Wem gehört der Wald in NRW?Warum die Dürre für Privatbesitzer besonders schlimm ist
Von 1. April an werden im ganzen Land wieder die Bäume gezählt – da startet die 4. Bundeswaldinventur, die Ergebnisse sollen im Dezember 2022 vorliegen. Bei der letzten Inventur 2012 hatte man auf den 11,4 Millionen Hektar deutschen Waldes 90 Milliarden Bäume gezählt. Das ist eine Menge, eine Menge Holz.
Nun dienen Wälder nicht nur dem Klima und der Erholung, sondern sind in weiten Bereichen auch Wirtschaftsflächen, deren kommerzieller, sozialer und ökologischer Gesamtwert in einer Studie der Boston Consulting Group im Jahr 2020 mit 725 Milliarden Euro berechnet wurde. Da stellt sich die Frage: Wem gehört der Wald? In Gesamt-Deutschland ist gut eine Hälfte des Waldes (52 Prozent) in staatlicher Hand, die andere Hälfte in Privateigentum. Ein großer Anteil der Privatwälder gehört den großen Adelsgeschlechtern wie etwa der Familie Thurn und Taxis, die mit ihren 20 000 Hektar Waldbesitz größter Privateigentümer des Landes ist. Im Schnitt sind die einzelnen Privatflächen allerdings kleiner – insgesamt geht man in Deutschland von etwa zwei Millionen Waldbesitzern mit jeweils drei Hektar aus.
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In Nordrhein-Westfalen mit seinen rund 935 000 Hektar Wald sind die Anteile etwas anders sortiert: Etwa 152 000 Privatbesitzer verfügen über 592 900 Hektar (64 Prozent) der Gesamtwaldfläche. Der Anteil der Gemeinde- und Körperschaftswälder beträgt 178 900 Hektar (20 Prozent), dem Bund gehören knapp 25 000 Hektar (3 Prozent) und dem Land NRW gehören 119 100 Hektar, gerade mal 13 Prozent.
Komplex und teuer
Das ist bedeutsam, denn seit 2012 ist viel passiert – die vergangenen drei Sommer waren zu heiß und zu trocken, die Winter zu mild und vor allem die ausgedörrten Fichtenbestände in den Ebenen waren erst den Stürmen und dann den Schädlingen schutzlos ausgeliefert – 171 Millionen Kubikmeter Schadholz liegen derzeit in den Wäldern. Die Preise für Holz sind kollabiert, die staatlichen Konzepte für Wiederaufforstung und Umbau des Waldes sind komplex und teuer. Die privaten Waldbesitzer haben ein Problem – sie können sich das nicht leisten.
Heidrun Buß-Schöne, Geschäftsführerin des Waldbauernverbands NRW, erklärt: „Man muss unterscheiden zwischen großen und kleinen Waldbesitzern. Schon ein mittelgroßer Waldbesitzer lebt von seinem Wald; für den bedeutet der Wald ein Einkommen über Generationen hinweg – die Großeltern haben gepflanzt, die Kinder pflegen, die Enkel ernten und immer so weiter. Bei den großen privaten Forstbetrieben ist der Wald ein wichtiger Lebensbaustein. All denen wird jetzt – ohne dass sie es verschuldet haben und ohne dass sie es hätten verhindern können – die Lebensgrundlage entzogen.“
Vorwürfe treffen die Falschen
Was sie meint: Der Vorwurf, dass die Fichten-Monokulturen angelegt wurden, um möglichst viel Geld zu verdienen, ist einerseits nur halb richtig und trifft andererseits die Falschen. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als es keinen Wald mehr gab in Deutschland, galt die Fichte als auch staatlich verfügter Baum der Wahl – ein relativ schnell wachsendes Gehölz, das sich zuvor über ein Jahrhundert flächendeckend bestens bewährt hatte. „Wer den Waldbesitzern heute die Fichten-Monokulturen vorwirft“, sagt Heidrun Buß-Schöne, „sollte wissen, dass von den heutigen Besitzern wahrscheinlich keiner je eine Fichte gepflanzt hat.“ Wald ist eine Sache von Generationen.
Für das aktuelle Problem nennt Heidrun Buß-Schöne als Beispiel die Tausenden Klein- und Kleinstwald-Besitzer, für die der Wald keine relevante Einkommensquelle war. „Die sind jetzt in der Verantwortung“, sagt sie. „Wenn die zehn Hektar Wald haben, dann kommt jetzt der Förster und sagt: Fünf Hektar sind weg, wir müssen aufforsten. Wir brauchen klimaresiliente Baumarten – das macht 5000 bis 10 000 Euro den Hektar, das sind 25 000 bis 50 000 Euro, die bitte in den nächsten fünf bis zehn Jahren zu berappen sind.“ Die großen Forst-Betriebe trifft es nach dieser Gleichung noch ärger: „Die haben kein Einkommen mehr, müssen aber jetzt investieren, ohne die Aussicht, in den nächsten 30 Jahren Erlöse erzielen zu können.“
Privatwaldbesitzer haben Interesse an ökologischem Fortbestand
Das könnte dazu führen, dass private Waldbesitzer die notwendigen Maßnahmen zur Erhaltung des Waldes nicht mittragen. Andreas Wiebe ist Leiter des Landesbetriebs Wald und Holz NRW. Er stellt den Privatwaldbesitzern alles in allem ein ordentliches Zeugnis aus. „Es gibt viele auch größere private Forstbetriebe, die schon seit Jahrzehnten auf naturgemäße Forstwirtschaft umgestellt haben – und damit auch ökonomisch erfolgreich waren.“ Die Zusammenarbeit zwischen den staatlichen und privaten Stellen skizziert Wiebe so: „Jeder Waldbesitzer hat ein wohlverstandenes Eigeninteresse daran, nachhaltig im Sinne der jeweils nächsten Generation zu wirtschaften, die sich dann mit dem Wald beschäftigt. Wir stellen forstliche Fachleute, die die Besitzer beraten und unterstützen können. Und es gibt erhebliche Fördermöglichkeiten – von Land, Bund und Europäischer Union.“
Die Möglichkeiten sind allerdings begrenzt: „Wenn jemand nun partout wieder Fichten pflanzen will, dann können wir ihn daran nicht hindern“, sagt Wiebe, „jeder Besitzer hat alle Freiheiten, große Fehler zu machen. Das gehört dazu.“
75 Millionen Euro für Waldbesitzer
Wegen der immensen Schäden fördert das Land NRW die Mühen der Waldbauern um den Wald der Zukunft allein in diesem Jahr mit 75 Millionen Euro. Heidrun Buß-Schöne vom Waldbauernverband ordnet die Summe ein: „Das ist erstmal gut und hört sich nach wahnsinnig viel Geld an“, sagt sie, „wenn man es aber runterrechnet auf den einzelnen Besitzer – da kommt dann nicht so viel an.“
Und das Risiko, dass die nächsten trockenen Sommer alle Mühen zunichte machen, tragen bislang die Waldbauern.Das ist ein Dilemma. Trotz der (immer noch) fantastischen Holzbestände ist Deutschland ein Holzimportland. Pro Kopf werden 1,3 Kubikmeter pro Jahr verbraucht. „Das will ja auch niemand ändern“, sagt Heidrun Buß-Schöne. Jetzt aber könnten die Waldbesitzer nicht mehr allein sicherstellen, dass der Wald in all seinen Funktionen erhalten bleibt – „und zwar unverschuldet“, wie die Geschäftsführerin betont. „Da muss die Gesellschaft anders reagieren als durch Förderprogramme, die für Friedenszeiten gemacht wurden“, sagt sie.
„Friedenszeiten“ – so nennen Forstleute die Zeiten vor dem ersten Dürresommer 2018.