einer extrem rechten Partei ins Amt habe wählen lassen. Sie schäme sich für Kemmerich. Auf die Frage, wie die Linke mit dieser Regierung zusammenarbeiten wolle, sagte sie: „Die wird es nicht geben.“

Kemmerich ist erst zweiter FDP-Ministerpräsident Deutschlands

Kemmerich ist erst der zweite Ministerpräsident der FDP in der Geschichte der Bundesrepublik. Der liberale Politiker Reinhold Maier war von 1945 bis 1952 Ministerpräsident von Württemberg-Baden und dann von April 1952 bis September 1953 Regierungschef des neuen Bundeslandes Baden-Württemberg.

Die Thüringer FDP hatten den Einzug ins Parlament bei der Wahl im vergangenen Herbst nur denkbar knapp geschafft und die Fünf-Prozent-Hürde um nur 73 Stimmen übersprungen. Ramelows angepeiltes Bündnis von Linke, SPD und Grünen verfügte nach dem Urnengang nur noch über 42 von 90 Mandaten im Landtag. Allerdings hatten Christdemokraten und Liberale kategorisch ausgeschlossen, mit der von Fraktionschef Björn Höcke geführten AfD zusammenzuarbeiten. Gemeinsam kommen die drei Fraktionen auf 48 Sitze.

Ramelow hatte eigentlich eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung in Thüringen unter seiner Führung angepeilt. Wegen der fehlenden Mehrheit hatte auch die AfD mit dem parteilosen Kindervater einen eigenen Kandidaten ins Rennen geschickt. Nachdem Ramelow in den beiden ersten Wahlgängen erwartungsgemäß die absolute Mehrheit verfehlt hatte, warf Kemmerich im dritten Wahlgang ebenfalls seinen Hut in den Ring.

Ramelow war seit 2014 Regierungschef des Freistaats und der erste Ministerpräsident der Linken in Deutschland. Doch obwohl seine Partei mit 31 Prozent die Wahl im Herbst 2019 klar gewonnen hatte, ging die Mehrheit der bisherigen Regierung von Linke, SPD und Grünen verloren. Dennoch hatten die bisherigen Koalitionspartner am Dienstag einen neuen Regierungsvertrag unterschrieben. (dpa)