Bauern-ProtesteErfinder der grünen Kreuze sorgt sich um die Landwirtschaft
- Aus Protest gegen das Agrarpaket stellte Landwirt Willi Kremer-Schillings ein grünes Kreuz auf sein Feld.
- Seinem Beispiel folgten Tausende Landwirte in ganz Deutschland. Ein stiller Protest gegen die Agrarpolitik.
- Am Dienstag fuhren Bauern mit ihren Traktoren nach Bonn und in andere Städte. Der stille Protest wurde ein lauter.
Bonn/Rommerskirchen – Der Großteil der Felder im Land ist abgeerntet, kahl warten die Äcker auf den Winter. Immer häufiger sind dort in den letzten Wochen jedoch Hingucker aufgetaucht. Grüne Kreuze, größer und kleiner, stehen auf den Feldern. Immer mehr Bauern rammen zwei im rechten Winkel übereinander genagelte grüne Bretter in den Boden. Gedacht als stiller Protest gegen die Agrarpolitik des Bundes. Der nun ein lauter wurde.
Denn die Landwirte wurden ungeduldig. Tausende von ihnen fuhren am Dienstag mit Traktoren nach Bonn und in andere deutsche Städte. Allein in der ehemaligen Bundeshauptstadt waren es 6000 Teilnehmer. Viele Bauern reisten mit ihren Traktoren an, was den Verkehr rund um Bonn und auf den Anreisewegen der Landwirte teilweise lahmlegte. Auch in Köln kam es zu Behinderungen. 2000 Traktoren zählte die Polizei. In München, Hannover, Stuttgart und anderen Städten versammelten sich ebenfalls Bauern mit ihren Traktoren.
Über die Köpfe der Bauern hinweg
Die Demonstranten beklagen, dass die Politik über ihre Köpfe hinweg einschneidende Regelungen für die Landwirtschaft beschließe, und kritisieren vor allem strengere Regeln zum Umwelt- und Insektenschutz. Anlass für die Proteste ist das von Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD), Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) und Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU) vereinbarte Agrarpaket. Nach der in Kreisen der Landwirte bereits umstrittenen Düngeverordnung fürchten die Bauern angesichts der Auflagen um den Fortbestand von Familienbetrieben.
Großer Streitpunkt des Pakets ist das mit wenigen Ausnahmen vorgesehene Verbot von Pestiziden. Nach dem Auslaufen der EU-Zulassung Ende 2023 soll der Einsatz des umstrittenen Mittels Glyphosat verboten werden, in der Nähe von Gewässern sollen gar keine Pflanzenschutzmittel mehr gesprüht werden dürfen. Flächen, die mit Pestiziden bearbeitet werden, müssen mindestens zehn Meter Abstand von Gewässern haben. Der Mindestabstand halbiert sich, sollte die entsprechende Fläche dauerhaft begrünt sein.
Subventionierung wird umgestellt
Auch die Subventionierung der Landwirtschaft soll im Zuge des Agrarpakets ebenfalls verändert werden. Die festen Zahlungen, die die Landwirte pro Fläche erhalten, sollen um 4,50 Euro pro Jahr und Hektar sinken; derzeit erhalten die Landwirte vom Staat im Schnitt etwa 286 Euro.
Das eingesparte Geld soll laut Bundesregierung aber größtenteils in die Landwirtschaft zurückfließen. So solle mehr Geld in die Förderung von ländlicher Entwicklung, Umwelt-, Tier- und Naturschutz gesteckt werden. Damit will die Regierung nachhaltige Arbeit für Landwirte noch attraktiver zu machen.
Ausgerechnet am Geburtstag
Der Protest dagegen war laut. Der leise Anfang steht derweil auf dem Feld von Nebenerwerbslandwirt Willi Kremer-Schillings. Ein grünes Kreuz, einsam auf dem abgeernteten Acker.
Kremer-Schillings, der seit Januar 2015 im Internet als Bauer Willi einen Landwirtschafts-Blog betreibt, feierte am 4. September dieses Jahres seinen 65. Geburtstag. Wobei: „Gefeiert haben wir den Geburtstag nicht, am Abend waren wir Pizza essen“, erinnert er sich. Doch was am selben Tag, ausgerechnet an seinem Geburtstag, auf der Bundespressekonferenz in Berlin präsentiert wurde, verdarb ihm den Appetit.
Strengere Vorschriften
Der Landwirt schaute sich die Pressekonferenz zum Agrarpaket an. Seine Reaktion: „Nein, das kann nicht sein, was du da gehört hast.“
Gegen den Inhalt des Pakets, unter anderem sollen Pestizide nicht mehr in der Nähe von Gewässern gesprüht werden, habe er ja nichts, sagt er. „Das, was da drin steht, können wir alles machen. Die Ideen sind an für sich okay.“ Aber: „In dem Papier steht nirgendwo etwas, wie wir nach der Durchsetzung dieser Maßnahmen mit unserer Landwirtschaft noch Geld verdienen sollen.“ Auf 2,3 Millionen Hektar Land könne, so Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Landwirtschaft nur noch „mit erheblichen Einschränkungen“ betrieben werden.
„Kalte Enteignung“
Kremer-Schillings hält die Abstandsregelung zu Gewässern für eine „kalte Enteignung. Das ist dann zwar noch unser Land. Aber wenn ich das mal verkaufen will, dann sagt der Käufer: »Die fünf Meter da, die kannst du behalten.« Damit ist das eine Wertminderung.“ Auch der Rheinische Landwirtschaftsverband (RLV) spricht von „heftiger Ablehnung“ gegen die „Auflagenflut“.
Verdeutlicht wird dieser Unmut durch die grünen Kreuze. Willi Kremer-Schillings hatte die Idee dazu. Nach Diskussionen mit Kollegen, wie man die Wut am besten zum Ausdruck bringen könne, beschloss der 65-Jährige drei Tage nach seinem Geburtstag: „Ich mache das jetzt!“ Er hatte noch grüne Farbe, weil er die Fensterrahmen zum Innenhof gestrichen hatte. In einer Ecke lagen ein paar Bretter. Er hatte er die Idee, daraus ein Kreuz zu basteln, das er dann auf sein Feld stellte. Als stillen Protest, gegen die neuen Vorschriften.
Die Resonanz, die Kremer-Schillings erreichte, gab ihm Recht. „Schon am nächsten Tag habe ich gemerkt: Das schlägt ein.“ Deutschlandweit stellten Landwirte grüne Kreuze auf, Tag für Tag wurden es mehr. Weil die Landwirte es satt hatten, dass ohne sie über Maßnahmen zum Umweltschutz in der Landwirtschaft geredet wird. Vorgaben würden ihnen „vor die Nase gesetzt“,ärgert sich Kremer-Schillings: „Und dann wird gesagt: So, jetzt guckt, wie ihr damit klar kommt.“
Grüne Kreuze erfunden
So sind die grünen Kreuze nicht nur ein Protest gegen das Agrarpaket. „Die Kreuze stehen für viel mehr.“ Die Debatte um das Tierwohl, eine Gülleverordnung, endlose Diskussionen um Glyphosat, Gentechnik. All das lasse Landwirte unsicher in die Zukunft blicken. „Die Leute haben auch einfach Angst“, so der 65-Jährige. Das Agrarpaket habe das Fass nur zum Überlaufen gebracht. Toni Winkelhag, Landwirt aus Weilerswist und beim RLV aktiv, sieht das Agrarpaket noch aus einem anderen Blickwinkel kritisch: „Das Paket sieht nur nationale Regeln vor.“ Das aber mache keinen Sinn, solange Deutschland fleißig aus Ländern importiere, wo es diese strengen Regeln nicht gibt oder sie billigend missachtet werden.
Das führe zwangsläufig dazu, dass bald immer mehr Lebensmittel aus dem Ausland kommen, meint Winkelhag. Die heimische Landwirtschaft werde immer weiter geschwächt. Im drastischsten Fall werde es keine Lebensmittel aus der Region mehr geben können, weil kleine und auch mittelgroße Höfe nicht mehr rentabel seien, ihren Betrieb aufgeben müssten. Winkelhag: „Nach den Regeln, die wir hier unseren Landwirten aufbürden, müssen wir auch importieren. Sonst bringt das alles nichts, sonst ist das alles nur Kosmetik.“ Beim Inhalt des Agrarpakets sei Winkelhag voll dabei. Aber auch für ihn stellt sich die Frage, „wie das alles bezahlt und refinanziert werden soll. Das steht noch in den Sternen.“
Verband hält sich bewusst zurück
Ein grünes Kreuz hat Toni Winkelhag nicht auf seinem Feld stehen. Weil er beim RLV tätig sei. Der hält sich bewusst zurück. Der Protest komme von der Basis, und da solle er auch bleiben. Die Basis trug diesen Protest nun weg von den grünen Kreuzen auf den Feldern in die Städte. Knapp 6000 Landwirte und 2000 Traktoren kamen allein nach Bonn, um sich gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung zu stellen. Auch in viele andere Städte kamen die Landwirte mit ihren Traktoren.
Dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) gefallen weder die grünen Kreuze, noch die Traktoren-Proteste in den Städten. „Die Bauern machen das alles sehr negativ. Man könnte auch produktiver an die Sache herangehen“, findet Christian Rehmer, Agrarexperte des BUND.
„Maßnahmen verschleppt“
Er sieht das Problem der Debatte vor allem darin, dass die Politik entsprechende Maßnahmen jahrelang nicht umgesetzt, gar „verschleppt“ habe. „Und jetzt gibt es ganz viele Stellschrauben, an denen gleichzeitig gedreht werden muss.“ So sei das Agrarpaket keinesfalls gut, aber es mache „einen Schritt in die richtige Richtung.“
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Einige Begriffe der Protestierenden, wie den der kalten Enteignung, findet Rehmer aber „übertrieben.“ Zum Verbot, Pestizide nahe Gewässern zu sprühen, sagt er: „Um mal ein Beispiel zu nennen: Wenn ich ein Haus baue, darf ich es auch nicht einfach direkt an die Grundstücksgrenze setzen.“