„Der Sommer unseres Lebens“Was die Kölner Gastro- und Kulturszene jetzt hoffen lässt
- Die Inzidenz sinkt so beständig wie die Impfquote steigt – Zeit für Aufbruchstimmung, Außengastro, rauschhafte Modefarben, Open-Air-Konzerte. Steht uns die Explosion der Lebensfreude bevor?
- Ein Streifzug durch die Kultur-, Mode- und Gastroszene
Köln – Die Hoffnung beginnt auf einer Tanzfläche, auf der sich Pakete mit Schnelltests und Einweghandschuhen drängen. Ein maskierter Mann mit Sackkarre eilt an der DJ-Kanzel vorbei. Hunderte schwitzende Körper ließen sich hier treiben, wenn Szenestars wie David Guetta ihre House- und Technohymnen auflegten. Nirgendwo kam die Jugend den Discjockeys näher als auf dem Mainfloor des Bootshauses an der Deutzer Werft. Wenige Tage vor dem ersten Lockdown im März 2020 wurde der Laden zum sechstbesten Club der Welt gewählt.
Auf der Tanzfläche drängen sich Schnelltest-Pakete
Ein paar Monate, nachdem das Bootshaus im März 2020 schließen musste, gründete Betreiber Tom Thomas mit drei Freunden ein Unternehmen, das inzwischen mehr als 200 Covid-Testzentren betreibt. Der 48-Jährige, dem auch die Clubs Flamingo Royal und Vanity sowie den Restaurants Spencer & Hill und Café de Paris gehören, steht auf der Tanzfläche und telefoniert, ein Spotlight ist auf Bottiche mit Desinfektionsmittel gerichtet.
„Die Krise hat uns noch flexibler und schneller gemacht“, sagt der Unternehmer, der im vergangenen Jahr auch die Konzepte für Konzerte in der Lanxess-Arena mitentwickelte, bei denen die Gäste in Plexiglaswürfeln saßen und bei winzigen Clubkonzerten den DJs zuhörten.
Hoffnung auf Berührungen
Durch die Arena-Konzerte und die Testzentren habe er seine Aushilfskräfte weiterbeschäftigen können, sagt Thomas. „Aber ohne die Staatshilfen hätten wir dicht machen müssen. Es ist ein Glück, in diesem Land zu leben.“ Dank der Hilfen habe er nie daran gedacht, aufzugeben. Wenn es wieder richtig losgehe, „werden wir über Wochen ausgebucht sein. Lachende Menschen zu sehen, die sich berühren und zusammen feiern, darauf freue ich mich wahnsinnig“.
Obwohl die Inzidenz so beständig sinkt wie die Impfquote steigt und die Intensivstationen sich langsam leeren, rechnet Thomas erst im Januar 2022 mit normalen Partys in seinen Clubs. Bis dahin lässt er seine Leute testen, fährt die Gastronomie hoch – und veranstaltet Arena-Konzerte in Plexiglashüllen.
Die Hoffnung beginnt in einem Restaurant, das nach Menschen hungert. Reja und Daniel Rabe, Betreiber der Bagatelle, haben ihr Personal zurückgeholt aus der Kurzarbeit, auch alle Aushilfen sind in der Teutoburger Straße wieder im Dienst – obwohl die Außengastronomie noch nicht öffnen durfte. „Wir hatten gehofft, diese Woche wieder öffnen zu dürfen. Ich glaube trotzdem, dass wir vor dem Sommer unseres Lebens stehen“ sagt Daniel Rabe. Seit einigen Wochen spüre er eine Aufbruchstimmung: „Die Menschen haben eine unglaubliche Lust, rauszugehen, andere Leute zu sehen, zu essen, zu trinken, sich zu begegnen, ein bisschen zu vergessen.“
Am Freitagmorgen steht Rabe am Tresen seines Lokals. Seine Crew wird später Boxen mit Snacks, einer Restaurant-Route und einem Quiz verkaufen, die zu einer Südstadt-Safari gehören. Im Winter hatten die Rabes sich mit einigen anderen einen Glühweinwanderweg ausgedacht, auf dem dann so viele Menschen spazierten, dass es der Stadt zu voll wurde und das Projekt beendet werden musste. Jetzt können sich die Menschen nur online anmelden, um die Ströme besser steuern zu können. „Wir möchten unser Geld endlich wieder selbst erwirtschaften und nicht auf der Couch liegen und fett werden“, sagt Rabe. Die staatlichen Hilfen seien fair gewesen, im vergangenen Sommer habe die Stadt unkompliziert mehr Flächen für den Außenbereich genehmigt. In der Kölner Gastroszene habe jeder gelitten. „Aber es gab es viel Beistand, eine Solidarität, wie ich sie sonst noch nicht erlebt habe – wer konnte, hat geholfen, das haben wir in unserer Whatsapp-Gruppe mit 300 Kolleginnen und Kollegen gesehen.“
„Es kann einen großen Push geben“
Es sei bemerkenswert, wie diszipliniert und solidarisch der Großteil der Menschen in Deutschland sich in der Krise verhalten habe, findet der Kölner Sozialpsychologe Detlef Fetchenhauer. „Hätte man Soziologen vor der Pandemie gefragt, was bei so enormen und langfristigen Eingriffen in die Freiheit passieren würde, wären viele – auch ich – von Unruhen und tiefen Verwerfungen ausgegangen.“ Ob die Zeit der Pandemie langfristig helfe, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken, hänge davon ab, ob der Umgang mit der Krise vor allem als Erfolgsgeschichte erzählt werde. „Wenn das gelingt, könnte es einen großen Push geben – auch für große Aufgaben wie den Klimaschutz oder gerechte Teilhabe in der Arbeitswelt, beim Wohnen und im Kulturbereich.“
Die Hoffnung beginnt in einem dunklen Probenraum, dem winzigen Reich der Köln-Düsseldorfer Independent-Band Carpet Waves. Die vier Musiker spielen ein Stück mit melodiösen Gitarrenriffs und einem treibenden Bass. „Ich freue mich, wenn der Bass auf Konzerten und Festivals endlich wieder in der Brust vibriert“, sagt Schlagzeuger Kai Entian. „Vielleicht gibt es schon im Spätsommer wieder Open-Air-Festivals.“ Im Februar 2020 wollten Sänger Benjamin Dörfer, Gitarrist Tim Rummel, Bassist Javier Perez Vera und Entian ihre erste EP rausbringen. Sie hatten in Promotion investiert, es standen Konzerte an. Mit Corona kamen die Tränen. Entian hat mit Depressionen zu kämpfen, die soziale Isolation setzte ihm enorm zu. „Wir wussten schon vor Corona, dass alles im Leben nur eine Phase ist“, sagt Dörfer. „In unseren Texten ging es immer schon um die Unsicherheit, in der Welt zu sein, eine Melancholie, aus der sich auch Energie schöpfen lässt“.
Die helle Seite der Dämmerung
In ihrer Single, die kurz vor dem ersten Lockdown erschien, singen die Musiker „Come with me to the bride side oft he dawn“ – Komm’ mit mir zur hellen Seite der Dämmerung. Das Virus und die Depressionen ihres Schlagzeugers haben die Band zusammengeschweißt; sie suchen weiter das Licht.
Die Carpet Waves haben eine Spendenaktion initiiert, mit der sie ein Düsseldorfer Bündnis gegen Depressionen unterstützen. „Ich hoffe, dass die Gesellschaft nach der Pandemie aufmerksamer auf junge Menschen schaut, die stark gelitten haben. Ich bin in der Kinder- und Jugendarbeit tätig und sehe, wie lang die Wartelisten für Therapieplätze sind, wie viel Leid sich im Lockdown angestaut hat“, sagt Entian. Die Band hatte das Glück, im vergangenen Jahr einen Förderpreis zu gewinnen, der ihnen den Probenrau finanziert. „Wir sind demütiger geworden. Dass wir weiter Musik machen dürfen, ist nicht selbstverständlich, dass wir zusammen Eis essen können, gesund sind, alles nicht selbstverständlich“, sagt Dörfer. Und Rummel hofft: „Die Menschen werden sich auf die lokale Kultur besinnen – auch weil es bald zum Glück nicht mehr so einfach sein wird, mal schnell für 30 Euro nach London zu fliegen.“
Öko ist das neue cool
US-Präsident Biden ist mit den USA dem Pariser Klimaabkommen beigetreten, das sein Vorgänger Donald Trump aufgekündigt hatte. Das Bundesverfassungsgericht hat ein Gesetz erlassen, dass die Regierung zu einer schnelleren CO2-Reduzierung verpflichtet. Die EU fordert mit ihrer deutschen Kommissionspräsidentin einen „Green new deal“. Ein CSU-Ministerpräsident redet ständig vom Natur- und Klimaschutz. Eine grüne Kandidatin könnte Kanzlerin werden. Öko ist das neue cool.
Die Hoffnung beginnt auch in einem kleinen Modeladen, der seit Mittwoch wieder (getestete) Kundinnen bedienen darf. Das Kölner Unternehmen Lanius zählt zu den Pionierinnen in der Öko-Mode-Branche. „In der Pandemie sind viele neue Händlerinnen und Händler auf uns zugekommen, weil das Thema Nachhaltigkeit inzwischen alle anderen Themen dominiert“, sagt Juniorchefin Annabelle Homann (28). Im Laden auf der Merowinger Straße entwickelte ihre Mutter Claudia Lanius vor mehr als 20 Jahren die Philosophie für nachhaltig hergestellte Frauenkleidung – inzwischen setzen sogar die großen Modekonzerne auf Recycling, Bioware uns Ausgleichszahlungen für den Klimaschutz. „Ich glaube, dass die Krise die Entwicklung beschleunigt: Viele von uns haben ja im Lockdown ihre Kleiderschränke ausgemistet und gesehen, was sie seit vielen Jahren tragen – und was seine Form verloren hat, obwohl es noch neu ist“, sagt Homann. Auch in der Modebranche gehe es künftig darum, „Dinge nicht mehr wegzuwerfen, sondern sehr, sehr lange zu nutzen“. In der Krise seien alle dazu gezwungen worden, ihr Leben zu verlangsamen. „Dadurch haben wir in einigen Bereichen auch erfahren, dass langsam und reduziert Vorteile hat.“
Langsamer, gern, aber bitte nicht hausflurgrau und lockdowneng. In der aktuellen Lanius-Kollektion dominieren weite Formen (Freiheit!) und Naturfarben (Naturschutz!), die neue Mode wird bunter und schriller, fast rauschhaft. dottergelb, erdbeerrot, Blumen. „Es geht darum, sich zu schmücken, das Leben zu feiern, aufzufallen. Hoffnung auf ein sinnliches, freies Leben ist der Treiber dafür“, glaubt Homann. Die neue Kollektion heißt „Lights of Hope“ – Lichter der Hoffnung.
Die Hoffnung beginnt in einem großen Ausstellungsraum im Kunsthaus Rhenania, der auf Töne, Gedanken, Bilder und Collagen wartet. Kürzlich haben Nadine Kiala, Lenah Flaig und Christian Wagner, das Trio hinter dem Kunsthafen, eine Fensterausstellung mit sechs jungen lokalen Künstlerinnen und Künstlern kuratiert. Ein paar Konzerte mit Abstand und Masken durften sie organisieren, als sie den Raum im September 2020 übernahmen, es gab Tanzproben und Filmdrehs, eine erste Malerei-Ausstellung musste am 1. November nach einer Woche abgebrochen werden, Seitdem machen sie ständig neue Pläne, bleiben mit Künstlerinnen im Gespräch, schreiben Programme für die nächsten Monate. Und: Hoffen.
Im Kunsthafen sollen viele Kunstrichtungen zusammenströmen, progressiv, jung, geschlechtergerecht, genreübergreifend, zukunftsweisend. „Ich glaube, dass viele Menschen mit einem sensibleren Bewusstsein für den Wert von Kultur aus der Krise kommen“, sagt Christian. Sie hoffe, dass die Frage, ob Kunst und Kultur, Filme, Bilder, Tänze, Theaterstücke und Literatur wirklich nicht systemrelevant seien, nach der Krise weiter diskutiert werde, sagt Nadine Kiala. „Die Leute haben auf jeden Fall großen Hunger auf Kultur und werden danach greifen.“ Lenah sagt: „Wenn Masken- und Abstandsgebote fallen, wird es auch bei uns sehr, sehr ausgelassen.“ „Man kann sich das nochgar nicht vorstellen“, sagt Kiala.
In der nächsten Phase geht es um Nähe
Es ist alles nur eine Phase. Die ewige Pandemie, die leeren Tanzflächen, die geschlossenen Restaurants und Ausstellungsräume: Nur eine Phase. Die Masken, die Abstandsgebote, der Distanzunterricht, die abgesagten Familienfeste, die Einsamkeit im Sterben, die vollen Intensivstationen: hoffentlich bald vorbei. In der nächsten Phase geht es um Nähe. Schmecken. Riechen. Vorsichtig anfassen. Tanzen.
Dankbarer für das Normale
Es könnten uns Feste erwarten, bei denen zunächst vor allem die Chill-Out-Räume überfüllt seien und die Tanzflächen eher zaghaft genutzt würden, glaubt der Soziologe und Unterhaltungswissenschaftler Sacha Szabo, der über Rummel, Rausch und Phänomene wie den Ballermann geforscht hat. An eine von vielen heraufbeschworene Renaissance des wilden Partylebens der 1920er Jahre glaubt er eher nicht. Die Menschen, die sich lange nicht gesehen haben, müssten erstmal berichten, was in der Krise alles passiert sei. Partys seien eine Auszeit vom gewöhnlichen Leben. „In der Krise ist die Außeralltäglichkeit gewöhnlich geworden und die Normalität außergewöhnlich. Darum wünschen sich viele zuerst eine Rückkehr zur Normalität.“ Die Krise aber könne helfen, dankbarer zu sein für die Normalität. Und das normale Leben bewusster zu feiern.
Was nicht in dieser Geschichte steht
PS. Diese Geschichte hätte auch soaussehen können: Gastronomen, Clubbetreiber, Veranstalterinnen, Unternehmerinnen und Musiker klagen über schleppend ankommende Staatshilfen, enorme Verluste und eine fehlende Lobby der Kultur. Sie berichten von ihren Ängsten und der sozialen Isolation, die Begegnungen inzwischen sogar anstrengend machten. Sie machen ihrer Enttäuschung Luft über Freiheitseinschränkungen, die sie mitgetragen haben, aber nicht immer nachvollziehen konnten. Sie sprechen von ihrer Trauer um Bekannte, die an Corona gestorben sind, vom Irrlichtern durch die Straßen, ohne zu wissen, wohin sie wollen, von ihrer Sorge, dass das Leben nie mehr so werden könnte wie vorher.
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Die Heldinnen und Helden dieser Geschichte haben auch davon geredet. Sie fanden es aber okay, sich der hellen Seite der Dämmerung zuzuwenden und die Schatten für eine Weile im Hintergrund zu lassen. Schließlich kommt jetzt Sommer. Eine neue Phase. Eine neue Wendung. Logisch wird es für einige von uns: der Sommer ihres Lebens.